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Bauwelt 47.06
Wiederaufbau
Bauwelt 47.06
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Berlin: Weihnachtsmarkt Friedrichswerder

Konzept Townhouses: schmalbrüstige Reihenhäuser mit Berliner Traufhöhe, die sich gegen vernünftige Grundrisse sperren, Baustellen, die sich gegenseitig im Weg stehen, Höfe, die immer enger werden.

7. Dezember 2006 - Martina Düttmann
„Sie haben auch am Friedrichswerder gekauft? Fabelhafte Adresse. In Minuten am Gendarmenmarkt, drei Schritte weiter schon an den Gourmetständen im Lafayette, ins Vau, was am nächsten liegt, Jägerstraße gleich da drüben, werden wir sicher nicht so häufig gehen, aber man sieht sich ... natürlich jetzt noch bei der Thüringer Bratwurst auf dem Parkplatz, aber Würstchenbuden haben ja auch ihren Charme, finden Sie nicht, vor allem, wenn man aus der Oper kommt, da ist das Newton nicht halb so witzig, wenn Sie wissen, was ich meine, also ich liebe diese Gegend und möchte in keiner anderen meine Kinder, wenn ich sie hätte, haben Sie übrigens Kinder, nein, auch nicht, berufstätig bis über beide Ohren, ja, mein Mann arbeitet in der gleichen Branche, aber hier sind wir doch nun wirklich im Herzen der Stadt, das Außenministerium als Nachbar ist keine schlechte Adresse, nichts ist so interessant wie die Welt der Diplomatie, mit Einladungen werden wir ohnehin überhäuft, eigentlich könnten wir bis zur Akademie der Künste am Pariser Platz zu Fuß gehen.“ In Kurt Tucholskys „Gespräch auf einem Diplomatenempfang“ von 1930 hätte jetzt noch gestanden: „Sie tritt sich in den Tüll.“

Vor rund vierzig Jahren mussten in der Altstadt Spandau, deren Baudokumente im Krieg verbrannt waren, die Fassadenabwicklungen im Maßstab 1:500 neu gezeichnet werden. Grundrisse gab es, die Höhen der Häuser wurden einfach geschätzt. Die fertigen Zeichnungen, einmal abgeliefert, haben wir damals in Kopie als Weihnachtspostkarten verwendet. Seither habe ich einen Blick dafür.
Reihenhäuser mit Postkartenqualitäten hatte sich der Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann, damals noch im Amt, am Friedrichswerder gewünscht. Auf jeden Fall wurde den Käufern ein Gestaltungsleitfaden mit auf den Weg gegeben, der, wenn auch vage formuliert und vielfältig auslegbar, die Ambitionen des Amtes zu vermitteln suchte. Und was das Amt im Sinn hatte, war „ein harmonisches Gesamtbild im Ensemble“, etwas, das von der Vorgabe der Berliner Traufhöhe zwar nicht abwich, aber durch den Verkauf von Einzelgrundstücken an Stadtindividualisten doch etwas ganz anderes ergeben sollte als die Baublöcke an der Friedrichstraße.
Dieter Hoffmann-Axthelm, immer bereit, sich für ein verlorenes Stadtmuster zu engagieren, und an dem ursprünglichen Konzept beteiligt, hatte Drei-Fenster-Reihenhäuser im Kopf, deren ideale Höhe drei Geschosse betragen hätte. Dem stand die Vorstellung von einer traufhöhengleichen Stadtmitte im Weg. Drei Fenster, akzeptiert, aber doch bitte durchgehend fünf Geschosse, damit keins aus der Reihe fällt. Man hatte sich vorgestellt, dass auf den schmalen Grundstücken von etwa 6,50 Meter Breite und 30 Meter Tiefe entzückende, schmalbrüstige Häuser entstehen würden, und weil man die Grundstücke preisgünstig anbot (zwischen 750 und 1300 Euro pro Quadratmeter, also kaum mehr als 200.000 Euro Grundstückskosten), könnte anschließend ein engagierter Mittelstand die Kernlage bevölkern, sich mit den Mitarbeitern des Außenministeriums vernetzen, die Einkaufsmeile Friedrichstraße tagtäglich nutzen und überhaupt.

