Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2023|03
Generationenwohen
db deutsche bauzeitung 2023|03

Ins Neue übersetzt

Mehrgenerationenhaus Schmitti in Therwil

Zwischen alten Bauernhäusern, Dorfkirche und denkmalgeschützten Gebäuden hat das Basler Büro Buol & Zünd mit zeitgenössischer Architektur den historischen Teil der Gemeinde Therwil verdichtet und dabei Maßstäblichkeit bewahrt. Wie ein passgenaues Teil fügt sich der Neubau in die verwinkelte und kleinteilige Struktur ein und orientiert sich dabei gezielt an seiner Umgebung, ohne aber retrospektiv zu wirken. Eine Bewohnerschaft aus Jung und Alt wird hier gleichermaßen angesprochen.

22. März 2023 - Nele Rickmann
Mit einem Studienauftrag zur Bebauung des an die Dorfkirche von Therwil angrenzenden Grundstücks, auf dem sich heute die »Schmitti« von Buol & Zünd befindet, reagierte die Gemeinde auf Herausforderungen, mit denen sich viele vergleichbare Orte konfrontiert sehen: einer Leere im historischen Dorfkern, dem großen Fragezeichen, wenn es darum geht, Bestand anzueignen, der nicht den aktuellen Standards entspricht – und einer alternden Bevölkerung, die im Ort wohnen bleiben will, der aber das eigene Heim nach dem Wegzug der Kinder zu groß geworden ist. Therwil war mal Dorf und ist Gemeinde geworden. Zuwachs gibt es, Grund dafür ist v. a. die Nähe zu Basel. Nach 20 Fahrminuten mit Bus oder Bahn vom Basler Hauptbahnhof erreicht man die Haltestelle »Therwil Zentrum«. Neue, hohe, aber größtenteils charakterlose Bauten vermitteln hier ein fast schon urbanes Bild. Nicht so sieht es fünf Gehminuten weiter südlich aus; dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. So auch der Baubestand: Baselbieter Bauernhäuser säumen vereinzelt die Straßen, die alte Dorfkirche St. Stephan thront erhöht über den alten Häusern, die wiederkehrend leer stehen. Den gegenwärtigen Standards werden sie nicht mehr gerecht, zu kleine Fenster, zu niedrige Decken, zu eng, zu bescheiden. Dennoch aber atmosphärisch und von Charakter geprägt.

Das findet auch die Gemeinde und will dem historischen Dorfteil nachhaltig eine Perspektive geben. Wichtig dabei: der Bezug zum Ort und eine authentische Erscheinung. Im Studienauftrag setzten sich Buol & Zünd gegen drei weitere Architekturbüros durch, in dem sie u. a. den Bestand, zwei alte Taunerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, in die Zukunft fortführen. (Anm. d. Red.: Bis ins 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Kleinbauern Tauner genannt, abgeleitet von Tagelöhner). Diese ergänzen sie durch einen zurückhaltenden Neubau, der sich als »Schmitti« passgenau in die historische Struktur einfügt. Auf Kontraste wurde verzichtet und Altes neu übersetzt.

Kleine Gassen, klare Kanten, spitzes Dach

Hinter der nahe gelegenen Gemeindebibliothek, die dem Ort entsprechend interdisziplinäre Veranstaltungen für Jung und Alt anbietet, sitzt ein kleines Haus, eine ehemalige und heute denkmalgeschützte Schmiede, die namensgebend für die »Schmitti« war. Zur rechten Seite die sanierten Taunerhäuser, in denen die von Buol & Zünd geplanten Eingriffe so gering wie möglich waren, um angemessene Raumhöhen herzustellen, aber gleichermaßen den Charakter des Hauses zu wahren. Dahinter der Neubau, dessen klar definiertes, zweigliedriges Volumen mit Satteldach zur links liegenden und topografisch erhöhten Kirche abknickt. Dazwischen eine schmale Gasse, die die Grenzen von öffentlich, halböffentlich und privat verschwimmen lässt. Matthias Aebersold, Projektleiter bei Buol & Zünd, erklärt, dass hier v. a. die Nähe eine Qualität des Bestandes ist. Die kleinen Gassen und geringen Abstände zu den Nachbarn sind eine Besonderheit des Ortes. Sie verleihen der Situation eine sehr intime Atmosphäre. So war eine Dichte von vornherein gegeben und musste von den Architekten nur übersetzt werden. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf Schwellenübergange und arbeiteten mit verschiedenen Bodenbelägen, um einzelne Bereiche voneinander abzusetzen. Auch Details, die sich an der Fassade und im Innenraum erkennen lassen, resultieren aus dieser besonderen Situation.

