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Hochparterre 06-07|2006
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 06-07|2006
zur Zeitschrift: hochparterre

Zwei Klangfeuer entfacht

Herzog & de Meuron planen auf einer Weide bei Courgenay im Jura einen Konzertsaal und Peter Zumthor soll am Schwendisee im Toggenburg ein Klanghaus entwerfen. Zwei mutige Projekte, die auf architektonische Strahlkraft und Musikgenuss in Abgeschiedenheit setzen.

30. Juni 2006 - René Hornung, Rahel Marti
Ein ‹Oeuvre d'art› nennt Georges Zaugg das Konzerthaus, das Herzog & de Meuron für eine Weide oberhalb des jurassischen Weilers Courtemautruy entworfen haben (‹Gefühlte Architektur›, Seite 45). Zaugg ist doppelter Vater des Projekts: Zum einen gründete er 1977 das kleine, aber feine ‹Festival du Jura›, das endlich einen Konzertsaal bekommen soll, der Topinterpreten und ein Toppublikum anlockt. Zaugg ist Vorsitzender der Stiftung ‹Auditorium du Jura›, die sieben jurassische Politik- und Kulturpersönlichkeiten gründeten, um das Haus mit 700 Plätzen zu bauen und zu betreiben. Zum anderen ist Georges der Bruder des Künstlers Rémy Zaugg, der bis zu seinem Tod im August 2005 oft mit Herzog & de Meuron zusammengearbeitet hatte. Georges Zaugg, Jacques Herzog und Pierre de Meuron bezeichnen das Gebäude als ihre Hommage an den Künstler; im Konzerthaus sollen Werke von ihm und anderen internationalen Künstlern ausgestellt werden. Die Brüder hatten den besonderen Platz nicht weit ihres Geburtsorts Courgenay noch gemeinsam ausgesucht. Rémy Zaugg zeichnete zwischen den künftigen Standort des Auditoriums, Le Corbusiers Kappelle in Ronchamp und dem französischen Ornans, Geburtsort des Malers Gustave Courbet, ein virtuelles Kulturdreieck.

Hört man Georges Zaugg zu, so funkelt im Entwurf ein werdendes Wahrzeichen des jurassischen Aufbruchs. „Wir beleben die Kultur im ganzen Jurabogen. Das Haus wird ein Emblem unseres Kantons mit landesweiter Ausstrahlung.“ Pierre de Meuron doppelt nach: „Es wird ein Statement für die Schweiz. Wir rücken diesen magischen Ort ins Bewusstsein.“ Der Kanton Jura liegt auf der Karte des ETH Studios Basel (HP 9/05) in einer ‹Stillen Zone›: Gebiete, die fern grösserer Zentren und eher statisch sind. „Differenzen erkennen und fruchtbar werden lassen; in einzelnen Gebieten unterschiedliche Qualitäten entwickeln“ - das Projekt in Courtemautruy liegt im Sinn des ETH Studios Basel. Georges Zaugg ist überzeugt, das ‹Auditorium du Jura› werde die jurassische Wirtschaft ankurbeln. Es locke Musikliebhaber, Architekturtouristen und Unternehmen in die Region. Die heute auf 20 Millionen Franken veranschlagten Baukosten sieht Zaugg vornehmlich in die jurassische Wirtschaft fliessen; lokale Unternehmer sollen mit einheimischem Holz bauen.

Die Weide: Glück oder Grab

Die Architektur von Herzog & de Meuron ist Zauggs Trumpf. Der magische Ort aber könnte Glück wie Grab sein. Basel und Biel sind gut 50 Autominuten entfernt, weitere Städte - Muhlhouse, Besançon, Montbéliard, Belfort, Solothurn - eine Stunde und mehr; als Infrastruktur sind lediglich 400 Wiesenparkplätze geplant. Ein Musiksaal auf der Weide im tiefsten Jura - wer fährt für ein Konzert dorthin? Das Publikum sei da, antwortet die Musikszene überraschend. „Raus aus der Stadt, hinein in einen Saal in der Natur, das wird immer beliebter“, weiss Christoph Müller, Geschäftsführer des Kammerorchesters Basel und künstlerischer Leiter des Menuhin Festivals in Gstaad.

