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tec21 2006|26
Energie plus Umwelt
tec21 2006|26
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Regionale und globale Bautätigkeit

Die geringe Veränderungsrate des Gebäudeparks hat zur Folge, dass der Energieverbrauch der Gebäude in den Industrieländern nur langsam sinkt. Gleichzeitig wächst der Gebäudebestand in den Schwellenländern in hohem Tempo. Will die Schweiz global einen Beitrag zur Lösung der Energieprobleme leisten, sollte sie energieeffizienten Technologien in Schwellenländern zum Durchbruch verhelfen.

23. Juni 2006 - Bruno Keller
Zurzeit werden in der Schweiz etwas mehr als 10% der Neubauten in Minergie-Bauweise und ein kleiner Teil davon in Minergie-P-Bauweise erstellt. Damit gehört die Schweiz zu den Musterknaben unter den Industriestaaten, zumindest was die Energieeffizienz im gemässigten Klima betrifft. Es besteht die Hoffnung, dass dieser Anteil zunimmt und sich diese Standards auch bei Umbauten und Sanierungen etablieren.

Langsamer Erneuerungsprozess

Um mittel- bis langfristige Perspektiven entwickeln zu können, sind einige statistische Daten zu berücksichtigen. Der Versicherungs- beziehungsweise Neubauwert des Schweizer Gebäudeparks beträgt 2200 Milliarden Franken. Im Jahre 2003 wurden 33.8 Milliarden Franken in den Hochbau investiert. Das entspricht 7.8% des Bruttoinlandproduktes der Schweiz (BIP 2002: 431 Milliarden Franken). Die wertmässige Veränderung des Gebäudeparkes beträgt 1.7% pro Jahr, die flächenmässige Veränderung der Wohnungen 0.87% pro Jahr. Damit wird deutlich, dass die Veränderungsrate sehr gering ist. Mit anderen Worten: Es wird sehr lange dauern, bis der gesamte Gebäudepark in der Schweiz erneuert ist. Und weil die Investitionen in den Hochbau heute schon 7.8% des Bruttoinlandproduktes ausmachen, lässt sich der Erneuerungsprozess auch nicht beliebig beschleunigen. Hinzu kommt, dass die inländische Bautätigkeit in Bezug auf die Handelsbilanz nicht exportrelevant ist – im Ausland lässt sich damit also kein Geld verdienen. Was bedeutet das für die Zukunft? Betrachten wir ein sehr optimistisches Szenario: Ab sofort würden alle Neu- und Umbauten in Minergie oder in Minergie-P ausgeführt. Eine Veränderungsrate von beispielsweise 1.5% pro Jahr wirkt sich nicht linear aus, da sich diese immer auf alle bereits bestehenden Bauten, also auch auf die bereits veränderten, bezieht. Bild 3 zeigt, dass es bei einer konstanten Veränderungsrate von 1.5% 80 Jahre dauern würde, bis 70% des Gebäudeparks erneuert wären.

Der mittlere Energieverbrauch für den Gebäudebetrieb in der Schweiz beträgt zurzeit etwa 550 Megajoule (MJ) pro m2 und Jahr. Geht man für alle Minergie-Bauten von einem jährlichen Verbrauch von 120 MJ/m2 aus (entspricht 33kWh/m2), so sinkt bei einer jährlichen Erneuerungsrate von 1.5% der Energieverbrauch in 10 Jahren auf 89% und in 50 Jahren auf 58% des heutigen Verbrauchs. Bei Minergie-P-Bauten mit einem jährlichen Energieverbrauch von 70 MJ/m2 (19.4kWh/m2) sinkt dieser in 10 Jahren auf 88% und in 50 Jahren auf 53% (Bild 1).

Diese Zahlen verdeutlichen, dass der Energieverbrauch der Gebäude nur langsam zurückgeht – selbst dann, wenn alle Neu- und Umbauten in Minergie erfolgten. Zudem ist der Unterschied zwischen Minergie und Minergie-P relativ gering. Während mit Minergie der Energieverbrauch in 50 Jahren auf 57.8% des heutigen Verbrauchs sinkt, sind es bei Minergie-P 53.2%. Die
Differenz beträgt also lediglich 4.6%. Das Problem liegt nicht bei den neuen Technologien, sondern beim grossen Bestand der bestehenden Bauten. Die energetisch sehr schlechten Gebäude der 1960er- und 1970er-Jahre werden uns somit noch lange beschäftigen. In Anbetracht des bereits relativ hohen Anteils des Hochbaus am Bruttosozialprodukt ist bei unveränderten Rahmenbedingungen in Zukunft auch nicht mit einer wesentlichen Steigerung der Investitionen und damit der Veränderungsrate zu rechnen.

