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db deutsche bauzeitung 2023|06
Am Wasser
db deutsche bauzeitung 2023|06

Einkehr am Teich

Wegkapelle in den Waldnaabauen

Die Tirschenreuther Teichpfanne ist eine amphibische Landschaft aus mehreren Tausend Fischteichen, die im Mittelalter von Zisterziensern der Abtei Waldsassen angelegt wurden. Wie eine geistliche Kartierung durchziehen dieses oft unwirtliche »Stiftland« Wegkapellen und -säulen. Eine moderne Variante dieser kleinen Orientierungs- und Zufluchtorte entstand nun im Naturschutzgebiet in den Waldnaabauen.

5. Juni 2023 - Christoph Gunßer
Peter Brückner ist schon als Bub durch die »Teichpfanne« gestromert. Eine »verwunschene Landschaft« nennt er diese ausgedehnte Senke um seine Heimatstadt, wo bis heute Karpfen gefischt werden: 10 000 ha ohne einen öffentlichen Verkehrsweg! Doch viele der Teiche verlanden, der Klimawandel, aber auch Biber und Otter verändern die Landschaft.

Bis in die 80er Jahre war hier ein 470 ha großer Stausee zur Versorgung der Ballungsgebiete geplant. Naturschützern gelang es schließlich Ende der 90er, das Naturschutzgebiet Waldnaabaue auszuweisen. Hier lassen sich über 300 besonders schützenswerte Tier- und Pflanzenarten beobachten, sogar Seeadler haben sich kürzlich angesiedelt.

Mittlerweile Architekt in Tirschenreuth, erarbeitete Peter Brückner in den Nullerjahren ein Konzept zur Besucherlenkung in dem sensiblen Gebiet. Entlang der stillgelegten Bahntrasse, die mitten hindurchführt, richtete er mehrere Stationen ein, an denen die Besucher etwas über die Kulturlandschaft erfahren. Eine 20 m hohe »Himmelsleiter«, die einen Überblick über die flache Teichlandschaft ermöglicht, und ein poetisch geschwungener hölzerner Steg für Wanderer waren 2011/12 seine ersten baulichen Beiträge.

Mit kleinem Budget

Auch eine Kapelle am Wasser war von Anfang an Teil von Brückners Planungen, doch es sollte dauern, bis er sie realisieren konnte. Erst ein Förderbescheid der EU und eine erfolgreiche Spendenaktion in der Bevölkerung machten sie 2022 möglich. 270 Spenderinnen und Spender trugen weit über die Hälfte der rund 270 000 Euro Baukosten. Als Initiator und Bauherr firmierte der lokale Rotary Club. Dessen Präsident seinerzeit: Peter Brückner. Die Entscheidungswege sind bekanntlich kurz in der Provinz. Für ihn ist die Kapelle darum »ein soziales Projekt«.

Eine kleine Halbinsel an einem trockengefallenen Teich wurde zum Standort, weil hier der Baugrund nach Auskunft des Statikers »wenigstens gleichmäßig schlecht« war. Die Teichpfanne ist in weiten Teilen ein Kaolinsumpf. Der Weißton war auch der Grund, dass sich in der Gegend die Porzellanindustrie ansiedelte. Das ist allerdings auch schon Geschichte. Brückner berichtet, der Sand an den Badeseen sei stellenweise so weiß gewesen, dass sie die Ufer »Hawaii« tauften.

Ein Abfallprodukt des Kaolinabbaus, der noch stattfindet, wanderte als Zuschlag in den Beton für den Sockel der Kapelle. Die umlaufende Sitzbank und die höheren Aufkantungen strahlen daher in kreidigem Weiß (und, Achtung, sie färben auch etwas ab).

Seit Langem betrieb Brückner Studien zu historischen Wegkapellen der Region. Beim Aufmaß stellte er gewisse Regelmäßigkeiten fest, etwa dass sie meist längsrechteckig sind und dass es Ecken für die Volksfrömmigkeit gibt, wo die Besucher Gaben oder Kommentare hinterlassen können. Das übernahm er in sein Konzept, das er vorwiegend an einem Modell entwickelte.

3 x 6 x 9 m misst der kleine Bau, der schlank und hoch am Teich aufragt. Der wurde nach dem Rohbau wieder geflutet. Sein Pegel schwankt um 5-10 cm. Von den Überlaufkästen, auch »Mönche« genannt, dringt stets ein leises Gurgeln und Murmeln herüber, sonst ist es im kühlen Vorfrühling hier atemberaubend still.