„Denn der Bürger will vom Stadtrand ins Zentrum“, sagte Herr Stimmann. „In der Geschichte des Städtebaus hat das städtische Reihenhaus Tradition“, sekundierte Klaus Theo Brenner.
Was vorher eine Grünanlage in drei Segmenten war und die Fassade der alten Reichsbank (heute Außenministerium) wohltuend begleitete, wurde Bauland. Das Areal, zerlegt in Reihenhausgrundstücke mit einer Ausnutzung zwischen 2,2 und 2,5, war im Nu verkauft. Zwanzig bis zweiundzwanzig Meter Bauhöhe sind zugelassen, die zweiundzwanzig Meter allerdings erst seit der Klage eines der Käufer, der sich nicht von den Eckbauten in den Schatten stellen lassen wollte. Die Eckbauten sind für Investorengruppen reserviert worden, denn wie soll man, von Amts wegen, Reihenhäuser um die Ecke denken. Vielleicht waren auch noch ein paar alte Versprechen einzulösen. Die massiven Ecken umklammern die zukünftige Idylle. Es gibt viele von ihnen, denn die Grünanlage am Friedrichswerder wird von den alten Straßen in drei Blöcke zerteilt. Zwei der Blöcke sind sehr klein, die Oxford-Residenz und das Chalet Samtstein an der Alten Leipziger dagegen sehr groß.
Ein kleines Stück Grün, rund ein Viertel des Areals im Süden Richtung Spittelmarkt, war zu erhalten, damit die Häuser am unteren Rand Ausblick haben. Ein Wettbewerb folgte und wurde gewonnen. Was bei der Umsetzung des Wettbewerbs erhalten bleiben wird, steht dahin, denn jetzt ist erstmal ziemlich viel Grün verschwunden. Die Anwohner bleiben verdutzt stehen: Alle diese Baumstümpfe, das waren bis vor kurzem doch noch ausladende Baumkronen? Auch am nördlichen Rand, ein bisschen links von der Friedrichwerderschen Kirche, wird gerade wieder ein Stück Grün eingezäunt, um für ein weiteres Wohn- und Geschäftshaus Platz zu machen.
Schön war die Vorstellung vom arrivierten Mittelstand in Berlin-Mitte. Und die vom Liberalismus. Andererseits verschlingt das arrivierte Reihenhaus mit fünf Geschossen trotz niedriger Grundstückspreise eine reichliche Million Euro und mehr. Mit einer Million Jahreseinkommen wäre man absolut auf der sicheren Seite, wird mir versichert. Warum sollte man sich nicht zur Oberschicht bekennen, wenn man überall von Unterschicht spricht? Eine Oberschicht mit kleinen Vorgärten. Auch für die gibt es Anweisungen, auslegbare, versteht sich. „Einfriedung: Metallzaun 0,90–1,20 Meter hoch, dunkle Farbe, zusätzlich können Hecken gepflanzt werden, Bepflanzung: ein kleinkroniger Baum, wie z.B. Felsenbirne oder Flieder. Mülltonnenstandorte sind ausschließlich im Haus vorzusehen.“
Allmählich glaubt man zu verstehen, warum die hohe Ausnutzung ausgenutzt werden muss und die schmalen Reihenhäuser, sofern sie schon da sind, auf der Hofseite wuchern. Zweigeschossig schieben sie sich in den schmalen Freiraum hinein und starren einander mit großäugigen Fensterflächen an, denn eine Bautiefe von rund dreißig Metern muss belichtet werden. In den Verträgen ist die flächenfressende Ausnutzung nach hinten nicht notiert.
An einer Stelle wird es besonders eng und der Ausblick der Häuser sträflich verstellt, das ist dort, wo der kleine Block zwischen alter Jäger- und alter Leipziger Straße ganz nah an die alte Reichsbank heranrückt. Was soll’s, auch diese Grundstücke gingen weg.
Mit dem Kauf der preisgünstigen Grundstücke, die in den kommenden zehn Jahren nicht veräußert werden dürfen, sind die Käufer eine Bebauungsverpflichtung eingegangen. Innerhalb von sechs Monaten nach der Festsetzung des Bebauungsplans I-209 war der Bauantrag zu stellen, und 18 Monate nach Besitzübertragung und Baugenehmigung sollten die Häuser bezugsfertig sein. So die vertraglichen Formulierun¬gen. Veräußert wurden die Grundstücke in den Jahren 2003 und 2004. Am 16. November 2004 wurde der Bebauungsplan I-209 „für das Gebiet zwischen Werderstraße, Werderschem Markt, Kurstraße, südwestlicher Verlängerung der Kleinen Kurstraße, Niederwallstraße, Hausvogteiplatz, Oberwallstraße sowie für die Oberwallstraße zwischen Hausvogteiplatz und Werderstraße im Bezirk Mitte, Ortsteil Mitte“ festgesetzt.
„Für den Fall, dass durch Umstände, die nicht vom Käufer zu vertreten sind, Verzögerungen eintreten, ... verlängern sich die vorgenannten Fristen um den Zeitraum der eingetretenen Verzögerung.“ November 2006: Fast alle Häuser sind noch im Bau, manche noch nicht einmal angefangen. Bis heute ist nur ein einziges Haus sichtbar wirklich fertig und bezogen. Kaum einem der neuen Besitzer kann es gelungen sein, die Vertragsbedingungen einzuhalten.

