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tec21 2006|33-34
Glas
tec21 2006|33-34
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Filigrane Konstruktion

Die gläserne Eingangsfassade des Londoner Bürogebäudes K 2 von Richard Rogers wird durch ihre vorgespannte Seilfassade mit punktbefestigten Gläsern zu einem eigenen gläsernen Volumen. Aufgrund der unregelmässigen Windlasten war die Konstruktion der Fassadenecke eine besondere Herausforderung.

21. August 2006 - Daniel Meyer
Gegenüber dem Tower of London, im Gebiet des St Katherine’s Dock, entstand zwischen 2002 und 2005 nach einem Entwurf des Architekturbüros Richard Rogers Partnership das neue Bürogebäude K 2. Ein U-förmiger Glaskörper bildet den strassenseitigen, grosszügigen Eingangsbereich des Gebäudes. Das im Grundriss trapezförmige Volumen hat eine Höhe von 32 m und eine Länge von 27 m. Auf der Südseite misst die Breite 4 m und auf der Nordseite 13 m. Sämtliche vertikalen und horizontalen Flächen sind mit punktgehaltenen Glasscheiben verglast (Bilder 2 und 3).
Beim Entwurf des Tragwerks wurde grosser Wert auf eine transparente und filigrane Konstruktion gelegt. Um den angestrebten Eindruck von Leichtigkeit möglichst anschaulich zu vermitteln, fiel die Wahl des Tragsystems auf eine vorgespannte Seilfassade mit punktbefestigten Gläsern.

Das Haupttragwerk (Bild 1) des oberen Fassadenteils (Ebene 2 bis Ebene 8) bilden vier in einem horizontalen Abstand von 9 m vertikal angeordnete Konsolenkonstruktionen. Diese Konsolen sind direkt an der Tragkonstruktion des Gebäudes angehängt und in zwei Achsen zusätzlich an durchgehenden Stützen befestigt. Die vier Konsolen sind alle 7.80 m horizontal verbunden. In der Dachebene und in der Ebene 2 sind unterspannte bzw. überspannte Träger eingebaut. Diese leiten die hohen Vorspannkräfte der Seilfassade zu den Konsolen hin weiter. Das Haupttragwerk ist derart konzipiert, dass sich infolge der Vorspannkräfte ein Kraftschluss ausbildet. Für die Aussteifung sind horizontale und vertikale Verbände eingebaut.
Der untere Bereich der Fassade (Strassenebene) ist als unten abgestellte Pfostenkonstruktion, die mit dem oberen Teil der Fassade lediglich horizontal gekoppelt ist, ausgebildet. Das ganze Tragwerk wurde in dickwandigen Stahlrohren und geschweissten Kastenprofilen in der Stahlgüte S355 ausgeführt. Die einzelnen Elemente des Stahltragwerkes sind hauptsächlich mit den in England häufig verwendeten Bolzen und Augenstäben gelenkig verbunden worden.

Die Sekundärkonstruktion der Fassade bilden vertikal verlaufende vorgespannte Seilpaare im Abstand von 3 m. Die Edelstahlseile mit einer Länge von ca. 24 m haben einen Nenndurchmesser von 26mm. An die Seilpaare sind die so genannten Fassadenspider, welche die Gläser tragen, geklemmt.

Statische Berechnung

Die generellen statischen Berechnungen und die Ermittlung der Beanspruchungen erfolgten an einem räumlichen Stabsystem. Die Bemessung richtete sich nach den Regeln des British Standard 5950 «Structural use of steelwork in building». Die Lasten wurden gemäss British Standard 6399 «Loads for Buildings» angesetzt. Neben den Eigenlasten und Vorspannlasten wurden Windlasten (Druck 1.2 kN/m2/Sog 1.4 kN/m2), Schneelasten (0.6 kN/m2) und Temperaturdifferenzen (±30K) berücksichtigt. Des Weiteren mussten auch Lasten für Reinigungszwecke in die Berechnungen einbezogen werden. Die Berechnungen wurden für die Stäbe nach der Theorie 2. Ordnung unter Berücksichtigung von Vorverformungen und für die Seile nach der Theorie 3. Ordnung durchgeführt (Bild 4).

Verglasung

Die in der Regel 3¥2 m grossen Fassadengläser bestehen aus Verbundsicherheitsglas (VSG) aus zweimal 12mm Einscheibensicherheitsglas (ESG) mit einer 1.52mm starken dazwischen liegenden Verbundfolie. Die Gläser sind jeweils an vier Punkten zwängungsfrei an den Spidern befestigt. Die Spannungen der punktgestützten Gläser wurden mit einem FE-Programm, das auf der Grundlage der Sandwich-Theorie rechnet, ermittelt. Die Bemessung erfolgte nach dem heute im Glasbau noch üblichen deterministischen Verfahren der zulässigen Spannungen. Für den Nachweis der Tragsicherheit wurde keine Verbundwirkung der Folie berücksichtigt, d.h., jede der 12-mm-Scheiben übernimmt 50% der Windlast. Für die Durchbiegungsberechungen dagegen wurde auf Grund der Kurzfristigkeit der Windeinwirkung ein Vollverbund des Scheibenpakets eingesetzt. Die Punkthalter sind mit einem Rotationsgelenk, das in der Scheibenebene liegt, ausgebildet. So können einerseits ungünstig wirkende Lochspannungen wirksam re-duziert und anderseits differenzielle Seilverformungen aufgenommen werden. Die ca. 20mm breiten Fugen zwischen den Gläsern sind mit Silikon geschlossen.