Die Fassade zur Gemeindebibliothek im Norden dominieren breite Laubengänge, die nicht nur Erschließungszone zu den einzelnen Wohnungen sind, sondern als Begegnungs- und Gemeinschaftsort fungieren. Das Team von Buol & Zünd setzt hier nicht auf Trennungen zwischen den einzelnen Einheiten, sondern – ganz im Gegenteil – integriert neben jedem Eingang ein großes Fenster mit tiefer Laibung und geringer Brüstungshöhe, das zur Nische mit Sitzbank und somit zum gemeinsamen Treffpunkt wird.

Im Haus gibt es zehn Wohnungen, die als Single-Apartments bis zu Einheiten mit 4,5 Zimmern verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Von jungen Zugezogenen zu älteren Paaren ist die Bewohnerschaft vielfältig. Das sei den Planenden von Anfang an wichtig gewesen, erklärt Aebersold. Mit einer Architektur, die Jung und Alt gleichermaßen anspricht, wollen sie den historischen Teil Therwils wiederbeleben und ihm eine Perspektive geben. Dabei orientieren sie sich auch an den Grundrissen der historischen Baselbieter Bauernhäuser, bei denen die Küche zentraler Ort im Haus ist. Direkt hinter den Eingängen liegt in der »Schmitti« je eine Wohnküche, um die sich ein rollstuhlgerechtes Bad und zwei bis drei Zimmer gruppieren. Wie früher ist sie zentraler Treffpunkt und Herzstück der Wohnung.

Zu den Außenräumen wurden auf jeder der drei Etagen Bezüge hergestellt. Im EG haben die Wohnungen rückwärtig eine kleine Terrasse zum Garten, im OG die Laubengänge und in dem hochragenden Dach verglaste Gauben, die sich durch große Fenster gänzlich öffnen lassen und so zur Loggia werden. Der Umgang mit dem benachbarten Friedhof war eine Herausforderung, so Aebersold. An der alten Kirchmauer lehnt die »Schmitti« ohne Abstandsflächen an, ab dem 1. OG schiebt sich die Fassade leicht darüber und vermittelt den Eindruck, das Haus würde auf der Mauer sitzen. Große Fenster geben den Blick auf den Kirchgarten mit Friedhof frei, was anfänglich von der Gemeinde stark diskutiert wurde. Die Planenden konnten sich jedoch durchsetzen und stellen so die Beziehung der »Schmitti« zur Umgebung in den Mittelpunkt des Entwurfs. Eine an allen Fassadenseiten hölzerne Verkleidung aus Tanne, die mit schwedischer Schlammfarbe witterungsbeständig gestrichen wurde, fasst das für einen solchen Ort recht große Gebäudevolumen einheitlich zusammen, ohne dass es stark hervorsticht. Die Farben Graubeige und Taubenblau prägen die Erscheinung des Hauses, unter dem Dach zieht sich eine dunkelrote hölzerne Verkleidung an Traufe und Ortgang, die als besonderes Detail ins Auge fällt. Warum sich die Planenden für eine hölzerne Fassade entschieden haben, erklärt Aebersold damit, dass auch hier wieder eine Referenz zu den alten Bauernhäusern gesucht wurde. Im Unterschied zum Wohnbereich machte der Ökonomieteil den größten Abschnitt der Häuser aus. Traditionell war dieser in Holz konstruiert, was auch in der näheren Umgebung, in die sich die »Schmitti« gut eingliedert, direkt zu erkennen ist.

Vier Jahre nach Fertigstellung kann man sagen, dass der Neubau von Buol & Zünd zu Therwil gehört – im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen im Zentrum, die auch anderswo stehen könnten. Die Nachverdichtung des untergenutzten Grundstücks im alten Ortsteil ist den Architekten von Buol & Zünd gelungen. Die Herausforderung, in komplexer Lage mit benachbarter Kirche, denkmalgeschützter Substanz und gewundenen Gassen zu bauen, haben sie nachhaltig gemeistert. Die »Schmitti« ist elegant zurückhaltend, während sie gleichermaßen auf historische Referenzen verweist. Dabei wurden mit einer hochwertigen Materialisierung und hingebungsvollen Details Architektur geschaffen, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert. Bisher sind die alten Häuser identitätsstiftend, in ein paar Jahren wird es vielleicht auch die »Schmitti« sein.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: