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db deutsche bauzeitung 2024|01-02
Kulturbauten
db deutsche bauzeitung 2024|01-02

Zentrum für Kunstproduktion »Powerhouse Arts« in New York City

Durch die Sanierung und Erweiterung eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstand ein 15 800 m² großes multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion. Alt und neu bilden ein kraftvolles, konsistentes Bauensemble, das sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Kunst stellt.

8. Januar 2024 - Roland Pawlitschko
Der Gowanus-Kanal ist ein verzweigter Seitenarm der Upper Bay, angelegt Mitte des 19. Jahrhunderts, um ein Industrieareal im Stadtteil Gowanus in Brooklyn an das Wasserstraßennetz New Yorks anzubinden. Inzwischen sind die meisten Betriebsgebäude abgebrochen und die giftigen Altlasten aus dem Kanal entfernt, sodass die benachbarten Wohnviertel zusammenzuwachsen beginnen – erste Wohnhochhäuser sind bereits fertiggestellt. Einer der wenigen erhaltenen baulichen Zeugen der Industriegeschichte des Areals ist das 1904 fertiggestellte Kohlekraftwerk der Brooklyn Rapid Transit Company, das einst U-Bahnen mit Strom versorgte. Umstrukturierungen und modernere Energieerzeugungsmethoden führten in den 50er Jahren zum Abbruch des Kesselhauses und 1972 zum Betriebsschluss auch in der direkt angrenzenden Turbinenhalle. Letztere wurde anschließend von Hausbesetzern und der Graffitiszene eingenommen und war Veranstaltungsort für Underground-Raves.

Dieser Teil der Kraftwerksgeschichte endete 2015, als Joshua Rechnitz die Non-Profit-Organisation Powerhouse Arts gründete, die das Kraftwerk mit seiner tatkräftigen finanziellen Unterstützung kaufte, um hier ein multidisziplinäres Zentrum für die Kunstproduktion einzurichten. In den Produktionsanlagen und Werkstätten für Holz, Metall, Keramik, Textilien und Druckgrafik können Künstler und Kultureinrichtungen ihre Werke selbst herstellen oder produzieren lassen. Zudem stehen ihnen Ausstellungs- und Eventflächen zur Verfügung. Mit der Planung betraute die Organisation die Architekten des Büros Herzog & de Meuron, die die Turbinenhalle behutsam sanierten und um einen Neubau erweiterten.

Identitätsstiftende Landmarke

Eines der wichtigsten Ziele der Architekten war es, die alte Bausubstanz der Turbinenhalle und die Spuren ihrer wechselvollen Geschichte zu erhalten und nahtlos in den Kunstbetrieb des Powerhouse Arts zu integrieren. So blieb nicht nur das äußere Erscheinungsbild des als Stahlbau mit feingliedriger Ziegelfassade errichteten Gebäudes bestehen, sondern auch ein Großteil der in den letzten 50 Jahren darin entstandenen Graffiti. Als augenscheinlich neue Elemente sind heute von außen lediglich die bogenförmigen Fenster und der Haupteingang an der Ostseite auszumachen. Unverkennbar neu ist natürlich auch der auf den alten Fundamenten des Kesselhauses in Stahlbetonbauweise errichtete Kubus, dessen Grundfläche und Höhe ebenso mit dem Vorgängerbau übereinstimmen wie die Größe und Lage der Bogenfenster in der Ost- und Westfassade. Dass die Erweiterung nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die Turbinenhalle, obwohl sie diese um einige Meter überragt, liegt an der schlichten, schmucklosen Gebäudehülle und am rötlich durchgefärbten Sichtbeton, der unverkennbar Bezug auf die Ziegel des Altbaus nimmt.

Der Haupteingang des Powerhouse Arts liegt – von der 3rd Avenue und mit mehreren U-Bahn-Linien leicht erreichbar – an der Ostseite der Turbinenhalle, während sich der Anlieferungshof an der Gebäuderückseite am Gowanus-Kanal befindet. Angesichts der Gebäudegröße wirkt der kaum 5 m breite und 3 m hohe Eingang auf den ersten Blick vergleichsweise bescheiden. Für die Dimensionen der neu in die Außenwand gebrochenen Öffnung gibt es jedoch gute Gründe: beispielsweise den Wunsch nach einem minimalinvasiven Eingriff, der es ermöglichte, so viel wie möglich von der historischen Bausubstanz zu erhalten. Eine Rolle spielten aber auch Nebenräume und Fluchttreppenhäuser, die die Architekten gebündelt im Bereich über und neben dem Eingang anordneten, um so die Kernfläche der Turbinenhalle frei gestalten zu können. Der wichtigste Grund resultiert jedoch aus der von Anfang an verfolgten Entwurfsidee, mit dem Eingang eine starke räumliche Sequenz aus komprimierten und dekomprimierten Räumen zu schaffen, sodass das Gebäudeinnere nach Passieren des Windfangs umso großzügiger erscheint.

