Zeitschrift

tec21 2006|39
Allmenden
tec21 2006|39, Foto: Suzanne Kappeler
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Reflex auf englischen Landschaftsgarten?

Wenn wir auf der Allmend in Frauenfeld spazieren, haben wir das Gefühl, wir würden durch einen Park wandeln. Ist diese von Menschenhand und durch den Maschinenpark der Schweizer Artillerie geschaffene Landschaft vergleichbar mit dem berühmten englischen Landschaftsgarten? In einem Streifzug gibt es viel Gemeinsames zu entdecken.

25. September 2006 - Suzanne Kappeler
Das «Landscape Movement» in der Garten- und Landschaftsgestaltung hat in einem Zug alle über die Jahrhunderte bekannten und vertrauten Elemente über den Haufen geworfen, gleichsam weggewischt. Die neuen Ideen kamen diesmal aus England, im Unterschied zu den Gärten der Renaissance, für welche Italien stilbildend war, und zu jenen des Barocks, die zuerst in Frankreich entstanden. Während etwa 30 Jahren – zwischen 1750 und 1780 – verschwanden die gestylten Buchsparterres mit ihren akkurat gepflanzten Blumenbeeten, die sorgfältig getrimmten Hecken und die schnurgeraden Linien, die lange als das Nonplusultra der Gartengestaltung gegolten hatten, von der Bildfläche. Lancelot Brown – wegen seiner Fähigkeiten «Capability Brown» genannt – ist der Mann, der die Gartenrevolution in England im grossen Stil ausführte; man kann ihn dafür loben oder auch tadeln, baute er doch jahrhundertealte Gartenkunstwerke zum Teil vollständig um – neben den vielen neuen Gärten, die er schuf.

Aussehen, Inspiration und Unterhalt

Weich und natürlich wirkende, modellierte Graslandschaften, die sich um sorgfältig gepflanzte Baumgruppen wanden, hielten den typisch englischen Landschaftsgarten zusammen. Ein wichtiges Strukturelement war ausserdem ein länglicher See mit geschwungener Uferlinie. Brown und seine Nachfolger platzierten Baumgürtel entlang den Grenzen des eigentlichen Gartens, um Landwirtschaftsflächen und störende Gebäude zu verdecken. Die zum Gut gehörenden Viehweiden, die als Blickpunkt in die Gestaltung integriert waren, wurden durch einen so genannten «Ha-Ha», einen tiefen Graben, vom eigentlichen Park getrennt (Bild 4).
Seine ästhetische Inspiration holte Capability Brown vom in England seit dem Mittelalter bekannten Hirschpark. Dieser bestand aus weiten, offenen Flächen, Hügeln, Tälern und Ebenen und enthielt somit bereits alle bekannten Elemente des Landschaftsparks des 18.Jahrhunderts. Die frei fliessenden Linien in der Landschaft wurden zum wichtigsten Gestaltungselement. Ausserdem entwickelte sich der Landschaftspark aus dem Lebensstil seiner Besitzer, den Angehörigen des Landadels: Er war vergleichsweise billig zu unterhalten. Die Weiden konnten vermietet oder verpachtet werden und brachten dem Besitzer mehr Geld ein als Landwirtschaftsland. Ebenfalls eine wichtige Einkommensquelle waren die schnell wachsenden Weichhölzer, welche unter die landschaftsprägenden Bäume, die Harthölzer Esche, Ulme und Eiche, gepflanzt wurden. Sie konnten geerntet und verkauft werden. Zum Stil des Landschaftsgartens gehörte auch eine Tierherde, die meist aus Rindern oder Schafen bestand. Im Unterschied zum arbeitsintensiven Ackerbau unterstrichen diese Weidetiere die leichteren, angenehmeren Seiten des Lebens.
Ein Landschaftspark diente natürlich auch der Erholung und Entspannung. Die Wege waren in einem geschwungenen Rundgang angelegt, sodass sich Aussichten und Durchblicke ständig veränderten. Meist gab es zwei Rundgänge, einen breiteren für Kutschen und einen schmalen für Fussgänger. Die von Brown und seinen Nachfolgern gepflanzten Dickichte und Wäldchen boten ausserdem dem Wild Schutz und Unterstand, denn Jagd war ein wichtiger Zeitvertreib des Adels.

