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db deutsche bauzeitung 2023|07
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Kultur als Retter?

Theaterneubau im spanischen Illueca (E)

In der spanischen Provinz haben Magén Arquitectos einen beeindruckenden Bau realisiert, der alle Erwartungen erfüllt. Entstanden ist ein Theater von hoher Qualität, das sich in seiner Materialität gut in die Altstadt einfügt.

6. Juli 2023 - Rolf Mauer
Architektur hat manchmal sehr schwierige Aufgaben zu erfüllen. Wir erinnern zum Beispiel an den viel zitierten Bilbao-Effekt – eine Umschreibung für die gezielte Aufwertung von Städten durch spektakuläre Bauten. Mit diesem Begriff benennt man die städtebauliche Situation in Bilbao im Zusammenhang mit dem im Jahr 1997 fertiggestellten Guggenheim-Museum des US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry.

Bilbao, eine Stadt, die unter dem Niedergang ihrer bedeutenden Industrie zu leiden hatte, erfand sich neu und ließ sich von dem amerikanischen Architekten Frank O. Gehry eine spektakuläre Architekturikone bauen. Diese Architektur wurde zum Symbol für die Neuerfindung der Stadt, die heute zu einer der bekanntesten Städte der Welt zählt.

Lernen von Bilbao?

Der Bilbao-Effekt wurde oft kopiert und fast immer ging es schief. Warum erzählen wir hier davon? Weil auch kleinere Städte versuchen, diesen Effekt zu kopieren, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, also ihre Lebensfähigkeit, zu erhalten. Ein ähnlicher Versuch, städtisches Leben durch Architektur zu fördern, startete im spanischen Illueca. Die Kleinstadt mit weniger als 3 000 Einwohnern liegt westlich von Zaragossa und ist das Verwaltungszentrum von Aranda, einem der am dünnsten besiedelten Gebiete Aragoniens. Jahrhundertelang lebte man hier als landwirtschaftliche Selbstversorger.

Um der Entvölkerung entgegenzuwirken und Freizeitangebote zu schaffen, schrieb der Stadtrat einen Wettbewerb für den Bau eines Theaters an der Stelle des alten Kinos aus. Obwohl Aragonien die viertgrößte Region Spaniens ist, gibt es keine Strände und eine eintönige Landschaft.

Das Fehlen jeglichen Massentourismus lässt diesen Teil des Landes sehr ursprünglich erscheinen. Trotzdem sucht man sein Heil im Tourismus, denn es fehlen schlicht Alternativen. Um das kulturelle Leben in Illueca zu fördern, schrieb die Stadtverwaltung einen Wettbewerb aus: Auf dem Gelände eines alten Kinos – wer braucht heute noch Kleinstadtkinos – sollte ein gemeinsamer Veranstaltungsort für Theater, Konzerte und Filmvorführungen entstehen, mit Platz für eine Musikschule und einem Proberaum für die Musiker des Ortes.
Den Wettbewerb gewann 2016 das Büro Magén Arquitectos aus dem nahe gelegenen Zaragoza, das von den Brüdern Jaime und Francisco Javier Magén geleitet wird. Das erfolgreiche Büro der beiden arbeitet bevorzugt in Spanien und Deutschland und wird international wahrgenommen.

Ziegel als Fassadenmaterial

Die geforderten 1 000 m² Nutzfläche wurden in ein Volumen gepackt, das im Inneren große Räume zulässt, von außen aber als kleinteilige und kleinstädtische Struktur wahrgenommen wird. Der Baukörper umschließt den vorher vom Kino besetzten städtischen Block entlang der östlichen Innenstadtgrenze und schließt im Norden an die dortige Wohnbebauung an. Die schmalen innerstädtischen Wege und die Blockränder wurden neu definiert. An der Stelle des Eingangs ist die Fassade zurückgesetzt und definiert auf unaufdringliche Art den Eingang zum Haus.