Der Leiter Musik bei der Pro Helvetia, Thomas Gartmann, stimmt zu. Beide nennen zahlreiche Festivals, die dank dieses Konzepts grossen Zulauf verzeichnen: etwa das Schleswig-Holstein Musik Festival, das als ‹Musikfest auf dem Lande› in Gutshöfen stattfindet, oder die Schubertiade in Schwarzenberg im Bregenzerwald. Das Schweizer Musikinformationszentrum listet allein 45 Schweizer Festspiele auf, gut die Hälfte davon in ländlichen Orten. „Gerade abgeschiedene Orte ziehen ein grosses Publikum an“, ist Christoph Müller überzeugt. Die Reise sei kein Hindernis, sondern Teil des Erlebnisses. Thomas Gartmann schätzt: „In den Köpfen liegt der Jura weit weg. Doch das Projekt könnte funktionieren, wenn die Musik und die Ambiance erstklassig sind.“ Das Festival müsse ein eigenes Fenster öffnen, sich zum Beispiel in Barock-, Welt- oder zeitgenössischer Musik einen Namen schaffen. Problematisch finden aber beide Experten, dass keine Restaurants und Hotels geplant sind, die den Konzertbesuch abrunden könnten. Und beide fragen: „Wer nutzt das Haus in der festivalfreien Zeit? Das Geld für den Betrieb aufzutreiben ist schwieriger als jenes für den Bau!“

Dann könnten regionale Chöre, Gastorchester, Kongresse und Firmenanlässe das Haus füllen, zählt Georges Zaugg auf. Das tönt nach Allerweltsmix - möglich, dass die zündende Idee noch fehlt. Die Baukosten von 20 Millionen Franken sollen ganz von privaten Sponsoren und Mäzenen aufgebracht werden. Ebenso 5 Millionen Franken für einen Fonds, mit dem das Haus während der ersten Phase, die Zaugg auf 10 bis 15 Jahre schätzt, betrieben werden soll. Dass der Kanton Jura in der Rechnung nicht vorkommt, hat gute Gründe. Die Regierung lehnte ein Engagement für das Auditorium wegen der knappen Finanzen ab, sagt Jean Marc Voisard vom kantonalen Kulturamt. Dem Kanton stehen für kulturelle Institutionen und Projekte jährlich 1,2 Millionen Franken eigene Mittel und rund 1,5 Millionen aus dem Lotteriefonds zur Verfügung.

„Sehr mutige Investition“

Georges Zaugg muss Optimist sein und er steckt mit seiner Begeisterung an. Wie realistisch sind seine Pläne? Christoph Weckerle, der an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) nationale und internationale Expertisen zur Kulturpolitik erstellt, hält Zweifel für angebracht. „Sponsoren investieren in der Regel nicht in Infrastrukturen, sondern in zeitlich beschränkte Projekte; das Engagement hängt auch stark von Wirtschaftslage, Firmenprofil und Trends ab.“ Geld könnte also eher für das Festival fliessen, weniger für das Gebäude. Für die längerfristigere Perspektive, das Mäzenatentum, sei die Schweiz mit ihrer Stiftungstradition zwar prädestiniert. Doch dürfe man auch gewichtige Mäzene nicht überschätzen, wie etwa die Fondation Beyeler in Riehen zeige: „Lage, Architektur und finanzieller Grundstock waren vielversprechend, doch die Fondation braucht heute staatliche Unterstützung.“ Und was ist mit dem dritten Weg, mit dem Zaubermittel ‹Public Private Partnership›? „Der Kanton Jura müsste das Auditorium finanziell bevorzugen, um es ausreichend zu unterstützen“, meint Weckerle. Das sei in der Schweiz unüblich, hier werde niemandem viel, sondern allen ein bisschen zugesprochen. Beim Zürcher Opernhaus zum Beispiel setzt der Kanton Zürich einen solchen Schwerpunkt, es erhält jährlich über 60 Millionen Franken - die es trotzhoher Auslastung benötigt. Kein Museum, kein Konzerthaus könne von Eintritten leben. „Eine Institution wie das Auditorium du Jura wird ohne staatliche Gelder langfristig kaum überleben können, auch wenn dies zurzeit tabu ist“, sagt Weckerle, warnt jedoch: „Staatliches Geld wird knapper; in zehn Jahren ist die Situation für die Kultur prekärer als heute.“