Allmend im Spiegel englischer Landschaftsgärten

Nähert man sich der Frauenfelder Allmend, empfängt einen eine sanft oder auch ausgeprägter modellierte Landschaft mit Baumgruppen und wenigen, teilweise offenen, teilweise geschlossenen Gebäuden. Wasser als Gestaltungsmittel spielt eine bedeutende Rolle, zum Beispiel mit künstlich geschaffenen Übergängen (für die Panzer) im Fluss, Regentümpeln und kleinen Seen. Ein zum See aufgestauter Bach oder Fluss ist auch im englischen Landschaftsgarten ein immer wiederkehrendes Thema, etwa in Sezincote und Standcombe Park, wo die Wasserfläche, welche nicht zuletzt die Funktion eines Spiegels hat, von einem dichten Baumgürtel umgeben ist (Bilder 1, 2). Wie auf der Frauenfelder Allmend prägen neben Baumgruppen auch einzelne Charakterbäume das weite, offene «Bowling Green», den Rasenplatz vor dem Landhaus oder Schloss; so etwa in Rousham, dem Meisterwerk von William Kent, einem Vorgänger von Capability Brown. Inspiriert von der Dichtkunst und Musik gestaltete Kent Rousham als eine rhythmische Abfolge von grünen Flächen, Durchblicken und Wasserläufen. Die einzigartige «Formal Rill», ein schmaler, geschwungener Wasserlauf, windet sich durch die Wälder zum so genannten «Cold Bath», einem geheimnisvoll dunklen Wasserbecken (Bilder 9, 10). Das aus der chinesischen Gartenkunst übernommene Gestaltungselement wird in England als «Line of Beauty» bezeichnet, weil seine unregelmässige Form der Natur abgeschaut erscheint.
Die geschwungene Linie taucht auch in der Frauenfelder Allmend immer wieder auf, zum Beispiel im in weiten Kurven angelegten Weg, der zur Schiessanlage hinaufführt. Dem antikisierenden «Temple of Echo» aus dem Park von Rousham antwortet in der Allmend ein auf einer Anhöhe inszenierter Betonbunker mit Schiessscharten (Bilder 7, 8).

Die Allmend und das Dessau-Wörlitzer Gartenreich

Dessau-Wörlitz, ab 1765 angelegt von Fürst Leopold III., Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, ist der stilbildende Landschaftsgarten in Deutschland. Der Fürst reiste insgesamt viermal nach England und wurde begleitet vom Hofgärtner Johann Friedrich Eyserbeck. Dieser gestaltete Wörlitz als ersten Landschaftsgarten auf dem europäischen Festland. Das ganze Gartenreich, seit 2001 auf der Welterbe-Liste der Unesco, umfasste damals 700km2, heute sind noch 145km2 davon übrig geblieben. Wörlitz ist als weitläufige Landschaft mit Seen und vielen Wasserarmen angelegt. Grazile antike Tempelchen und steinerne Monumente, durch Schlängelwege untereinander verbunden, beleben den Park. Wie in den englischen Landschaftsgärten sind die Gehölze bewusst platziert, etwa eine knorrige Eiche oder Buche als Einzelbaum oder unregelmässig und locker gesetzte Baumgruppen in der Weite einer Wiesenfläche. Eine wichtige Rolle spielt das Kanalsystem in den Elbauen, wobei die Kanäle in weiten Bögen angelegt sind. Brücken ermöglichen Ausblicke auf Monumente oder Durchblicke im Grüngürtel. Licht- und Schattenwürfe sind raffiniert arrangiert und werden im Garten als «Event» inszeniert.
Auch in der Frauenfelder Allmend gibt es in der Ochsenfurt ein weitläufiges Kanalsystem, das sich als gestaltetes Landschaftselement durch die Wiesen zieht. Vom Zielhang der Artillerie aus bieten sich Ausblicke in die weite Landschaft der Umgebung. Der Zielhang für die Granaten wird als «geborgte Landschaft» gleichsam in die Gebiete diesseits des Flusses Thur mit einbezogen (Bild 11). Gehölzgruppen, auch «Clumps» genannt, und markante Einzelbäume geben dem Wiesland, den als Deckung errichteten Schutzdämmen und den sich ständig ändernden Panzerfahrlandschaften Struktur.

Tumulusartige Modellierungen

Muskau, Schöpfung von Fürst Hermann Pückler (1785–1871), verwandelte eine ganze Stadt und ihre Umgebung in ein ideales Parkbild. Nach dem erzwungenen Verkauf von Muskau wegen Geldschwierigkeiten entwickelte Pückler in seinem zweiten Meisterwerk, in Branitz bei Cottbus, ein flaches, monotones Gelände zu einem Landschaftsgarten mit dichtem Gehölzgürtel und einem See mit künstlicher Insel und zwanzig Meter hoher Grabpyramide. In Sichtweite zum Wassertumulus liess der Fürst noch einen Erdtumulus errichten, in dem ursprünglich seine Frau begraben lag. Die beiden Pyramiden sind starke Zeichen in der Landschaft (Bild 6). Als baumbestandene, tumulusartige Modellierung präsentiert sich auf der Allmend die Rückseite einer Panzerschiessanlage, die von grasbewachsenen, hohen Dämmen eingefasst ist (Bild 3). Ein weiteres prägnantes Zeichen sind die im Wiesland entlang der Thur ausgehobenen Schützengräben, die aussehen wie der «Ha-Ha» im englischen Landschaftsgarten, der die Viehweiden vom eigentlichen Park trennt (Bild 5).
Am Rand der Frauenfelder Allmend befindet sich die Pferderennbahn, das so genannte Hippodrom, wie es etwa im Landschaftsteil des Gartens von Sanssouci bei Potsdam auch eines gibt. Peter Joseph Lenné (1789–1866) hat ähnlich wie Fürst Pückler in Muskau ein Gartenreich rund um die Havel bei Berlin angelegt mit zahlreichen Bezugsachsen unter den einzelnen Gärten, zwischen Wasser, Bäumen und Bauten. Das Hippodrom in Frauenfeld wird von Alleen begleitet, wie sie charakteristisch sind für Teile vieler Landschaftsgärten.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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