40% der Energie für Gebäude

In der Schweiz macht der Energieaufwand für den Gebäudebetrieb etwa 40% des Gesamtenergieverbrauchs aus. Zählt man alle weitere im Haushalt anfallende Energie hinzu, sind es etwa 50%. Der Energiebedarf des Gebäudeparks ist somit der «grösste Brocken». Im Durchschnitt der Industrieländer dürfte der gebäudebedingte Energiebedarf ebenfalls bei etwa 40% des Gesamtaufwandes liegen. Einige Länder brauchen weniger Energie zum Heizen, dafür mehr zum Kühlen. Bedenkt man, dass die Schweiz in Bezug auf einen geringen Energiebedarf der Gebäude weltweit an der Spitze liegt, dann kann man daraus folgern, dass der Energiebedarf der OECD-Länder für den Gebäudebereich nicht rascher abnehmen wird als in der Schweiz.

Obwohl nur 18.5% der Weltbevölkerung in den OECD-Staaten leben, verbrauchen diese 52% des Weltenergieverbrauchs (Bild 4). Eine globale Betrachtung kommt heute um den Einbezug von Ländern wie China und Indien nicht mehr herum. Sollte China irgendwann den Energiestandard der USA von heute erreichen, so würde dies ein Anwachsen des Weltenergieverbrauchs um 85% bedeuten. Würde China dereinst das Niveau der Schweiz erreichen, so ergäbe dies immer noch ein Anwachsen um 34%. Somit liegt es im ureigensten Interesse der Industriestaaten, den Chinesen zwar den bei uns schon längst selbstverständlichen Lebensstandard zuzugestehen, ihnen aber zu helfen, dies mit wesentlich weniger Energieaufwand, also mit viel höherer Effizienz, zu erreichen.

In China entstehen gegenwärtig jedes Jahr etwa 1.2 Mrd. m2 Bruttogeschossfläche. Das entspricht ungefähr zwei Mal der gesamten Gebäudenutzfläche der Schweiz. Doch selbst wenn dies in den nächsten zehn Jahren so anhält, wird die verfügbare Fläche in China erst 35 m² pro Kopf erreichen, also wesentlich weniger als in der Schweiz mit 45 m² pro Kopf. Der mittlere Energiebedarf für Gebäudeheizung und -kühlung liegt in China heute bei 590 MJ pro m2 und Jahr, bei sehr unterschiedlichem Komfort. Die Zunahme der Gebäudefläche in China bringt ein Anwachsen des Energiebedarfs um jährlich 7670 Petajoule (PJ) mit sich. Dies entspricht 1.80/00 des Weltbedarfs oder 1.5% des Bedarfs von China.

Steigender Weltenergiebedarf

Bezogen auf den Energiebedarf der Gebäude lässt sich berechnen, was geschehen wird, wenn dieser Bedarf weiter so anhält und auch befriedigt wird. Bild 6 zeigt die Veränderung des Weltenergiebedarfs für den Fall, dass Chinas Baubestand unvermindert anwächst, einerseits ohne Massnahmen in den OECD-Ländern und andererseits, falls gleichzeitig in den OECD-Ländern jährlich wenigstens 1% der Baumasse durch Minergie (100 MJ/m2a) ersetzt würde. Ohne Massnahmen in den OECD-Ländern steigt der Energieverbrauch massiv an. Aber auch beim optimistischen Szenario würde die Reduktion der OECD nicht ausreichen, um den steigenden Bedarf Chinas zu kompensieren.

Das rasante Wachstum in China dispensiert uns nicht von einem energieeffizienten Bauen. Ratsam ist dies allein schon aus Versorgungsüberlegungen und möglichen Energiekrisen. Falsch ist jedoch die Annahme, mit der Etablierung von Minergie und Minergie-P liesse sich der Energiebedarf der Schweiz bei der heutigen Erneuerungsrate rasch reduzieren. Ebenso falsch ist deshalb, dass sich der Schweizer Energiebedarf bald durch Wasser- und Windkraft allein decken lasse, wie dies gewisse Nationalräte behaupten.

In Anbetracht des sehr rasch wachsenden Energiebedarfs Chinas (und auch Indiens) einerseits sowie der sehr begrenzten Reduktionsmöglichkeiten der Industriestaaten andererseits ist in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit einem massiven Anwachsen des globalen Gesamtenergiebedarfs zu rechnen. Sollen Verteilkämpfe mit vernichtenden Folgen vermieden werden, sind alle irgendwie verfügbaren Energieressourcen zu nutzen: von Öl, Kohle, Erdgas über Wasserkraft bis hin zur Kernenergie und erneuerbaren Energien, soweit diese bereits verfügbar sind.

Energieeffiziente Technologien exportieren

Solange energieeffiziente Technologien nur bei uns zur Anwendung kommen, wird die Schweiz im globalen Massstab nicht viel bewirken. Aus diesem Grund muss es das Ziel sein, bei uns entwickelte und bewährte Technologien, wie sie zum Beispiel Minergie zu Grunde liegen, anderen Ländern wie China verfügbar zu machen und diese bei der Umsetzung zu unterstützen. Wie erste konkrete Erfahrungen des Autors in China zeigen, ist dieser Ansatz viel versprechend. So konnten beispielsweise in Beijing drei Gebäude mit insgesamt 352 Wohnungen realisiert werden, die sehr energieeffizient sind, ohne Klimatisierung auskommen und über einen hohen Komfort verfügen. Die Baukosten waren zudem geringer als für vergleichbare Wohnungen mit Vollklimatisierung.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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