Noch skeptischer ist Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St.Gallen. Seine Bedenken gelten Lage und Auslastung: "Der Kanton Jura ist kein ‹Hotspot›, etwa wie das Tessin." Laesser ist skeptisch, ob Musik, Architektur und Ausstellungen die erforderliche Besuchermasse an den abgelegenen Ort zu locken vermögen und ob das Reservoir an Interessierten, die immer wieder kommen, genügend gross ist. Seine Grobrechnung: 20 Millionen investierte Franken führen jährlich zu mindestens 500.000 Franken Zins- und Amortisationskosten, Betriebs- und Unterhaltskosten nicht eingerechnet. Bei 200 Betriebstagen muss jeder Tag 2500 Franken Gewinn bringen. Ist das 700-Plätze-Haus voll besetzt, muss jede Person gut 3.50 Franken Gewinn abwerfen - nur um die Bauinvestitionen zu finanzieren. „Auch wenn 20 Millionen nicht viel sind - die Investition ist sehr mutig.“ Immerhin, die erste Hürde hat das ‹Auditorium du Jura› genommen; das Stimmvolk von Courgenay erteilte dem Projekt am 22. Mai das Baurecht.

Chöre am Schwendisee

Weniger auf ein Festival-Publikum wie im Jura, sondern auf aktive Musikerinnen und Musiker ausgerichtet ist das ‹Klanghaus›-Projekt im Toggenburg. Bauen soll es Peter Zumthor am Schwendisee oberhalb des Ortes Unterwasser. Die Geländemulde, so die Initianten, bilde einen natürlichen Klangraum. Wie beim Auditorium du Jura ist ein Holzbau geplant. Herz des auf 15 bis 20 Millionen Franken geschätzten Projekts wäre ein 200 Quadratmeter grosser Saal, konstruiert aus den Instrumentenhölzern Fichte und Ahorn. Dazu kämen Kursräume, Dokumentationszentrum, Bibliothek und Restaurant - aber, ebenfalls wie im Jura, keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wie Peter Zumthors Gebäude aussehen könnte, ist im Gegensatz zum Auditorium du Jura völlig offen: Es gibt nicht einmal Skizzen.

Das Haus will vielfältige Bedürfnisse abdecken: Probewochen für Chöre und Orchester, Meisterkurse und Kurse zu Klang, Rhythmus und Naturjodel sind vorgesehen, die technische Ausrüstung wird entsprechend aufwändig. Dieses Programm mache die ‹Klangwelt Toggenburg› zu einem kulturwirtschaftlichen Projekt. „Es richtet sich an eine touristisch noch wenig erfasste, aber durchaus kaufkräftige Zielgruppe: Chöre und Orchester, für die noch kein spezifisches Angebot existiert“, schreiben die Initianten. Im Einzugsgebiet des Klanghauses gebe es mehrere Tausend Chöre und mehrere Hundert Orchester. Diese verreisen jährlich mindestens für ein Wochenende oder eine Woche, um zu proben und zusammenzusein - das abgelegene Toggenborg könnte da zu einem beliebten Ziel werden, Tausende von Übernachtungen wären möglich. Allein der Betrieb des Klanghauses werde bis zu einem Dutzend neuer Arbeitsplätze schaffen. Die Projektskizze rechnet eine Wertschöpfung für die Region zwischen 1,9 und 2,6 Millionen Franken pro Jahr vor. Laut Businessplan soll das Haus nach vier Jahren selbsttragend sein.

Träumen erlaubt

Auch Initianten aus dem Toggenburg ist klar: Das Haus braucht erstklassige Architektur und Akustik. Ein Zumthor-Bau erfülle diese Anforderungen und er setze ein Zeichen. Als Vergleich wird die Therme Vals angeführt, die
das noch abgelegenere Tal bekannt machte und die Übernachtungszahlen in die Höhe treibt. An Vals knüpft man im Toggenburg auch an, weil mit dem Klanghaus ein ‹Zumthor-Dreieck› entstünde: Kunsthaus Bregenz - Therme Vals - Klanghaus Schwendisee. Die Idee des Kulturdreiecks - eine wohl nicht zufällige Parallele zum jurassischen Projekt: Dahinter steht die Absicht, das eigene Projekt in den regionalen Zusammenhang zu fügen.

