Zeitschrift

Hochparterre 08|2006
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 08|2006, Schaubild: swisstopo Bundesamt für Landestopografie
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Wenn Bundesbahnen planen

Gewonnen hat das Projekt, das den höchsten Profit verspricht - nicht das architektonisch beste. So endete in Luzern ein Studienauftrag der SBB. Das wirft Schatten auf die grosse Immobilien- und Landbesitzerin. Wir fragen: Wie gut können die SBB städtebauliche Projekte entwickeln? Was geschieht mit dem Boden in öffentlichem Besitz?

7. August 2006 - Rahel Marti
Die SBB bemühen sich um Baukultur und erhalten gute Noten dafür. 2005 gewannen sie als erstes Unternehmen den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes, immer wieder werden sie mit Brunel Awards ausgezeichnet, den Architektur- und Designpreisen der Bahnen (HP 9/05).

Doch den SBB gehören nicht nur Bahnhöfe und Brücken, die sie gut gestalten und pflegen, sondern auch Land: 105 Millionen Quadratmeter, das sind dreimal der Kanton Basel-Stadt oder ein Vierhundertstel Schweiz. Beeindruckend ist weniger das Ausmass als die Qualität dieses Besitzes: Ein stattlicher Anteil davon ist Land an erstklassiger Lage in den Stadtzentren - mit entsprechendem Wert. Vor hundert Jahren lag der Bahnhof abseits des Stadtzentrums, heute ist er nicht selten das Zentrum schlechthin. Hinter den Bahnhöfen und seitlich der Gleise gehört den SBB Land, auf dem sie früher Güter umschlugen oder das sie für neue Gleise und Gebäude horteten. Heute weiss man: Für eigene Zwecke werden die SBB diese Flächen nie mehr brauchen. Von Genf über Biel nach Aarau bis Chur ist zentraler Boden frei geworden.

Boden zu Geld machen

Schon vor fünfzehn Jahren (HP 3/91) war klar: Dieses Land ist Gold wert und wird den SBB einst viel Ertrag bringen, besser, wegen der Leistungsvereinbarung bringen müssen! Doch es ist anspruchsvoll, Boden zu Geld zu machen. ‹Entwickeln› heisst diese Arbeit: analysieren, was und wie viel auf dem Land gebaut werden darf, abschätzen, was und wie viel sich an wen verkaufen lässt - und projektieren bis knapp vor dem Spatenstich. Zwar kann eine Landbesitzerin ihren Boden auch ‹leer›, also ohne Projekte verkaufen. Den grössten Profit aber holt aus seinem Boden, wer ihn samt einem baureifen Projekt verkauft. Denn der Immobilienmarkt ist risikoscheu, da langfristig ausgerichtet - der Ertrag muss rasch und vor allem über lange Zeit fliessen. Deshalb steigen Investoren wie Pensionskassen erst ein, wenn ein Projekt bewilligt ist und Rekurse bereinigt sind. Die Landverkäuferin kostet diese Planung bis zur Baureife zwar hohe Vorinvestitionen, doch sie veredelt so ihren Boden und kann ihn umso teurer verkaufen.

Achtzig grosse Areale entwickeln die SBB zurzeit schweiz-weit nach diesem Muster - gewaltige Flächen, gewaltige Arbeit. Als Bauherrschaft sammeln die SBB Preise; wie steht es mit ihren Entwicklungskünsten? Aus hoher Flughöhe winken auch hier gute Noten. Das Unternehmen arbeitet mit den Behörden zusammen, führt vorbildliche Gestaltungsplanverfahren und Projektwettbewerbe durch - selbst dort, wo es nicht müsste: Zwar gehören die SBB dem Bund, doch für Bauten, die der Bund später nicht selbst nutzt, ist die öffentliche Ausschreibung nicht zwingend. Die SBB wissen aber: Die politische Legitimation ist unabdingbar für die Bewilligung von Projekten, die in den jeweiligen Städten fast immer als Grossprojekte gelten.

Ziel verschleiert

Doch schauen wir genauer hin - auf das Beispiel Güterareal Luzern (hpw 3/06). Das Gebiet liegt hinter dem Bahnhof und misst 9800 Quadratmeter. Auch hier erarbeiteten SBB und Stadt einen Gestaltungsplan im Rahmen des städtischen Entwicklungsschwerpunkts Bahnhof Luzern. Für die Projektierung einer Wohn- und Geschäftsbebauung war keine öffentliche Ausschreibung nötig; die SBB wählten also einen Studienauftrag auf Einladung. Nebst den Luzerner Architekten Daniele Marques und Lussi+Halter konnten sie vier renommierte Büros dafür gewinnen: Peter Zumthor, Burkhalter Sumi, Meili Peter und Diener&Diener. Als unabhängige Mitglieder sassen Mike Guyer, Quintus Miller und Sabina Hubacher (Ersatz) in der Jury. Gewonnen haben den Studienauftrag Lussi+Halter - nicht mit der besten Architektur, sondern mit dem für die SBB profitabelsten Konzept. Sie portionierten die Nutzungen in investorengerechte Happen: in ein Haus mit Büros, eines mit Eigentums- und eines mit Mietwohnungen. Ihr Projekt kam dem von den SBB angestrebten Landwert am nächsten. Dieser Wert besagt: Sämtliche Erträge aus den Nutzflächen, abzüglich die Erstellungs- und Entwicklungskosten, geteilt durch die Grundstücksfläche. Die SBB hatten diesen Landwert den Teilnehmern nicht angegeben und nicht explizit gefordert, und doch gab er am Ende den Ausschlag für das Siegerprojekt. Für Teilnehmer wie unabhängige Fachjury - sie hat nicht für das Siegerprojekt gestimmt - hinterlässt das Verfahren einen bitteren Nachgeschmack; man fühlt sich missbraucht, wenn eine Auftraggeberin ihre Ziele verschleiert.

