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db deutsche bauzeitung 2023|04
Ingenieurbaukunst Holz
db deutsche bauzeitung 2023|04

Maßstäbe setzen ohne Allüren

TUM Campus in München

Ein Gebäude für Sport, Lehre und Forschung legt die Latte des im Holzbau Machbaren höher – mit einem Vordach, das als reine Holzkonstruktion auf 150 m Länge spektakuläre 18,6 m frei auskragt und zugleich subtile Bezüge zu den legendären Olympiabauten aufnimmt.

4. April 2023 - Roland Pawlitschko
Die sanft wogenden Zeltdachkonstruktionen und Hügellandschaften des Münchener Olympiaparks bilden eines der bedeutendsten baulichen Gesamtkunstwerke Deutschlands. Weniger bekannt, aber nicht weniger wichtig, ist der nördliche Teil des Parks. Dort befinden sich das Olympische Dorf, das sich unter den heute 6 000 Bewohnern enormer Beliebtheit erfreut, sowie eine der größten deutschen Hochschulsportanlagen. Letztere diente ursprünglich als zusätzlicher Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1972 sowie als Pressezentrum und wurde danach von der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München (TUM) sowie vom Zentralen Hochschulsport (ZHS) genutzt. Nach knapp einem halben Jahrhundert intensiver Nutzung wiesen die Sporthallen und Institutsgebäude insbesondere gravierende Brandschutz- und Platzprobleme auf. Um der TUM und dem ZHS optimal nutzbare Räume bieten zu können, fiel 2015 die Entscheidung, die Bauten abzubrechen und an ihrer Stelle nach einem Architektenwettbewerb den neuen »TUM Campus im Olympiapark« zu errichten.

Verzahnung von Alt und Neu

Das Siegerprojekt des Architekturbüros Dietrich | Untertrifaller zeigt einen 150 x 180 m großen Baukörper, der sich zweigeschossig und mit zahlreichen Innenhöfen gut in die rechtwinklige Struktur der umliegenden Außensportfelder einfügt. Da dessen Realisierung bei laufendem Betrieb erfolgen sollte, konzipierten die Architekten zwei diagonal verschränkte Hallen- und Bürocluster, die sich in zwei Bauabschnitten errichten lassen sollten und so einen schrittweisen Abbruch des Gebäudebestands ermöglichten. Im ersten Bauabschnitt, der nun fertiggestellt ist, entstanden die beiden Hallencluster: Sporthallen mit insgesamt 14 Sportfeldern, Büro-, Seminar- und Vorlesungsräume, eine Mensa, eine Bibliothek sowie Werkstätten und Labore. Nach Abbruch der Bestandsgebäude, an die der Neubau zentimetergenau herangerückt war, laufen nun die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt auf Hochtouren. Die Fertigstellung der beiden komplementären Bürocluster mit Verwaltungs- und Institutsräumen ist für 2024 geplant.

Zentrales Element des Neubauprojekts ist die 165 m lange »Rue intérieure«, die die Architekten im 1. OG platzierten, wo ein Steg am Haupteingang die Anbindung an die erhöht angelegten Wege des Olympiaparks Nord übernimmt. Die Haupterschließungsachse bietet vielfältige Einblicke in die großflächig verglasten Sporthallen, Hörsäle und Seminarräume sowie in die Seitenflure und Innenhöfe der Bürocluster. Dank der durchgängigen Breite von 12 m und der vollflächigen Sprinklerung ist sie zugleich großzügiger Aufenthalts-, Lern- und Veranstaltungsbereich.

Prägnant und doch unaufdringlich

Wesentlich für die räumliche Qualität der in Ost-West-Richtung verlaufenden Rue intérieure ist neben ihren großen Nutzungsspielräumen das Farb- und Materialkonzept. Die Oberflächen spielen sich eher in den Hintergrund: ein polierter Betonfußboden, graue Sichtbetonwände, viel Glas sowie eine Decke mit zurückhaltender Fichtenholzbekleidung. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die den Raum mit Farbe und Leben füllen. Was auffällt, gerade weil es nicht auffällt, ist das Tragwerk. Stützen, Pfeiler oder Unterzüge, die das Lastabtragen offensichtlich machen würden, stechen nicht ins Auge. Stattdessen bestimmen große raumbegrenzende Flächen das Bild. So entsteht ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit – die Stützen vor den verglasten Seitenwänden sind so schlank und zudem dunkel gestrichen, dass sie vor den ebenfalls dunklen Fensterprofilen kaum auffallen. Sichtbar ist das Dachtragwerk aus Fichten-Brettschichtholzträgern mit 5 m Achsabstand lediglich an den Seitenrändern, wo Oberlichter reichlich Tageslicht in den Raum bringen.

Rue intérieure, Treppenkerne, Hörsaal, Teile der Sporthallen und das UG sind im Sinne brandschutztechnischer und statischer Kriterien als Stahlbetonkonstruktion ausgeführt, während Sporthallen, Institutsbereiche und die komplette Dachkonstruktion in Holzbauweise errichtet sind. In den Sporthallen prägt eine klare Struktur aus Brettschichtholzträgern, Oberlichtelementen und präzise gesetzten Sport- und Technikeinrichtungen das Bild. Erstere sind über allen Sportfeldern nur 16 cm breit, 27 m lang, in Feldmitte 1,80 m und am Auflager 1,40 m hoch und im Achsabstand von 2,5 m angeordnet. Dazwischen liegen einfache Kantholzpfetten, die mit einfachen OSB-Platten eine aussteifende Dachscheibe ausbilden. Im Zusammenspiel mit den Seitenwandbekleidungen aus Weißtanne entstehen standardisierte, maßstäblich gegliederte und unaufdringlich bewegte Räume mit behaglicher Raumatmosphäre. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind die konischen Oberlichtelemente aus Dreischichtplatten, die dank integrierter Blendroste viel blendfreies Tageslicht einfallen lassen.

