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Kostenprognosen

Verschärfung der Haftung der Planer

Ein neues Bundesgerichtsurteil vom 15. März 2005 (4C.424/2004) führt zu einer deutlichen Verschärfung der Haftung von Architekten und Ingenieuren für Kostenschätzungen und Kostenvoranschläge.
Um Honorarkürzungen und grosse Haftpflichtfälle zu vermeiden, welche zudem durch die meisten Planerberufshaftpflichtversicherungen nicht gedeckt werden, müssen die Planungsbüros zwingend rechtzeitig verbindliche Kostenprognosen mit definiertem Genauigkeitsgrad erstellen.

8. September 2006 - Urs Hess-Odoni
Urs Hess-OdoniDie Architekten und Ingenieure waren schon immer verpflichtet, ihren Auftraggebern Kostenschätzung und Kostenvoranschläge abzugeben, welche den in den entsprechenden Ordnungen SIA102/103/108 vorgegebenen Genauigkeitsgrad (Toleranzrahmen) einzuhalten haben. Die grundsätzliche Regelung ist somit nicht neu. Es war auch schon immer klar, dass Planer für ungenaue Kostenvoranschläge haftpflichtig werden können. Dabei ist die Praxis mit dem Urteil BGE119II249 im Jahre 1993 gegenüber früher verschärft worden, weil das Bundesgericht die so genannte Vertrauensschadenhaftung für Kostenvoranschlagsüberschreitungen herausgestellt hat. Mit einem neuen Urteil vom 15.März2005 hat das Bundesgericht die entsprechende Haftung der Architekten und Ingenieure nun aber nochmals deutlich verschärft. Diese neue Bundesgerichtspraxis zwingt die Planer, in ihrem Büro in Bezug auf alle Kostenfragen eine neue, viel präzisere Kultur aufzubauen, wenn sie entsprechende Haftpflichtfälle vermeiden wollen. Es muss ein geschlossenes System der Kosteninformationen aufgebaut und konsequent umgesetzt werden. Die Kostenprognosen müssen während der ganzen Projektbearbeitung immer eine dominante Stellung haben. Sie bekommen damit ein Gewicht, das den Planern wahrscheinlich nicht sympathisch ist. Diese Betonung der Kostenseite ist umso wichtiger, als die meisten Planerberufshaftpflichtversicherungen für derartige Haftungsfälle aus Überschreitung von Kostenprognosen keine Deckung gewähren, sodass die Haftpflichtfolgen vom entsprechenden Büro selber getragen werden müssen.

Zwingende Angabe des Genauigkeitsgrades

Im erwähnten Urteil hat das Bundesgericht zunächst einmal festgehalten, dass es einem Bauherrn nicht zugemutet werden könne, aus den massgebenden Ordnungen SIA102/103/108 herauszulesen, welchen Genauigkeitsgrad eine Kostenprognose habe. Es sei Pflicht eines jeden Planers, bei jeder Kostenprognose den Genauigkeitsgrad präzis anzugeben. Wenn der Planer keinen entsprechenden Toleranzrahmen angebe, so dürfe der Bauherr davon ausgehen, dass die Kostenprognose präzis sei und praktisch mit keinen Abweichungen gerechnet werden müsse. Vergisst der Planer also die Angabe des Genauigkeitsgrades, so geht das Bundesgericht nun von einer Nulltoleranz aus. Wenn es dann doch zu Abweichungen kommt, so haftet der Planer. Es genügt dabei ausdrücklich nicht, die Kostenprognose mit einem Begriff wie «approximativ», «provisorisch» oder «ungefähr» zu versehen. Dabei muss sich der Planer anhand der konkreten Fragestellung genau überlegen, welchen Genauigkeitsgrad er wirklich angeben und garantieren kann. Auch hier verträgt es keine Fahrlässigkeit. Insbesondere bei Umbauten und Sanierungen ist der Genauigkeitsgrad oft kleiner, als ihn die Ordnungen SIA102/103/108 grundsätzlich vorsehen.
Im Weiteren hat das Bundesgericht betont, dass eine gründliche Information des Auftraggebers über die Kostenfolgen der einzelnen Planungsschritte sowie seiner eigenen Entscheidungen zu den allgemeinen und selbstverständlichen Informationspflichten eines Architekten oder Ingenieurs gehöre. Diese Kosteninformation müsse auch dann abgegeben werden, wenn darüber keine spezielle Vereinbarung getroffen worden sei; sie ergebe sich direkt und unmittelbar aus der allgemeinen Informations- und Interessenwahrungspflicht gemäss Art. 398 OR.

