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db deutsche bauzeitung 2022|05
London
db deutsche bauzeitung 2022|05

Spielfeld für Kreative

»C1 Building« im Greenwich Design District

Im anregenden, vermeintlich beliebigen Durcheinander des neuen Kreativquartiers in Greenwich sticht die offene Struktur des »C1 Buildings« von Architecture 00 heraus: Viele der Nutzungen wurden vor der thermisch wirksamen ‧Gebäudehülle angeordnet und beleben dadurch auch den öffentlichen Raum.

14. Mai 2022 - Tim Abrahams
Architecture 00

Das robuste dreigeschossige C1 Building von Architecture 00 befindet sich in einer architektonisch schwierigen Umgebung. Seit den 80er-Jahren dient die Halbinsel Greenwich nicht mehr als Standort für Londons Gasraffinerie und -produktion, seitdem sind für das Areal immer wieder Masterpläne entstanden. Berühmt ist der von Richard Rogers entworfene Millennium Dome, der heute »The O2« heißt. Auch Rogers versuchte sich in einem Masterplan, der konzentrische Ringe von Gebäuden mit gemischter Nutzung vorsah. Der Plan scheiterte, und gleich eine ganze Reihe weiterer städtebaulicher Ideen wurden bis heute entwickelt und auch wieder verworfen.

Als der Bauträger Knight Dragon das Gebiet 2013 erwarb, sah sein von den Architekten und Stadtplanern Allies and Morrison entwickleter Städtebauentwurf einige Reihen von Wohnhochhäusern auf der Ostseite und Häuserblocks im Westen der Halbinsel vor. Das Building C1 wurde als Eckpfeiler eines ganzen Kreativviertels in der Mitte der Halbinsel vom Bauträger Knight Dragon errichtet. Initiert und vorangetrieben hatte es jedoch die Greater London Authority, die auch einen Teil des Geländes in ihrem Besitz behielt: Bürgermeister Sadiq Khan nutzte die Gelegenheit, um das Problem der Verdrängung kleiner florierender Kreativunternehmen aus anderen Londoner Stadtteilen anzugehen.

Ohne Rücksicht auf die Nachbarn

Wie kann man ein Designviertel von Grund auf neu schaffen? Entstanden ist ein »Dorf« aus 16 Gebäuden, die um fünf Höfe herum angeordnet sind und insgesamt 14 000 m² Gewerbefläche bieten. Acht verschiedene Planer, die von der Architektin Hannah Corbett – Masterplanerin und Gestaltungskoordinatorin des Projekts – ausgewählt wurden, entwarfen jeweils ein Gebäudepaar. Jedes Grundstück wurde blind entworfen, d. h. ohne Bezugnahme auf die Architektur des jeweiligen Nachbargrundstücks. Das ist ein bemerkenswerter Einfall und für westeuropäische Verhältnisse beispiellos. Man fühlt sich eher an ostasiatische Entwicklungen wie die 2003 eröffnete Paju Book City in Südkorea erinnert, auch wenn diese schrittweise errichtet wurde. Am erstaunlichsten ist jedoch, dass der »Design District Greenwich« tatsächlich funktioniert und dazu noch anregend ist und Freude macht.

Das C1-Gebäude von Architecture 00 ist ein Paradebeispiel dieses Ansatzes, auch wenn es nicht das erste Gebäude seiner Art ist. Es bildet einen Übergang zwischen der O2-Kuppel, die einen wuchtigen Schlusspunkt der Hightech-Architektur darstellt, und der kleinteiligen, aber umso dynamischeren eklektischen Ästhetik des Design Districts. Es wirkt wie ein einfaches Gebäude, überragt von einem Aufbau aus verzinktem Stahl, über den einige Stahlseile gespannt sind. Diese tragen wiederum ein Netz aus rostfreiem Stahl, das den kompletten Bau aus Stahlbeton und Glas umhüllt. Das Stahlseil- und Netzgerüst erinnert an das eigenwillige Vogelhaus London Zoo im Regent’s Park von Cedric Price aus dem Jahr 1965, einen Vorläufer der Hightech-Bewegung.

Aber das C1 Building hat auch eine lässige weltstädtische Komponente: Auf dem Dach befindet sich ein Basketballfeld, dessen Ballfangnetz an den Maschendrahtzaun eines städtischen Sportplatzes in den USA erinnert. Die Tragkonstruktion des Metallnetzes mit ihren 12 dicken, verzinkten Stahlstützen prägt nicht nur das Gebäude selbst, sondern markiert auch den Zugang zum gesamten Design District. Darüber hinaus verweist sie auf die Offenheit der Architekten für Modifikationen und Unplanbares während des Bauprozesses. Lynton Pepper, einer der Partner von Architecture 00, erklärt: »Die Stahlstützen sind tatsächlich recht massiv, weil die Statiker sagten, dass sie nicht wüssten, wie hoch der Lasteintrag sein würde, und sie müssten sie deshalb sehr kräftig dimensionieren.«

