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tec21 2006|39
Allmenden
tec21 2006|39, Plan: Stadtplanungsamt Bern
tec21 2006|39, Plan: Stadtplanungsamt Bern
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Von der BEA bis zum Zirkus

Der Nutzungsdruck auf die Allmenden nimmt auch in Bern zu. Die Behörden haben reagiert und für beide Allmenden ein Konzept erstellt – doch die beiden Umnutzungsplanungen erhitzen die Gemüter, obwohl sie eigentlich gar keine weitgreifenden Änderungen vorsehen. Inzwischen ist noch ein weiteres Hindernis aufgetaucht: Ein alter Vertrag mit der Armee könnte das Umnutzungskonzept für die Kleine Allmend zur Makulatur werden lassen.

25. September 2006 - Simon Jäggi
Bern verfügt über zwei Allmenden, Kleine und Grosse Allmend genannt. Sie liegen im Nordosten der Stadt, im Wankdorf-Quartier, und erstrecken sich über eine Fläche von gut 400000 Quadratmetern Land. Zweigeteilt sind sie durch die Autobahn A1, die in den 1970er-Jahren erstellt wurde. Die Kleine Allmend wird von Hündelern, Hornussern und Hobbygärtnern benutzt. Zudem trainieren auf der Wiese Soldaten der Schweizer Armee und Wagenfahrer des Nationalen Pferdezentrums. Und wenn einmal im Jahr die grosse Landwirtschafts- und Gewerbemesse BEA Expo stattfindet, diente die Kleine Allmend bisher auch als Parkfläche.
Westlich der Kleinen liegt die Grosse Allmend. Sie grenzt an die Messehallen der BEA Expo und ans Stade de Suisse. Die Liste der Nutzer, die auf der Grossen Allmend zusammenkommen, liest sich noch länger. Sie wird als Veranstaltungsort von einmaligen Grossanlässen gebraucht, bedeutendstes Ereignis der jüngsten Zeit war der Besuch von Papst Johannes II. vor zwei Jahren. Auf der Asphaltfläche nahe den Messehallen gastieren jährlich mehrere Zirkusse. Auf der ausladenden Rasenfläche bestehen sieben Spielfelder für Fussball und Rugby, ein Baseballfeld und eine Hammerwurfanlage. Zudem wird die Grosse Allmend für eine Vielzahl an Freizeitaktivitäten genutzt, es wird Frisbee gespielt, gejoggt, gegrillt und mit dem Hund Gassi gegangen. Der Nutzungsdruck hat markant zugenommen, und es gibt auch schon ein erstes Verdrängungsopfer zu verzeichnen: den Autostrich. Seit den 1960er-Jahren hat er auf der Grossen Allmend stattgefunden. Heute würden die Prostituierten vor der Militärkaserne auf Freier warten, weil ein Teil des Parkfeldes nachts abgeriegelt werde, heisst es bei der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen Xenia. Dadurch ging die Rückzugsmöglichkeit in den dunkleren, hinteren Bereich verloren.