Himmel und Erde verbinden sich

»Die Kapelle steht mit dem Fuß im Wasser«, sagt Brückner. Sie wächst aus dem Teichgrund, aus der Erde. Den Part des Himmels übernimmt ein Bündel aus 325 Holzbalken, jeder ebenso dick wie die betonierten Aufkantungen, nämlich 25 cm. Die Schattenfuge zwischen »Erde« und »Himmel« bilden die Flansche der umgekehrt liegenden Stahl-T-Träger, in welche die Balken eingelassen und in denen sie verankert sind. Untereinander sind die außen sägerauen, innen gehobelten Hölzer durch schräg hineingetriebene, 50 cm lange Schrauben verbunden. Das mondgeschlägerte Fichtenholz wurde eineinhalb Jahre an der Luft getrocknet, ehe es der Zimmerer zur Baustelle brachte.

Dass das Balkenbündel kein reiner hohler Zweckbau ist, deutet sich bereits beim Näherkommen an: Im beinahe haushohen Eingangsspalt springen weitere Balkenlagen stufenweise zurück. Es handelt sich also nicht um eine Hülle, sondern um einen massiven Block, aus dem der Innenraum höhlenartig herausgeschält zu sein scheint.

Natürlich setzte man beim Bau die Aneinanderreihung der Balken einfach nach innen fort und nahm beim Vorbau immer kürzere Balkenabschnitte. Die 9 m Höhe von außen, bekrönt von einem Schlitzfries für ein Geläut und für Fledermäuse, erreicht der Innenraum erst auf der Seeseite, wo ein Vorsprung des Betonsockels eine Art Altar darstellt. Hier brennen meist Kerzen, was das dritte Element ins Spiel bringt (das vierte, die Luft, riecht nach Holz und Morast). Ansonsten fällt von oben aus dem sich kaminartig verengenden Luftraum das einzige Tageslicht.

Die etwas grob und atektonisch wirkende silbrige Lage Aluminium – auf die Balken applizierte Hammerschlagplatten – intensiviert das zenitale Licht für die Andacht haltenden oder auch nur Schutz suchenden Menschen. Ihnen wird indes jeder weitere Ausblick auf die Natur verwehrt. Einkehr ist das Thema dieses Raums. Allein durch die Ritzen des im Jahreszyklus schwindenden und quellenden Holzes fällt etwas direktes Sonnenlicht. Wer den Ausblick aufs (brackige) Wasser genießen will, muss um zwei Ecken herum auf die Sonnenbank (siehe Autorenfoto).

Den oberen Abschluss des Blocks bildet eine Wanne aus Titanzinkblech, aus der drei dünne Röhren als Wasserspeier ragen. Durch Blätter von den umgebenden Birken und Erlen war der Abfluss bereits verstopft, sodass Wasser in den Innenraum drang. Die Fischerhütten in der Umgebung mit ihren weit auskragenden Satteldächern waren da pflegeleichter konstruiert. Schwarzgrau wie diese wird der Holzblock auf absehbare Zeit werden und im Waldesdunkel aufgehen.

Im Geiste der Zisterzienser

Noch aber strahlt das honigfarbene Holz über dem Wasserspiegel, der das kleine Bauwerk noch erhabener und kraftvoller scheinen lässt. Zweifellos steht die Minikirche in der Tradition der die Natur überhöhenden, ihren Eindruck steigernden Bauwerke aller Zeiten. In ihrer Schlichtheit erscheint sie indes geistesverwandt mit dem Bauethos der Zisterzienser, die als fleißig, aber bescheiden galten.

Eher unbescheiden dürfen sich im heiligen Raum die Stifter präsentieren: Blitzblanke Tafeln prangen ringsum, wo sonst eher Votivbilder und dergleichen hängen. Das mag den Stolz der vielen Wohltäter auf ihr gemeinsam vollbrachtes Werk stärken, aber der Architektur, dem Raumeindruck tut es nicht gut. Dies gehörte doch eher ins Vestibül, wo bereits das (rege benutzte) Gästebuch und sonstige Gaben liegen, oder in den Außenraum.

Die Menschen, Jogger, Radler, Wanderer, Touristen, sie frequentieren die Einkehr am Wege. »Nach der Etappe ein kurzes Gebet« notiert ein dankbarer Sportler im genannten Buch. Es ist bereits das dritte seit der Eröffnung. Zur ökumenischen Weihe des Kirchleins, die selbstredend trotz Kreuzzeichen überkonfessionell gedacht ist, wanderte viel Volk herbei; nach Tirschenreuth sind es gut 2 km; Parkplätze gibt es nur für Fahrräder.

Auch Peter Brückner radelt noch oft durch das Paradies seiner Kindheit, das er mit seinen Bauten um die Trias »Aufstieg – Übergang – Einkehr« bereichert hat. Und weitere Kleinbauten sind geplant: eine begehbare Variante des zuvor erwähnten »Mönchs« und ein Ausguck für Vogelfreunde.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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