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db deutsche bauzeitung 2022|07
Wohnbau im Bestand
db deutsche bauzeitung 2022|07

Klimazwiebel im Klinkerbau

The Day After House in Madrid (E)

Den Klimawandel hat das spanische Architekturstudio TAKK Architecture bei seinem ersten Wohnungsumbau mitgedacht: Der Ressourcenkonsum wurde in allen Aspekten radikal reduziert und zugleich Raum für ein intensives familiäres Zusammenleben geschaffen. Ein Wohnexperiment der besonderen Art auf der Etage.

11. Juli 2022 - Julia Macher
Das junge Architekturbüro TAKK hat aus dem Spiel mit ästhetischen Vorstellungen sein Markenzeichen gemacht. In temporären Strukturen arbeitet das Duo aus Barcelona gern mit ungewöhnlichen Materialien wie altem Spielzeug oder Muscheln. Bei ihrem ersten Wohnprojekt experimentieren die Architekten Mireia Luzárraga und Alejandro Muiño allerdings weniger mit neuen Ausdrucksformen, sondern hinterfragen vor dem Hintergrund der Klimakrise ganz grundsätzlich die gängigen Wohnformen. Sie verwandelten eine Eigentumswohnung im Madrider Wohnviertel Mirasierra in ein Apartment mit Passivhaus-Standard, das sowohl den kalten Wintern wie auch den heißen Sommern in der spanischen Hauptstadt trotzt und die Bewohnerinnen ganz eng zusammenrücken lässt.
Dazu wurde die kleinteilige Wohnung im ersten Stock eines viergeschossigen Häuserblocks aus den 1980er Jahren bis auf wenige Grundpfeiler komplett entkernt. Auf den nun offenen, 110 m² großen Grundriss setzten die Architekten zwei ineinandergesteckte Schachteln.

Die innere birgt einen überwiegend zum Schlafen genutzten, aufgeständerten schmalen Gemeinschaftsraum für bis zu vier Personen, die äußere, fast quadratische Schachtel fungiert mit offenem Wohn-, Ess-, Arbeits- und Kochbereich als Winterwohnung. Diese Elemente belegen zusammen mit 60 m² nur etwas über die Hälfte der Gesamtfläche. Bei Bedarf können Regalwände und Glastüren geöffnet und der Rest der Wohnung als luftiges »Sommerhaus« genutzt werden.

Zwiebelprinzip fürs Klima

Während Decken und Wände der beiden hölzernen Wohnschachteln mit Kork gedämmt sind, hat man in der nach Norden ausgerichteten Sommerwohnung alle dämmenden Elemente entfernt und drei Fenster herausgerissen. Die nackten Wände wurden mit einem grauen, wärmeabsorbierenden Mörtel verputzt, der im Sommer einen Teil der Hitze schluckt.

Wie bei einer Zwiebel stecken die drei Bereiche ineinander und bilden so unterschiedliche Klimazonen, die den Verzicht auf eine Zentralheizung ermöglichen. Der Schlafbereich bleibt mit Temperaturen zwischen 20 und 24 Grad angenehm warm, in der Winterwohnung herrschen nur 16 bis 24 Grad. Die Sommerzone, die die äußere Wohnschachtel im Norden als halboffene Galerie, im Westen als eine Art Hobbyraum umgibt, lässt sich durch einen Holzofen heizen und so punktuell auch im Winter nutzen. Ihre eigentliche Funktion entfaltet sie im Sommer, wenn eine leichte Brise durch die offenen Fenster weht und ein Leben halb im Freien ermöglicht.

Beim Umbau hat TAKK Architecture ausschließlich CO2-arme, nachwachsende Materialien wie Kork und Kiefernholz verwendet, die sichtbar bleiben. Die provisorische Ästhetik verstehen die Architekten ebenso als politisches Statement wie die bewusste Begrenzung des beheizten Raums. »Die Tage des unbegrenzten Ressourcenkonsums sind gezählt«, so die Architekten über ihr »The Day After House«. Angetrieben wurde diese Suffizienzstrategie allerdings auch durch das knappe Budget von nur 48 000 Euro.

Genauso wichtig wie der Klimaaspekt war dem Büro, in allen Bereichen ein gemeinschaftliches Familienleben zu ermöglichen. Auf ein getrenntes Eltern- und Kinderschlafzimmer wurde bewusst verzichtet. »In unserer westlich-kapitalistischen Gesellschaft wird einfach davon ausgegangen, dass Kinder Privatsphäre brauchen«, sagt Mireia Luzárraga. »Aber in Japan und Indien schlafen 80 bis 90 % der Kinder bis zum Alter von elf Jahren bei ihren Eltern.« Mit diesem Konzept erfüllten sie einen zentralen Wunsch des Bauherrn. Der Bruder der Architektin, ein auf Mikrokredite spezialisierter Wirtschaftswissenschaftler Ende 30, hatte die Eigentumswohnung unverhofft geerbt und sich an den klima- und gesellschaftspolitischen Implikationen eines für die Madrider 1980er Jahre typischen Wohnmodells gestoßen.

Gemeinsames und gleichberechtigtes Wohnen

Die homogenen, meist mit Klinker bekleideten Blöcke am Stadtrand waren mit Gemeinschaftsgarten, Gemeinschaftspool und uniform genormten Grundrissen auf die Bedürfnisse der aufsteigenden spanischen Mittelschicht zugeschnitten. Charakteristisch für sie ist die Trennung in einen repräsentativen Tagesbereich mit großem Salon, einen privaten Nachtbereich mit drei kleinen Zimmern, zwei Bädern und einem verwinkelten Küchenbereich, der noch Platz für ein Dienstmädchenzimmer inklusive separatem Eingang bieten musste. Das Paar aber wollte gleichberechtigt mit der dreijährigen Tochter (und der Katze) zusammenleben, ohne dass die Zimmeraufteilung Hierarchien oder Rollenmuster zementiert.

Für das Architekten-Duo Luzárraga und Muiño ein willkommener Anlass, um mit Konventionen zu brechen. Statt eines genau definierten Küchenbereichs gibt es in der Winterwohnung entlang der Längsseite lediglich eine 75 cm hohe Arbeitszeile, auf der sowohl Gemüse geschnippelt wie auch das Laptop aufgeklappt werden kann. Die Badewanne wird als Ort intimer Körperpflege nicht ins Private verbannt, sondern nimmt den Logenplatz im Sommerhaus ein. Beim Plantschen hört man die Vögel zwitschern. Auch an Kleinkind und Katze wurde gedacht: Der Kühlschrank ist mittels Treppenstufe einfach erreichbar. Die Katze kann es sich auf der Schlafbox in dem etwa 30 cm hohen Zwischenraum zur Decke gemütlich machen. Sollten sich die Bedürfnisse der Familie im Lauf der Zeit ändern, könne die Wohnung adaptiert werden, so Luzárraga.

Die Nachbarn im Haus beäugten das Projekt zunächst misstrauisch. Die aus der Fassade gerissenen Fenster ließen ästhetische Bedenken wachwerden, der Besitzer der darüberliegenden Wohnung fürchtete Wärmeverlust. Aufgrund der Korkdämmung der Winterwohnung bestätigten sich seine Bedenken laut Architekten allerdings nicht. Mireia Luzárraga misst den nachbarschaftlichen Querelen keine große Bedeutung bei und betont den Pilotcharakter des Projekts. »Den anderen Bewohnern wird in zehn Jahren vielleicht regelmäßig die Gasversorgung gekappt, aber das The Day After House ist schon jetzt für den Klimakollaps gerüstet.«

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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