Die benachbarte Ruine des alten Kinos erschien den Eigentümern angesichts des Neubaus wohl zu schäbig, sodass hier ein Reinemachen durch Abriss stattfand. Eine städtebauliche Maßnahme, die noch nicht abgeschlossen ist. Lediglich eine neue Mauer grenzt die benachbarte innerstädtische Brache ab. Ob die Aufwertung des kulturellen Lebens in Illueca gelingt, wird auch davon abhängen, wie sich die unmittelbare Nachbarschaft weiterentwickelt. In jedem Fall haben die Architekten die Messlatte für die weitere Entwicklung dieses Areals hoch gelegt.

Um sich den ortsüblichen, massiv gebauten Fassaden mit ihren klein dimensionierten Fensteröffnungen anzupassen, wählten die Architekten den Ziegel als Fassadenmaterial und setzten zugleich auf die innenarchitektonischen Qualitäten dieses schönen Werkstoffes. Aus dem Foyer ergeben sich fein temperierte Ausblicke, die daraus resultieren, dass dieser Bau trotz massiver Ziegelwände außen und innen, sowie einer Sichtbetondecke eine grazile innenräumliche Ausstrahlung hat.

Unterschiedliche Ziegeloberflächen

Lochziegelwände, hinter denen sich eine Glasfassade mit Holzprofilen verbirgt, lockern die Fassade auf. Abhängig vom Sonnenstand beleben die dadurch entstehenden Schattenspiele die Wände. Gleichzeitig sind kleinformatige, pointiert gesetzte Fenster in die Fassade eingelassen. Sie wirken wie zufällig entstanden und zitieren damit die gebaute Nachbarschaft, deren Fassaden von unzähligen Umbauten erzählen.

Die Kleinteiligkeit der Fassade setzt sich im Inneren fort. Durch die Verwendung unterschiedlicher Ziegeloberflächen und -formate im Wechsel mit verputzten Wandflächen wirkt das Foyer wie ein überdachter städtischer Platz. Da die unmittelbar angrenzende, bebaute Nachbarschaft eine entsprechende Qualität noch vermissen lässt, hält man sich hier gerne auf. Das ist letztlich das Ziel des Auditoriums: Durch hochwertige Architektur eine Aufenthaltsqualität zu bieten, die dieses Haus mit Leben füllt. Ganzglasgeländer flankieren die Wege in den oberen Geschossen und steigern die Transparenz. Auch wenn wir uns wiederholen: Trotz massiver Wandscheiben und einer schweren Sichtbetondecke ist das im Grunde ein leicht wirkendes Haus.

Aufenthaltsqualität

Das eigentliche Theater mit seiner akustisch wirksamen, perforierten Holzverkleidung, der roten Bestuhlung und dem geschwungenen Dach unterstützt traditionelle Sehgewohnheiten. Der Saal bietet Platz für 224 Zuschauer, eine durchgehende Bestuhlung mit verschiedenen Bereichen, darunter ein leicht ansteigendes Parkett und Balkone im Oberrang.

Ob die seitlichen Balkone an allen Plätzen die notwendige Theaterqualität einer guten Sicht auf die Bühne bieten, darf bezweifelt werden. Zumal die Einzelsitze auch dem gemeinsamen Erleben entgegenwirken. Etwas Dialog braucht auch der Zuschauer, solange er diskret ist und nicht stört.

Die rote Bestuhlung zitiert die Farbe des Backsteins, ansonsten ist der Verzicht auf farbige Flächen einer der Gründe für die zurückhaltende Qualität des Auditoriums. Lässt sich der Bilbao-Effekt mit überdurchschnittlicher Architektur wiederholen? Nein, denn es war nicht die Architektur von Gehry, die Bilbao aus seiner Situation als „verrottende Industrieleiche“ rettete, sondern ein wirtschaftlicher Umbau mit dem Schwerpunkt Tourismus. Gehry setzte nur den pointierten Schlussstein.
Magén Arquitectos haben es konsequent vermieden, Architektur mit Bedeutung aufzuladen. Die wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen gehen von den Menschen aus.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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