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Hochparterre 10|2006
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 10|2006, Foto: Hochschule Liechtenstein Institut für Architektur und Raumplanung
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Klein aber fein: Hochschule Liechtenstein

Innert weniger Jahre hat sich die Architekturabteilung des damaligen Abendtechnikums Vaduz zu einer modernen Schule mit internationaler Ausstrahlung entwickelt. Damit diese Operation gelingen konnte, lockerte die Hochschule Liechtenstein die engen Verbindungen zur Schweiz und knüpfte neue Beziehungen mit der weiteren Welt.

17. Oktober 2006 - Werner Huber
Emsiges Treiben erfüllt die Hallen, in den mit Stellwänden abgetrennten Kojen hängt Plan an Plan. In der einen Ecke unterhalten sich Gastkritiker Elia Zenghelis und Dozent Xavier Calderón mit einem Studenten über seinen Entwurf für das Pier San Miguel irgendwo in Mexiko, nebenan besprechen Angelus Eisinger und Frank Zierau mit ihrer Gruppe Planungen für Balzers.
Es ist Schlusskritik am Architekturinstitut der Hochschule Liechtenstein und der Institutsleiter Hansjörg Hilti weibelt von Koje zu Koje, unterhält sich da mit einer Studentin, dort mit einem Gast und nebenan mit einem Dozenten. Man merkt: Er fühlt sich wohl in seinem Team, dass von jungen Schweizer Professoren wie Johannes Käferstein, Urs Meister, Angelus Eisinger und Lehrbeauftragte wie Thomas Schregenberger, Markus Buschor, Dieter Jüngling und anderen stark geprägt ist. Hilti gehört zu einer aussterbenden Gattung: jener der glücklichen Architekturschulleiter. Denn Hiltis Schule ist unabhängig. Unabhängig vom Verteilungskampf zwischen den Kantonen, unabhängig aber auch vom schweizerischen Konkurrenzkampf zwischen den Fachhochschulen und den ETHs. So wie die Liechtensteinische Post oder die Telecom FL hat sich auch die Hochschule Liechtenstein aus den Verflechtungen mit der Schweiz gelöst. Gegründet wurde sie 1961 als Abendtechnikum, dann wurde sie zur HTL nach Schweizer Muster, später zur Fachhochschule und heute heisst sie stolz Hochschule Liechtenstein. Sie hat gerade noch zwei Bereiche: die Architektur und die dreimal grössere Wirtschaft – ein Grössenverhältnis, das auch die Bedeutung des einen und des anderen für das Land illustriert.

Begonnen hat der Wandel in Vaduz vor fünf Jahren. Wollte die Architekturschule weiterhin bestehen bleiben, musste sie sich öffnen und den eigenen Studierenden die Möglichkeit geben, ins Ausland zu gehen. Im Austausch dazu sollten auch Ausländer an der Liechtensteiner Schule studieren können. Wobei in Liechtenstein unter ‹Ausländern› Studierende aus den nicht deutschsprachigen Ländern gemeint sind. Doch wie macht man auf sich aufmerksam? Wie sollte es gelingen, Studenten aus ganz Europa ins kaum bekannte Fürstentum zu holen? Die Liechtensteiner gingen in die Offensive und luden Kritiker aus aller Herren Länder an ihre Schule ein. Diese machten die Schule in ihren Heimatländern bekannt und bald schon weilten die ersten Gäste unter den Studierenden, die es umgekehrt den Einheimischen ermöglichten, einen Platz für ihr obligatorisches Auslandjahr zu finden.

Braucht Vaduz eine Architekturschule?

Die zahlreichen Studenten des Erasmus-Programms brachten eine Vielfalt an die Schule, wie sie die eigenen Leute nicht schaffen könnten, für Hansjörg Hilti eine «extreme Bereicherung». An der Schule herrscht ein 24-Stunden-Betrieb und von Litauisch bis Japanisch hört man alle Sprachen. Tiago Leal da Costa ist einer der rund 20 fremdsprachigen Ausländer unter den insgesamt 130 Studierenden. Er absolvierte in Vaduz das Austauschjahr, weil ein Professor seiner Schule in Lissabon die Schule kannte. Die Atmosphäre an der Liechtensteiner Schule empfindet er als «geistig sehr offen». Wenn hier auch die Urbanität fehle, so ermöglichte ihm dieser Aufenthalt im Zentrum Europas den Besuch zahlreicher umliegender Länder. Einzig die Sprache habe er nicht so gelernt, wie erhofft – da kamen ihm die Dialekte in die Quere.

Aus dem Fürstentum stammen gerade noch zehn bis fünfzehn Prozent der Studierenden. Das ist denn auch eine Sorge Hiltis: Die Auswahl aus der Region – ein Umkreis von fünfzig Kilometern – sei zu klein. Dabei sei das wichtig für die politische Anerkennung der Schule. Dies führt zur zentralen Frage: Braucht das Fürstentum Liechtenstein überhaupt eine eigene Architekturschule? Hansjörg Hilti schmunzelt; diese Frage hört er nicht zum ersten Mal. Sicherlich würde man in Vaduz keine Architekturschule gründen, wenn es sie nicht schon gäbe. Doch Ende der Neunzigerjahre lautete die Frage, was mit der bestehenden Schule passieren soll. Dass sich niemand gerne selbst abschafft, ist klar, und so hat die Architekturschule mit der Öffnung eine Möglichkeit gefunden, sich in der veränderten Bildungslandschaft einen Platz zu sichern. Die Politiker akzeptieren diesen Weg, mit dem die Schule übrigens einen ähnlichen Prozess durchmacht wie das Land mit dem Beitritt zum EWR oder der Gründung der liechtensteinischen Telecomgesellschaft und der Post. Die eigene Hochschule schafft auch einen Ausgleich, schickt Liechtenstein doch jährlich rund 500 Studierende in die Schweiz, aber auch nach Österreich und Deutschland.