Das Klanghaus-Projekt hat eine Vorgeschichte: Es zählte zu jenen Kulturprojekten, die mit dem ‹Zukunftsfonds› hätten finanziert werden sollen, den die St.Galler Regierung aus den Sondererträgen der Kantonalbank-Teilprivatisierung äuffnen wollte. Dieser Fonds fiel aber in der Abstimmung Ende 2004 durch. Danach wollten die Initianten aufgeben, weil sie in der Region keinen Rückhalt mehr spürten, rappelten sich aber wieder auf, und inzwischen ist das Verständnis in der Region gewachsen: Regionalplanungsgruppe, Touristiker und Hoteliers unterstützen jetzt das Projekt. Peter Zumthor erhält aber erst grünes Licht für die Weiterarbeit, wenn die Finanzierung klarer ist. Vielleicht führt die beharrliche Kleinarbeit zum Erfolg: Breit angelegte musikalische Kurse führt Klanghaus-Initiant Peter Roth, Musiker und Chorleiter, schon heute im alten Kurhaus ‹Seegüetli› vor Ort durch. Dieses Jahr sollen über 600 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Region übernachten und die dritte Etappe des ‹Klangwegs› wird diesen Juli eröffnet. Die Initianten widmen sich zurzeit der Geldsuche: „Wir sind mit zahlreichen Sponsoren im Gespräch, mit Kulturträgern und mit dem Kanton“ - Konkreteres gibt ‹Klangwelt›-Geschäftsführer Stephan K. Haller nicht preis. Ein Bericht in der Regionalzeitung, wonach die UBS das Haus nun zahle, war leider ein 1. April-Scherz. Trotzdem davon zu träumen, sei ja nicht verboten, meinen die Initianten.


‹Gefühlte Architektur›
Expressionistische Krone, archaische Hütte, chinesische Pagode oder krude Märchenburg - im Entwurf von Herzog & de Meuron ist vieles lesbar. Die Sinne schwelgen, bevor der Verstand begreift, was er sieht. Wie entsteht diese Architektur? Die Entwurfsgedanken von Grund auf: Wie ein Amphitheater soll die zentrale Bühne in die Erde eingelassen werden; die Musiker und ein Teil der Zuschauer sitzen und stehen also auf der Weide. Das Erdgeschoss, oder der obere Teil des Sockels, sei ‹immateriell›, sagen die Architekten, es wird rundum verglast und damit nicht sichtbar, denn das Gebäude soll die Weidelandschaft nicht unterbrechen. Über dem Bühnensockel soll eine hölzerne Kuppel auf nur drei Stützen ruhen, Vorbild war hier eine über dem Raum schwebende barocke Kuppel. Weil die ideale Kuppelform, die Rundform, aus akustischen Gründen unmöglich ist, nähern sich ihr Herzog & de Meuron mit einem Sechseck an. Dessen Seiten verformten sie mit dem Akustiker Yoshio Toyota zu Krümmungen, sodass eine Blümchenform entstand. Diesen Grundriss schichteten sie stockwerkartig übereinander und drehten ihn jeweils um einige Grade. Die Form ist das Ergebnis zweier Regeln: Überall hervorragende Akustik und freie Sicht auf die Bühne. Die nach innen gewölbten Kurven sollen als Balkonnischen und Lichtöffnungen dienen, wie Schwalbennester scheinen sie in der Kuppel zu kleben. Die nach aussen gewölbten Kurven werden aus der Dachfläche drücken und den Dachhut von aussen verformen. Das Gebäude, das nur aus Dach besteht, soll mit Holzschindeln eingekleidet werden, allenfalls mit Eternit.

Die Grundform des Gebäudes geht auf das Kulturdreieck von Rémy Zaugg zurück; im Grundriss verlängert das gleichseitige Dreieck geometrisch den Sechsecksaal. Von aussen verleiht die pyramidale Form dem Gebäude einen Hauch Monumentalität.
Hochparterre erhielt keine Pläne von H & de M, weil sich das Projekt erst im Anfangsstadium befinde.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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