Aber der wuchtige Stahlaufbau hat auch eine ästhetische Wirkung, indem er die Robustheit des Gebäudes unterstreicht und einen harten Kontrast zu den benachbarten 3D-modellierten Luxushochhäusern und den schrillen Fassaden des nahe gelegenen Ravensbourne College (Foreign Office Architects, 2010) bildet. Das C1 Building wird stattdessen konsequent von der Ästhetik der Stahlkonstruktion, dem Metallgeflecht und den auskragenden Beton‧geschossdecken bestimmt. Letztere sind auch der Schlüssel zu diesem Projekt. Die Planer von Architecture 00 sind Experten für die Gestaltung von Büro‧flächen und haben bereits zwei Berichte über die Gestaltung und Finanzierung der neuen Typologie, die auch am C1 Buildung zur Anwendung kam, veröffentlicht: Sie haben das Verhältnis zwischen der Nutzfläche und der Bruttogeschossfläche des Gebäudes optimiert, um die vermietbare Fläche zu maximieren. Und so ist auch nur die vermietbare Fläche wärmegedämmt. Außen liegende Geschossflächen sind eine Neuerung bei Bürobauten in London, obwohl sie im öffentlichen Wohnungsbau üblich sind. Beim C1 Building dienen sie der Erschließung der oberen Stockwerke und der Anbindung der einzelnen Stockwerke an die Funktionsräume auf der Südseite. Diese Lösung ist im Winter vielleicht nicht ganz so komfortabel, aber sie bietet den Hausnutzern Bereiche, in denen sie sich treffen können. Lynton Pepper meint, dass sie bei Architecture 00 diese »Deck- und Netzstrategie« schon längst hatten nutzen wollen, aber erst jetzt wurde sie im Design District endlich umgesetzt. Wenn man sich in einem der außen liegenden Bereiche hinter dem Netz aufhält, kann man sich ohne Weiteres mit Passanten unten auf der Straße unterhalten. Dank des Netzes wird die verglaste Fassade nicht durch eine Brüstung gestört, und so wirkt auch der Innenraum größer und rückt näher an den belebten öffentlichen Stadtraum heran.

Das Gelingen des Projekts resultiert jedoch nicht nur aus den ganz großen Entscheidungen. Erst einige clevere Umrissmodifikationen der Geschossdecken zueinander z. B. gewährleisten die vertikale Erschließung. Die außen liegenden Bereiche sind bis hinauf zum Basketballplatz auf der Südseite am breitesten. Hier befindet sich auch die Haupttreppe, deren stattliches Gewicht einen zusätzlichen »kräftigen« Stahlträger zwischen EG und 1. OG erforderte. Auf der Nord- und Ostseite wurden die Außenflächen in den oberen Etagen den Brandschutzbestimmungen angepasst, sodass der Basketballplatz über zwei Zugänge verfügt und hier somit Veranstaltungen stattfinden können.

Geviertelt statt halbiert

Die Innenräume sind einfach gehalten. Während sich der Bauherr ursprünglich wünschte, dass die Etagen in zwei Bereiche unterteilbar sein sollten, hat Architecture 00 sie aufgrund ihrer Erfahrung bei anderen Büroprojekten letztlich als vier separat erschließbare und technisch ausgestattete Bereiche ausgeführt. Die Südfassade, an der sich auf den jeweiligen Geschossen die von außen erschlossenen Toiletten und die Teeküche befinden, ist mit soliden Polycarbonatpaneelen ausgestattet, die eine gewisse Abschirmung gewähr‧leisten. Im Allgemeinen sind die Materialien einfach und wurden ansprechend verarbeitet. Ein wenig bedauerlich ist allerdings, dass die Qualität des Betons an der Deckenuntersicht im EG nicht recht zum restlichen ‧Gebäude passen will: Das ist der Nachteil eines Prototyps, denn das C1 Building ‧wurde als Erstes der 16 Gebäude des Design Districts vom Generalunternehmer fertiggestellt. »Wir wollten, dass es ein Ort ist, an dem man auch mal eine Kreissäge benutzen kann«, sagt Pepper, und tatsächlich hat das Haus definitiv eine entspannte, aber auch hippe Atmosphäre.

Das C1 Building ist ein voller Erfolg, denn es funktioniert nicht nur für sich allein genommen, sondern auch als Eingangsportal zum Design District, in dem sich Bauten von Barozzi Veiga, selgascano, 6A architects und weiteren britischen Architekturbüros zusammenfinden. Es weist auf den Zweck des Viertels als Ort der Kreativität hin, und zwar nicht durch schillernde Materialien oder skulpturale Dachlinien, wie es bei einigen Nachbarbauten zu sehen ist, sondern indem es sich als Aktivitätsplattform darstellt. Zu Londons neuer Typologie der Kreativstätten passt die experimentelle Herangehensweise von Architecture 00 an den Bauprozess sehr gut. Dass dies auch bei ihrem laufenden größeren Projekt, dem 18 Mio. GBP teuren National College for Digital Skills andernorts in London, funktioniert, würde man sich sehr wünschen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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