In einem kleinen Land wie Liechtenstein sind die Verflechtungen der Schule mit der Politik noch enger als in der Schweiz, die Entscheidungswege entsprechend kürzer. Seit Jahren diskutieren die Schweizer Fachhochschulen über Inhalte, über die Abgrenzung untereinander und vor allem zur ETH. Letztlich geht es dabei immer ums Geld. Hansjörg Hilti ist froh, diese Diskussionen nicht führen zu müssen, was ihm eine «enorme inhaltliche Freiheit» gibt. Im luftleeren Raum agiert die Schule dennoch nicht, denn die Schweizer Fachhochschulen, die ETH oder die Architekturschule in Innsbruck sind Konkurrenten. Wo sich die Liechtensteiner Architekturschule in diesem Spannungsfeld positioniert, ist auch für Hilti nicht ganz eindeutig. Liegt sie näher bei der ETH oder bei einer FH? «Die Hochschule Liechtenstein ist eine kompakte Architekturschule», meint er sibyllinisch, wobei die internationalen Kontakte über Universitäten laufen.

Unabhängig von den Diskussionen in der Schweiz erreichte die Hochschule Liechtenstein längst die europäische Anerkennung ihres Abschlusses, was vor allem für die vielen EU-Studenten wichtig ist, für die der Titel die Voraussetzung für eine Arbeit als Architekt oder im Staatsdienst ist. Vor drei Jahren führte die Schule das Bachelor-Master-System ein, ab kommendem Studienjahr wird der Master-Studiengang ausschliesslich in Englisch durchgeführt. Deutsch bleibt der Bachelor-Studiengang, den Hilti in Zukunft verstärkt zu einer dreijährigen kompakten Grundausbildung formen will. «Die Leute sollen in den Büros auch wirklich brauchbar sein», meint er.

Gegenüber früher, als viele Hochbauzeichner, Zimmerleute oder Studenten mit einer österreichischen technischen Matura an der Vaduzer HTL studierten, wird die Hochschule heute für viele zum zweiten Bildungsweg. Rund die Hälfte der Studierenden hat eine normale Matura im Sack. Dies bedeutet, dass der Unterricht heute praktisch bei Null anfangen muss, was für manch altgedienten Lehrer schwierig zu akzeptieren war. Doch die Studenten helfen sich gegenseitig und können so die Wissensunterschiede ausgleichen und für Maturanden gibt es Stützkurse.

Im Fürstentum verankert?

Finanziert wird die Schule durch den Staat – ein weiterer Grund also, die lokale Verankerung zu pflegen. So nimmt sie Themen auf, die im Land aktuell sind, oder bearbeitet Aufgaben im Auftrag von Gemeinden oder Firmen wie der Post. Diese Arbeiten stärken die Akzeptanz der Schule. «Wir können uns ja nicht nur mit dem Hafen von Mexiko befassen», meint Hansjörg Hilti. So untersuchten die Studierenden in Zusammenarbeit mit dem KMU-Zentrum Entwicklungsmöglichkeiten für die Gemeinde Balzers. Diese ist von der Industrie und deren wechselhaften Steuererträgen geprägt. Nun zeigten die Studierenden auf, wie mit hochklassigem Wohnraum Balzers für eine zahlungskräftige Klientel attraktiver werden könnte.
Ihre Umgebung haben die Studierenden auch in der Schule stets präsent: Cafeteria und Bibliothek sind in einem gläsernen Kasten untergebracht, der auf Stützen frei vor dem alten Fabrikgebäude steht. Dieser unterstreicht die Lage über dem Rheintal, öffnet den Nahblick auf die Peripherie von Vaduz und den Weitblick über den Rhein in die Schweiz. Der Umzug der Hochschule in die von den Münchner Architekten Karl Probst umgebaute einstige Baumwollspinnerei Jenny, Spoerry&Cie. war ein Glücksfall für die Architekturabteilung. Sie konnte nicht nur massgeschneiderte Räume beziehen, sie konnte sich auch von altem Ballast befreien und in den neuen Hüllen ein neues Selbstverständnis entwickeln. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil für die Hochschule: Hierher lädt man mit Freude Ausländer ein!

Lehrbeauftragte:
Katia Accossato, Doris Agotai, Alberto Dell’Antonio, Inge Beckel, André Bideau, Patrik Birrer, Bosco Büeler, Martin Bühler, Christoph Bürkle, Johannes Brunner, Ingrid Burgdorf, Markus Buschor, Xavier Calderón, Andrea Cejka, Hugo Dworzak, Angelus Eisinger, Roland Fäh, Oliver Fritz, Christoph Frommelt, Barbara Geyer, Pascal Gnädinger, Hanni Diethelm-Grauer, Peter Diethelm-Grauer, Gert Gschwendtner, David Gubler, Andreas Hagmann, David van Handel, Beni Heeb, Hansjörg Hilti, Ulrike Hugl, Andres Janser, Stefan Jäschke, Dieter Jüngling, Tibor Joanelly, Johannes Käferstein, Susanne Karn, Charles Kel-ler, Nathan Lutz, Philip Lutz, Urs Marquart, Ulrike Mayer, Urs Meister, Erica Overmeer. Moreno Piccolotto, Hansjörg Quaderer, Andrea Rüedi, Thomas Schregenberger, Eugen Schuler, Dietrich Schwarz, Ferdi Stadlin, Karl Tor-ghele, Robert Veneri, Janine Vogelsang, Hansjörg Vogt, Christian Vonier, Erich Walter, Richard Widmer, Henning von Winning, Elia Zenghelis, Frank Zierau

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