Die Mischung macht das Ensemble, sagte Herr Stimmann und ließ sich ab und zu die Fassaden im Nebeneinander vorführen. Was innen draus wird, stellte er den Käufern ganz und gar frei, und was sein Amt betrifft, dem war es ganz egal, in welche Schwierigkeiten der Käufer eines Schnäppchengrundstücks mit Nachbarn geraten würde.
Nun lass dich doch mal als unerfahrener Bauherr darauf ein: Fünf Geschosse, das bedeutet einen Fahrstuhl und eine Treppe, und der Fahrstuhl landet mitten in dem schmalen tiefen Wohnzimmer, und selbst wenn man ihn in die Ecke drängen kann, so braucht er doch ein Podest, und da gibt es außerdem noch ein paar baupolizeiliche Vorschriften, die alle lösbar, aber teuer sind.

„Gott sei Dank haben wir früh genug angefangen zu bauen, denn wohin mit dem Kran, wenn der Nachbar gleichzeitig beginnt, nie hätten wir geahnt, dass die Unterfangungen für Fahrstühle, zu unterschiedlichen Zeiten ausgehoben, so viel Ärger machen könnten, aber wir waren ja früh genug dran, die Schwierigkeiten mit den unterschiedlich hohen Brandwänden und der Wärmedämmung darüber hinaus sind uns nie so ganz klar geworden, das weiß nur der Architekt, und mit dem sind wir hochzufrieden, denn er hat uns ja auch vorzüglich vertreten, als die Baufirma unwissentlich die Grundstücksgrenzen um ein weniges überschritten hat, übrigens, mit den unterschiedlichen Setzungen, worüber viele klagen, hatten wir so gut wie gar nichts zu tun, ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn muss man einfach haben und pflegen, nicht alles, was passiert, lässt sich grundbuchlich regeln, mal sehen, wie das mit den Entlüftungen über Dach funktioniert, wenn der Nachbar sein Schwimmbad auf gleicher Höhe angelegt hat. Gegenwärtig planen wir unsere Kinderzimmer oberhalb der zweiten Hypothek.“

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