Kostenvoranschlag vor Baubeginn

Aus dem neuen Bundesgerichtsentscheid ergibt sich weiter, dass Planer ihren Bauherren vor Baubeginn einen verbindlichen Kostenvoranschlag abgeben müssen, sodass der Bauherr noch die Möglichkeit hat, zu reagieren und das Projekt zu stoppen bzw. zu redimensionieren, falls er die Kosten als zu hoch erachtet. Fehlt dieser Kostenvoranschlag oder wird er erst verspätet vorgelegt, so ist der Architekt oder Ingenieur nach der neuen Bundesgerichtspraxis grundsätzlich haftpflichtig. Sollte der Bauherr ausnahmsweise auf einen Kostenvoranschlag vor Baubeginn verzichten, so müsste dies ausdrücklich schriftlich vereinbart und festgehalten werden.
Selbstverständlich muss dieser Kostenvoranschlag dann – mit der ausdrücklich angegebenen Toleranz – eingehalten werden, wofür wiederum der Planer vertragsrechtlich verantwortlich ist.
Dieser Kostenvoranschlag ist jedoch nicht isoliert zu beurteilen. Er muss im Gleichgewicht mit einem konkreten Projekt stehen. Es ist auch Aufgabe und Pflicht des Planers, ausreichend präzis und konkret zu definieren, welches Projekt die Grundlage des Kostenvoranschlages bildet. Nur so kann der Kostenvoranschlag auch wirklich verstanden und auf ein konkretes Bauvorhaben bezogen werden. Ungenauigkeiten in den Grundlagen, welche dem Kostenvoranschlag zugrunde liegen, gehen wiederum zu Lasten des Architekten oder Ingenieurs.
Vergrösserungen oder Verkleinerungen dieses genau definierten Projektes bewirken auch entsprechende Veränderungen des Kostenvoranschlags. Diese Selbstverständlichkeit kommt aber nur dann zum Tragen, wenn eben das Ausgangsprojekt genügend präzis definiert ist.

Zwang zur fortlaufenden Kosteninformation

Nach der Bundesgerichtspraxis muss der Architekt oder Ingenieur den Bauherrn auch nach dem Kostenvoranschlag fortlaufend über alle kostenrelevanten Entwicklungen ausreichend informieren. So muss der Planer den Bauherrn auf die Kostenfolgen aller Bau-herrenentscheidungen ausdrücklich hinweisen. Ebenso muss der Planer den Bauherrn darauf aufmerksam machen, wenn objektive Faktoren von aussen (z.B. Faktoren des Baugrundrisikos) zu Kostensteigerungen führen. Es muss sich dabei immer um präzise Informationen handeln. Der Bauherr muss also vom Planer fortlaufend über den Kostenstand informiert werden. Kommt der Architekt oder Ingenieur dieser Informationspflicht nicht nach, so macht er sich einer Ver-
tragsverletzung schuldig und kann prinzipiell haftpflichtig werden.
Die Erfahrung zeigt, dass hier der grösste Handlungsbedarf besteht: In den Planungsbüros ist ein Automatismus einzubauen, gemäss welchem der Bauherr bei jeder (noch so kleinen) kostenrelevanten Entscheidung betragsmässig präzis auf die Auswirkungen für die Baukosten aufmerksam gemacht wird.
Zu beachten ist, dass der Architekt oder Ingenieur in all diesen Bereichen vorbehaltlos die Beweislast trägt. Er muss beweisen können, dass er die Informationspflicht erfüllt hat.

Vermutung der Vertragsverletzung

Das Bundesgericht hat im erwähnten Präjudiz ausdrücklich erklärt, dass immer dann, wenn der im Kostenvoranschlag angegebene Kostenrahmen überschritten werde, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Architekten oder Ingenieurs zu vermuten sei. Bei jeder Überschreitung des Toleranzrahmens kommt der Planer also in den Beweiszwang, wenn er nicht haftpflichtig
werden will.
Wenn keine Veränderung der Arbeitskultur in Bezug auf die Kostenprognosen erreicht wird, werden viele Architektur- und Ingenieurbüros in solchen Fällen den Entlastungsbeweis nicht erbringen können und in eine gravierende Haftung hineinlaufen.
Es gibt aber auch die umgekehrte Vermutung: Solange der angegebene Toleranzrahmen eingehalten wird, ist davon auszugehen, dass der Planer seine Pflicht zu einer klaren Kostenprognose eingehalten hat. Auch hier bleibt dem Bauherrn aber die Möglichkeit des Nachweises, dass bei besserer Kostenkontrolle die Baukosten in Wirklichkeit noch tiefer ausgefallen wären. Selbst für diesen Fall gibt es für die Planer also keine vollständige Entwarnung.
Aufgrund dieser neuen Bundesgerichtspraxis sind die Architekten und die Ingenieure also dringend zu warnen: Wenn sie das Gewicht nicht auf die Kostenprognose und die Kostenüberwachung legen, werden sie in Anbetracht der strengeren Praxis Haftpflichtfälle nicht vermeiden können.
Zusatz:
Grundregeln zur Kosteninformation und -überwachung
– Ein Kostenvoranschlag vor Baubeginn ist zwingend, damit der Bauherr noch rechtzeitig entscheiden kann.
– Jede Kostenschätzung und jeder Kostenvoranschlag muss den Genauigkeitsgrad (Toleranzrahmen) ausdrücklich angeben, sonst gilt die Nulltoleranz.
– Die Kostenprognosen sind einzuhalten.
– Die Auswirkungen jeder kostenrelevanten Entscheidung oder Entwicklung sind dem Bauherrn unverzüglich zu melden und mit einer präzisen Angabe über die Höhe der Auswirkung zu versehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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