Die Dachverglasung besteht aus bis zu 3.3¥2 m grossen Isoliergläsern. Das untere Glas der Isolierscheibe ist ein Verbundsicherheitsglas aus zweimal 12mm teilvorgespanntem Glas (TVG), das obere Glas ist ein ESG mit einer Stärke von 8mm. Die Scheiben lagern auf jeweils sechs Punkthaltern, wobei aber nur das untere VSG an diesen mechanisch befestigt ist. Die obere ESG-Scheibe ist nur über den Luftzwischenraum und den Randverbund mit der unteren Scheibe gekoppelt.
Die zumeist vierarmigen Spider, an denen die Punkthalter der Glasscheiben befestigt sind, wurden als Guss-teile in Edelstahl (1.4317) hergestellt. Die Optimierung der Form und die statischen Berechnungen der Guss-teile erfolgten an 3-D-Modellen mit Volumenelementen (Bild 5).

Seile

Die vertikal paarweise angeordneten Spiralseile tragen in erster Linie das Eigengewicht der Gläser und die horizontal wirkenden Windkräfte ab. Je höher die Vorspannung angesetzt wird, desto geringer fallen die horizontalen Verformungen infolge Wind aus. Bei einer gewählten Vorspannung von 270kN pro Kabel und einer Temperaturdifferenz von +30K beträgt die maximale horizontale Verformung infolge Wind ca. 120mm. Bezogen auf die horizontale Befestigungslänge von 7.8 m entspricht diese Verformung einem Verhältnis von L/65. Die Verformungen sind wohl beachtlich, können aber vom Verglasungssystem problemlos aufgenommen werden. Auf vorgespannte Federn an den Enden der Seile, wie man sie ab und zu bei solchen Fassadenkonstruktionen sieht, wurde aus ästhetischen und wirtschaftlichen Gründen verzichtet (Bilder 6 und 7). Diese Federn gewährleisten, dass die Vorspannkräfte unter Temperatureinwirkung konstant bleiben. Da aber, wie die Modellierungen zeigten, die Temperaturänderungen nur einen kleinen Einfluss auf das Verformungsverhalten hatten, konnte hinsichtlich des statischen Verhaltens kein wirklicher Vorteil und Nutzen geltend gemacht werden. Die Befestigung der Spider an den Seilen erfolgte über Klemmverbindungen. Die Klemmen müssen das Gewicht der Gläser und Teile des Stahlgewichts über Reibung an die Seile abgeben. Da es im British Standard 5950 keine Bemessungsregeln für Klemmverbindungen gibt, wurden für diese Verbindungen Versuche durchgeführt (Bild 8).

Fassadenecken

Die konstruktiv grösste Herausforderung lag in der Ausbildung der beiden Fassadenecken (Bild 9). Die statischen Verhältnisse sind auf Grund der ungünstig wirkenden Windlasten komplex. Das Trennen der Längsfassade von den beiden Seitenfassaden über bewegliche Fugen mit einem dazwischen liegenden starren Teil war optisch und auch konstruktiv unbefriedigend. An Stelle einer solchen «gefugten» Konstruktion wurde die Fassadenecke als drehweiche Seilkonstruktion ausgebildet. In den Ecken sind jeweils drei untereinander horizontal gekoppelte Seile angeordnet. Diese sind in der Lage, einerseits die Windlasten abzutragen und anderseits, dank ihrer Torsionsweichheit, die Verträglichkeit der beiden Ebenen sicherzustellen und somit die auftretenden Zwängungsbeanspruchungen infolge Scheibenverwindungen in den Gläsern klein zu halten. Für die Beurteilung und die Bemessung wurden die Fassadenecken aufgrund der hohen Komplexität mit Hilfe von FE-Modellen mit Schalen- und Stabelementen modelliert (Bilder 11, 12 und 13).

Montage

Die Montage und die Vorspannung der Konstruktion stellten hohe Anforderungen sowohl an die Planung als auch an die Ausführung. In der ersten Phase wurde die Hauptstahlkonstruktion gebaut und ausgerichtet.

Anschliessend erfolgte die Vorspannung der Seile von der Dachebene aus mit hydraulischen Pressen nach einem vorgegebenen Programm (Bild 10). In einem ersten Schritt wurden alle Seile auf 25% vorgespannt und im weiteren Verlauf sukzessive von innen nach aussen auf 100% gespannt. Die Kontrolle erfolgte einerseits über die geodätische Vermessung der Stahlkonstruktion und anderseits über Druckmessdosen an den Pressen und durch Messen der Seilverkürzungen. Abschliessend wurden die Spiderhalter angebracht und die Gläser montiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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