Druck und Protest

Der Nutzungsdruck hat den Gemeinderat zum Handeln veranlasst. Vor zwei Jahren gab die Stadtberner Regierung eine Studie in Auftrag. Die Vorgabe lautete, «die zahlreichen Nutzungsansprüche zu berücksichtigen und gestalterisch wie funktional optimale Lösungen aufzuzeigen». Aus der Studie entstand ein Gestaltungs- und Nutzungskonzept, das Umzonungen für beide Allmenden vorsieht. Doch als die Behörden die Nutzungszonenpläne für die Grosse und die Kleine Allmend in die Mitwirkung schickten, schlugen ihnen von allen Seiten ablehnende Reaktionen entgegen.
Bei beiden Umnutzungsplänen bot vor allem die Parkplatzfrage Zündstoff für hitzige Diskussionen. Auf der Grossen Allmend sollen nur noch 200 statt 1000 Parkfelder für Veranstaltungsbesucher bestehen bleiben. Als Ersatzstandorte stehen ein Militärareal und die Kleine Allmend im Vordergrund. Linke und Grüne möchten nur noch ein paar Dutzend oder gar keine Dauerparkplätze mehr. Diametral anders dagegen Messeveranstalter, Stadionbetreiber und anliegende Gemeinden: Die BEA fürchtet «einen wirtschaftlich fatalen Besucherschwund», sei die Messe doch dringend auf ein genügendes Angebot in angemessener Distanz angewiesen; den Gemeinden ist es ein Anliegen, Suchverkehr zu verhindern. Und sogar die Kantonsregierung schaltete sich ein: In der Antwort auf eine bürgerliche Motion schloss die Regierung nicht aus, mit einer kantonalen Überbauungsordnung in die städtische Zonenplanung einzugreifen – zwar nur als Ultima Ratio, sollte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden.
Auch die Zonenplanänderung auf der Kleinen Allmend ist auf Opposition gestossen. Das Gestaltungs- und Nutzungskonzept sieht hier unter anderem die Erstellung von vier bis sechs Sportfeldern vor, für die in der Stadt ein dringender Bedarf besteht. Die Rasenfelder sollen Fussballvereinen wie auch Cricket-, Rugby- und Landhockeyclubs eine neue Heimat bieten. Doch Sportplätze rauben Wiesenfläche und bedürfen Parkiermöglichkeiten. Daher wehren sich Anwohner gegen die Breitensportplätze vor ihrer Haustür, der Quartierverein Burgfeld hat eigens eine Website gegen die Umnutzungspläne eingerichtet. Er befürchtet Mehrverkehr im Quartier und den Verlust eines Naherholungsraums.
Die kontroversen Reaktionen haben die Stadt veranlasst, den Nutzungszonenplan für Rasenspielfelder sowie Ausstattungs- und Parkierungsflächen auf der Kleinen Allmend zurückzustellen. Die unumstrittene Erweiterung der Schrebergärtenkolonie wird weiterverfolgt. Erst wenn die Überarbeitung des Richtplans zum ESP Wankdorf abgeschlossen ist (siehe Kasten), werden die Pläne zu den Fussballfeldern wieder aufgenommen. Nun soll aber zuerst das Parkplatzproblem im Wankdorf-Quartier übergeordnet betrachtet und von der ESP-Delegation (Behörden und Interessenvertreter) eine gesamtheitliche Lösung gefunden werden. Laut Laszlo Litzko vom Stadtplanungsamt sollte der Richtplan bis im Herbst ausgearbeitet sein. Der Nutzungszonenplan Grosse Allmend wird derweil weiterverfolgt. Wann es eine Volksabstimmung über die Vorlagen geben wird, sei noch nicht absehbar, so Litzko.
Zum bedeutenderen Hindernis Fussballfelder könnte aber ein staubiges Stück Papier werden. 1875 kaufte die Einwohnergemeinde Bern die vormals bürgerlichen Felder und stellte sie dem Militär als Manövrierfeld zur Verfügung. Im März meldete die «Berner Zeitung», dass die Fussballplätze vom Tisch seien. Die Armee beanspruche das Land nämlich bis mindestens 2010, vielleicht sogar 2028 – dann läuft nämlich der Waffenplatzvertrag aus. Projektleiter Litzko will sich dazu nicht äussern, da zurzeit noch Verhandlungen liefen.

«Allmend» und «Gärten mit Sommerlaube»

Die Allmenden sind ein geschichtsträchtiger Ort, das verdeutlicht der Waffenplatzvertrag, der ein mühsam ausgehandeltes Planungskonzept zur Makulatur werden lassen könnte. Erste Hinweise auf gemeinschaftlich genutzte Wiesen und Weiden finden sich in einem Schenkungsbrief von 1269. Bern stellte einem Dominikanerorden ein Gelände nordwestlich der Stadt zur Verfügung. Im Brief werden die Gebiete als Allmend (communitatem pertinens, vulgariter allmenda) und private Gärten mit Sommerlaube (horti sive loca hortorum) beschrieben. In den Gärten zogen die Stadtbürger Gemüse und Früchte, was einen grossen Teil ihrer Ernährung ausmachte. In Bern existierten zwei Allmendgebiete, je eine für die Ober- und die Unterstadt. Während des Spätmittelalters behielt die genossenschaftliche Nutzung der Allmenden ihre ökonomische Bedeutung – auch für das Gewerbe: Metzger und Gerber konnten in Stadtnähe grössere Viehherden halten, die Tiere verkaufen oder in die Schlachthöfe führen.
Durch den Bau der angrenzenden Militärkaserne kam Ende des 19. Jahrhunderts die Armee auf die Allmend – und mit ihr die Fliegerei. Am 13.Juli 1913 startete der Fliegerpionier Oskar Bider auf der Grossen Allmend mit seinen Beriot-Eindecker zur ersten Alpenüberquerung. Der 22-jährige Bider wurde in Domodossola als Held empfangen, noch Jahre später stand sein Name für die Fliegerei schlechthin. Ab 1910 diente die Allmend als Start- und Landeplatz für Flugzeuge und Ballone. Sogar eine Ballonhalle wurde errichtet. Das Gelände erwies sich aber als ungeeignet für den Flugverkehr, die Behörden suchten bald nach einem neuen Standort und wurden beim Belpmoos fündig (1929 eröffnet). Dort findet sich übrigens noch heute der denkmalpflegerisch bedeutende Bider-Hangar, die letzte Bogenbinderhalle der Schweiz.
Neben Flugmeetings fanden Anfang des 20. Jahrhunderts etliche andere Grossanlässe auf der Allmend statt, zum Beispiel das Eidgenössische Schützenfest 1910. Später zog das Messewesen nach Bern. 1931 fand die Saffa, die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit statt, eine Reihe weiterer Ausstellungen folgten. 1948 wird die Festhalle gebaut und seit 1951 jeden Frühling die BEA durchgeführt. Im 20. Jahrhundert dehnt sich die Stadt aus und frisst sich von den Rändern her in die Allmenden hinein. Mit dem Bau des Fussballstadions, der Messehallen oder des Eishockeystadions 1967 verliert die Allmend jeweils markant an Rasenfläche. Doch ihren Stellenwert als stadtnahe Oase, die «allen gemein» ist – wie es der Wortursprung besagt –, haben die Allmenden bis heute behalten.

Zusatz:
Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf und Richtplan

(sg) Auf der 36 Hektaren grossen Fläche des Entwicklungsschwerpunkts (ESP) Wankdorf befinden sich nicht nur die Allmenden, sondern auch eine Reihe Bauten von nationaler Bedeutung und Ausstrahlung. In keinem der 30 weiteren Entwicklungsschwerpunkte im Kanton sei in den letzten Jahren so viel investiert worden, sagt Arthur Stierli von der Projektkoordinaton ESP Wankdorf. Allein der Neubau des Fussballstadions generierte Investitionen von 250 Millionen Franken. Daneben entstanden weitere investitionsschwere Bauten: Berns grösster Hotelkomplex («Ibis», «Novotel», «Etap»), drei Grossdruckereien (Stämpfli, Sihl AG, Verlag Espace Media) und ein Paketzentrum der Post. Die Wohnüberbauungen Kirschenacker und Baumgarten wurden erstellt. Gleichzeitig investierte die öffentliche Hand in die Verkehrsinfrastruktur des Boomgebiets: Vor zwei Jahren wurde die S-Bahn-Station Wankdorf in Betrieb genommen. Zudem stehen neue Projekte an: Das Eisstadion soll ein neues Gesicht erhalten. Geplant ist unter anderem ein Anbau für Büros und Dienstleistungen mit einer Nutzfläche von über 11500 Quadratmetern. Die an der Sanierung beteiligten Generalunternehmen hatten Mitte März das generelle Baugesuch eingereicht. Inzwischen ist es zu Einsprachen von SP Bern Nord und Grünem Bündnis gegen das Projekt gekommen. Die Parteien fordern Auflagen zum Schutz der Bevölkerung vor nächtlichen Veranstaltungen und Parkierverkehr im Quartier.
«Weitere grosse Nutzungspotenziale sollen mit dem neuen Richtplan nicht geschaffen werden», sagt Stierli, trotz der regen Bautätigkeit heute im ESP Bern Wankdorf. Dennoch bedürfe der alte Richtplan einer Revision. Bei der momentanen Ausarbeitung des behördenverbindlichen Gesamtplans ginge es in erster Linie darum, Verkehrsentwicklung und Siedlung besser aufeinander abzustimmen, die Infrastruktur den inzwischen umgesetzten Nutzungen anzupassen.
Das Nutzungs- und Gestaltungskonzept zu den Allmenden wurde als Grundlage erstellt, bevor die Revision des Richtplans angegangen worden ist. Die Umnutzungsabsichten auf den Allmenden haben indirekt mit dem Richtplan zu tun, da darin unter anderem das Parkplatzangebot koordiniert werden soll. Auf den Allmenden ist nämlich eine Parkplatzrochade geplant: Würden auf der Grossen Allmend 800 Parkplätze gestrichen, soll möglicherweise an der Bolligenstrasse und am Zentweg (auf dem Areal der Kleinen Allmend) Ersatz geschaffen werden. Letztlich müssen die beiden Umzonungsvorlagen zu den Allmenden dazu beitragen, dass das im Richtplan vorgesehene Sockelangebot von 2500 Parkplätzen im Wankdorf-Quartier nach wie vor garantiert ist. Im Zusammenhang stehen Richtplan und Allmend aber auch bezüglich neuer Nutzungsabsichten: Die Erstellung von Fussballfeldern ist im geltenden, alten Richtplan so nicht vorgesehen. Die Revision des Richtplans habe daher auch zum Ziel, so Stierli, «eine gemeinsame Optik für die Entwicklung auf der Kleinen Allmend zu finden».

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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