Bauen oder verbauen?

Der Studienauftrag Güterareal wirft Fragen zur Entwicklungsarbeit der SBB auf. Zunächst auf der Ebene der Architekturverfahren: Gewöhnlich - auch in Luzern - lassen die SBB in den Wettbewerbsprogrammen offen, ob sie selbst in die Projekte investieren oder ob sie verkaufen werden.

Was sagen Experten zu diesem Vorgehen? „Wer investieren wird, spielt grundsätzlich keine Rolle. Entscheidend ist: Das Projekt muss entwickelt und marktreif sein. Je näher der Verkaufsentscheid am Termin der Baubewilligung liegt, desto besser kann man ein Projekt den Bedürfnissen von Investoren und Nutzern anpassen“, meint Philippe Mueller, Partner bei den Zürcher Immobilienentwicklern Kuoni Mueller&Partner. „Die Architektur sollte bis zum Verkauf so flexibel wie möglich bleiben und der Nutzungsmix - Wohnungen, Büros, Läden - aufgrund aktueller Tendenzen bestimmt werden“, sagt Mueller. Ob so architektonische Qualität gewahrt bleibt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Anderer Meinung als Mueller ist Martin Hofer, Partner bei Wüest&Partner, Zürich: „Es empfiehlt sich, vor dem Wettbewerb abzuklären, welche Art von Wohnungen, Büros und Läden an einem Ort Sinn machen, das heisst auch: vermarktbar sind.“ Hofer weiss: „Wettbewerbe, die städtebaulich-architektonisch ausgerichtet sind, bei denen die spätere Nutzung also offen bleibt, führen in der Regel zu Verzögerungen oder gar Widersprüchen - wenn die ausgewählte Form und die später bestimmte Funktion nicht zusammenpassen.“

Wiederum übertragen auf das Verfahren in Luzern: Hätten die Teilnehmer eine Marktanalyse zur Unterlage erhalten, so hätten sie für diese Bedürfnisse entwerfen können, statt ein architektonisch einzigartiges, aber in den Augen der SBB am Markt vorbeizielendes Angebot zu entwerfen, wie es zum Teil geschah. Einmal mehr gilt: Der Wettbewerb ist so gut wie sein Programm. Damit sind wir bei der Rolle der Architekten. Gewöhnlich stellen die SBB keine konkreten Raumprogramme auf. Jedes Team muss ein vermarktbares Nutzungsangebot heraustüfteln, also den Rat professioneller Entwickler holen oder selbst Entwicklungsarbeit leisten. Doch sind Architekten Fachleute für diese Arbeit? Schieben die SBB damit nicht einen Teil ihrer Hausaufgaben als Entwickler ab?

Alles Land verkaufen?

Dies führt zur Investitions- und Finanzierungsstrategie der SBB. Hier sind sich die Experten Mueller und Hofer einig. „Es fragt sich, ob ein Eisenbahnunternehmen in Nutzungen investieren soll, die nichts mit seinem Betrieb zu tun haben - etwa in Wohnungen“, sagt Martin Hofer. „Dieser Markt funktioniert anders und verlangt anderes Wissen.“ An grossen Bahnhöfen könne ein Immobilienengagement in kommerzielle Nutzungen aber interessant sein.

Warum also lassen die SBB offen, in welche Nutzungen sie selbst investieren werden? Wer entscheidet dies aufgrund welcher Kriterien? Wie und wann bestimmen die SBB, auf welchen der 80 Areale sie selbst bauen werden? Wie klassieren sie die Areale? Wie lautet die Strategie?

Damit sind wir bei einer brisanten, weil öffentlichen Frage: Wieviel ihres teuren Bodens wollen die SBB verkaufen? Sollen sie überhaupt verkaufen? Kritische Stimmen sehen dies als Ausverkauf des Tafelsilbers der Bevölkerung. Auch Martin Hofer würde nur die wenig interessanten Areale verkaufen und die wertvollen im Baurecht abgeben. Philippe Mueller dagegen findet den Verkauf richtig; solange die SBB in den eigenen Betrieb reinvestierten, gehe das Volksvermögen nicht verloren. Doch worin sollen die SBB reinvestieren? Ist diese Strategie nicht zu kurzfristig? Wo wollen die SBB in dreissig Jahren, eine Generation später, mit ihren Arealen stehen? Was ist, wenn alles verkauft ist? Bisher bekennen die SBB generell: Im Umfeld der Bahnhöfe sollen lebendige Quartiere entstehen. Diese stärken die Zentrumsrolle der Bahnhöfe und bringen Kundschaft. Wie aber sichert das Unternehmen, dass auf den Arealen trotz des massiven ökonomischen Drucks weiterhin preiswürdige Architektur gebaut wird? - Ein Abschnitt voller Fragen, die wir den SBB gern gestellt hätten. Doch wir wurden freundlich auf den Herbst vertröstet: Genau an diesen Fragen arbeite man, Antworten gebe es deshalb noch keine.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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