An der Grenze des im Holzbau Machbaren

Am westlichen Ende der Rue intérieure befinden sich die Bibliothek und die Mensa sowie eine große Außenterrasse, zu deren Füßen die orthogonal kreuzende Haupterschließungsachse der Außensportflächen – die Rue extérieure – sowie eine Leichtathletik-Außenanlage liegen. Der eigentliche Hingucker ist jedoch das über der Außenterrasse schwebende Vordach: eine vollverleimte Holzkonstruktion, die über die gesamte Gebäudebreite bemerkenswerte 18,6 m frei auskragt. Maßgeblich für dessen Gestaltung waren jene Vorgaben, die die Architekten schon im Wettbewerb zusammen mit den Holzbauingenieuren von merz kley partner definierten: Zum einen sollte die Höhe des Dachs der Höhe des umlaufenden Dachrands entsprechen, woraus eine Konstruktionshöhe von maximal 1,60 m resultierte. Zum anderen waren die Untersicht des Vordachs flächig auszubilden und sichtbare Unterzüge unbedingt zu vermeiden. Selbstredend musste die Lösung bei allen bautechnischen Herausforderungen wirtschaftlich umsetzbar sein. Aus diesen Vorgaben resultierten insgesamt vierzig 28 m x 3,75 m x 1,60 m große, jeweils selbstständig tragende Hohlkästen. Diese wurden komplett mit Oberlichtöffnungen, Entwässerungsleitungen und Wärmedämmungen vorgefertigt, angeliefert und per Autokran zunächst auf ein Hilfsgerüst eingehoben. Die Vordachelemente bestehen aus Längsrippen und Querträgern in Brettschichtholz sowie aus bis zu 20 m langen Furnierschichtholz-Beplankungsplatten, die zusammen für eine hohe Steifigkeit und geringe Verformungen sorgen. Beeindruckend ist angesichts der enormen Auskragung v. a. die Leichtigkeit, mit der die Elemente im Gebäude rückverankert sind – zumal der Teil über dem Innenraum lediglich 9,3 m lang ist und jeweils auf vier Punkten aufliegt. Die druckbelasteten Pendelstützen in Fassadenebene dienen je zwei benachbarten Elementen als Auflager. In die Hohlkästen integrierte verstärkte Querträger sowie Kopfplatten mit Querdruckverstärkungen gewährleisten dabei die erforderliche Lastverteilung. Die Auflager entlang der fassadenparallelen Glaswände zur Sporthalle bzw. zum Innenhof nehmen hingegen nur Zugkräfte auf, die mittels Zugstangen in Rückverankerungen im Boden eingeleitet werden. Rund 1 m lange Schrauben in den Querträgern der Hohlkästen übernehmen dabei die Kraftübertragung. Kleiner Wermutstropfen: Brandschutzbestimmungen führten dazu, dass die Zugstäbe mit Brandschutzbekleidungen aus Holz versehen werden mussten, die sie massiver erscheinen lassen als die druckbelasteten Pendelstützen. Die horizontale Aussteifung erfolgt über die Anbindung des Dachs an Treppenhauskerne und andere Betonwände.

Neue Landmarke im Olympiapark

Der TUM Campus ergänzt den denkmalgeschützten Olympiapark um ein selbstbewusstes, ikonisches Bauwerk, das auf den ersten Blick keinen Bezug auf die denkmalgeschützten Olympiabauten nimmt. Mit seinen dunkel lasierten Holzfassaden und der zurückhaltenden Gestaltung erscheint der TUM Campus, der von 125 000 Studierenden und 30 000 Beschäftigten aller Münchner Universitäten und Hochschulen genutzt wird, vielmehr auf angenehme Weise geerdet. Entwurfsentscheidungen basierten hier immer auch auf funktionalen Aspekten. Das zeigt sich nicht zuletzt am Vordach: Im EG unter der Mensa sind Sportlabore untergebracht, in denen Forscher die Leistungsperformance von Sportlern während und nach den Trainingseinheiten untersuchen. Dank des weit über der Außenterrasse und Teilen der Laufbahnen schwebenden Vordachs können diese Messungen witterungsgeschützt stattfinden. Zugleich lässt das Dach einen geschützten Zuschauerbereich für Sportveranstaltungen auf der Leichtathletik-Außenanlage entstehen. Auf den zweiten Blick offenbart der TUM Campus dann doch subtile Parallelen zu den legendären Zeltdachkonstruktionen: die Alltagstauglichkeit, die weitläufige räumliche Offenheit und die Leichtigkeit eines Tragwerks, das die Grenzen des Machbaren austestet. Es ist diese Art der bescheidenen Reduktion auf das Wesentliche, die den Neubau zum selbstverständlichen, integralen Teil des Olympiaparks werden lässt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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