Klare Strukturen

Haben Künstler:innen, Mitarbeiter:innen und Gäste das Eingangsfoyer erst einmal erreicht, finden sie sich in einem schmalen, hohen Raum, der mit Empfangstresen, Cafébereich und Sitzstufen die gesamte Breite der Turbinenhalle einnimmt und voller Geschichte(n) steckt. Sorgfältig restaurierte genietete Stahlstützen und -träger sowie behutsam gereinigte Betonbögen und Ziegelwände mit Graffiti zeugen von vergangenen Zeiten. Dagegen verweisen ein neuer Holzdielenboden, eine mächtige neue Sichtbetonwand und neue Stahltreppen zu den OGs auf die heutige Nutzung – beim Blick nach oben ist ein Teil der Stahl-Dachkonstruktion zu erkennen. Der zunächst nur gefühlte Eindruck eines extrem klar strukturierten Raums bestätigt sich bei der Lektüre der Grundrisspläne. Dabei wird beispielsweise klar, dass die Sichtbetonwand Teil eines zweigeschossigen Betonskelettkörpers ist, der – gleich einem Schiff in der Flasche – in die Turbinenhalle implantiert wurde. Im überhohen EG befinden sich Werkstätten für großmaßstäbliche, schwere Objekte insbesondere aus Metall, die über die Anlieferung leicht abtransportiert werden können. Im OG des Betonkörpers sind v. a. Büros und ein kleiner Vortragssaal untergebracht.

Die im Neubau in allen sieben Geschossen entlang der nördlichen Außenwand der Turbinenhalle angeordnete Nebenraumzone mit Aufzügen, Treppen und Sanitärräumen ermöglicht die flexible Nutzung der Werkstattbereiche für Holz, Keramik, Druckgrafik und Textilien sowie der zweigeschossigen Eventhalle. Ebenfalls in diesem Bereich untergebracht sind Lüftungsgeräte, die die Abluft der emissionsintensiven Nutzungen der obersten Geschosse (Druck und Keramik) auf kurzem Weg zu den Absauganlagen auf dem Dach befördern. Diese Anlagen befinden sich neben weiterer Gebäudetechnik in zwei langen rechteckigen Einhausungen, die an die Schornsteine des historischen Kesselhauses erinnern.

Die Gestaltung sowohl des Betonkörpers in der Turbinenhalle als auch des Erweiterungsbaus basiert auf derselben Architektursprache und denselben Materialien. Tragwerkselemente sind in Sichtbeton ausgeführt, für den weder Zeichnungen angefertigt noch besondere Anforderungen definiert wurden. Hinzu kommen gewöhnliche Betonsteine für Mauerwerkswände, Glas-Trennwände mit Rahmen aus verzinktem Stahl, graue Estrichböden und an Wänden und Decken stets sichtbar geführte Installationen. So entsteht eine unprätentiöse, robuste Werkstattatmosphäre, die dank des Verzichts auf exaltierte Sonderlösungen zugleich half, die Kosten im Zaum zu halten. Einziger, immer wiederkehrender Farbakzent ist der rote Farbton, der seit jeher zur Grundierung von Stahlbauteilen verwendet wird – auch die Stahlkonstruktion des alten Gebäudes war hiermit versehen. Heute erscheinen nicht nur diese, sondern auch sämtliche neuen Stahlbauteile, Fensterrahmen, Geländer, Leuchten, Technikelemente und die Fassade des Neubaus in dieser Farbe. Letztere besteht aus durchgefärbtem Beton, bei dem die Schalung mit einer speziellen Flüssigkeit behandelt wurde, die das Abbinden verzögert und es so nach dem Ausschalen möglich machte, die obere feine Zementschicht abzuwaschen. Resultat ist eine angeraute, vorgealterte Betonfassade, die perfekt mit der Ziegelfassade der Turbinenhalle harmoniert.

Lebendige Geschichte

Die Grand Hall im obersten Geschoss der Turbinenhalle dient als Ort für Ausstellungen, Aufführungen, Kunstinszenierungen, Kunstmessen und andere öffentliche Veranstaltungen und fasst bis zu 1 234 Besucher. Sie füllt den kompletten Raum über der in die Halle implantierten Betonskelettkonstruktion und lässt das eng verzahnte Miteinander von altem Kraftwerk und neuer Nutzung so intensiv wie nirgendwo sonst im Powerhouse Arts erleben. Die überwältigende Raumwirkung basiert auf der gleichermaßen wuchtigen wie filigranen historischen Stahl-Dachkonstruktion, die so gut in Schuss war, dass nichts komplett ersetzt werden musste, und die dank der Sprinkleranlage unbekleidet bleiben konnte. Eine Rolle spielen natürlich auch die vielen großflächig erhaltenen Graffiti, die nur dann in Mitleidenschaft gerieten, wenn neue Wanddurchbrüche für Installationen oder Türen unerlässlich waren. Herausgebrochene Ziegel wurden jedoch nicht entsorgt, sondern zum Aufmauern neuer Wände oder zum Ausbessern alter Wände verwendet. Da die farbigen Vorderseiten dann nicht immer perfekt zusammenpassten oder nur unvollständige Bilder zeigten, entstanden einige skurrile Graffiti-Puzzles. Diese zeugen – ebenso wie die sichtbaren Schnittflächen abgeschnittener Stahlträger – von einem gewissen Pragmatismus der Architekten sowie von ihrem Wunsch nach Authentizität. Mit beidem feiern sie die Geschichte des Orts und schaffen Bezüge zur Kreativität des hier stattfindenden handwerklich-künstlerischen Geschehens. Ging es früher um die Erzeugung von Energie für U-Bahnen, sprüht das Powerhouse Arts heute nur so vor kreativer Energie. Zugleich sorgt es aber auch für den Verbleib des verarbeitenden Gewerbes in diesem Viertel und wirkt so der in Brooklyn allgegenwärtigen Gentrifizierung entgegen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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