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TEC21 2007|05
Sicher Bauen
TEC21 2007|05
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Unabhängig Prüfen

In den letzten Monaten haben Schadenfälle ein breites Interesse der Öffentlichkeit geweckt. Sie zeigen, dass in der Qualität der Ingenieurdienstleistung durchaus Unterschiede vorhanden sind. Es ist ein Irrtum zu glauben, Vorgaben in unseren Normen führten unabhängig von den Fachkenntnissen und der vertieften Auseinandersetzung mit der Aufgabe zu vergleichbaren Resultaten. Damit gewinnt die alte Frage, ob durch Einsatz eines Prüfingenieurs vorhandene Defizite ausgeglichen werden können, wieder an Bedeutung.

29. Januar 2007
Die Meinungen in der Fachwelt gehen auseinander. Zwei extreme Standpunkte veranschaulichen dies. Eine Auffassung ist, dass Prüfingenieure überflüssig sind. Die Fachleute sind sehr gut ausgebildet, arbeiten nur in den Gebieten, in denen sie hoch kompetent sind, verfügen über ein Qualitätssicherungssystem mit einem funktionierenden Kontrollsystem und nehmen ihre Verantwortung wahr. Da sind keine Prüfingenieure gefragt. Eine andere Meinung hingegen lautet, dass Prüfingenieure sehr wohl notwendig sind. Bekannte und schlummernde Schadenfälle sprechen eine deutliche Sprache, eine unabhängige Prüfung ist notwendig. Das gegenseitige Unterbieten der bereits fraglich tiefen Honorare bei laufend grösserem Arbeitsaufwand lässt eine seriöse Bearbeitung nicht mehr zu. Jeder meint, Fachmann in allen Gebieten zu sein. Dank Einsatz von EDV-Programmen werden höchst komplexe Systeme umgesetzt, die der projektierende Ingenieur kaum mehr versteht und deren Plausibilität er sonst nicht beurteilen kann. Daher sind Prüfingenieure notwendig, die auch selber Verantwortung übernehmen müssen und dabei als Kollegen auch zur Optimierung beitragen. Diese beiden Standpunkte legen deutlich dar, dass die Frage betreffend der Notwendigkeit von Prüfingenieuren weder mit Ja noch mit Nein zu beantworten ist, eine differenzierte Betrachtung drängt sich auf.

Qualitätssicherung als integraler Bestandteil

Grundsätzlich dürfen wir festhalten, dass wir dank unseren Hoch- und Fachhochschulen gut ausgebildete Ingenieure in unseren Unternehmungen beschäftigen. Zudem gilt unser Normenwerk als fortschrittlich. Damit können Bauten projektiert werden, die bei angemessener Einpassung, Gestaltung und Zuverlässigkeit wirtschaftlich, robust und dauerhaft sind. Dabei setzt die Norm SIA 2606 in Art. 0.2 voraus, dass Projektierung und Ausführung unter der Leitung qualifizierter Fachleute erfolgen müssen. Für diese Qualifikation genügt jedoch die gute Ausbildung alleine noch nicht. Die Kenntnisse und Erfahrungen in Werkstoffkunde, Statik, Kons­truktion, Baupraxis und weiteren relevanten Fachgebieten müssen der Bedeutung und der Komplexität des Bauvorhabens entsprechen. Daraus wird deutlich, dass Massnahmen zu ergreifen sind, falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden können. Dies kann durch Zuzug weiterer Fachleute erfolgen, beispielsweise durch den Einsatz von Spezialisten, welche die Aufgabe innerhalb der ihnen bekannten Lösungen bearbeiten und somit interpolierend arbeiten können[1].

Gemäss Festlegung in unseren Normen sind Ausnahmen von diesen zulässig, wenn sie durch Theorie oder Versuche ausreichend begründet werden oder neue Entwicklungen und Erkenntnisse dies rechtfertigen. Hier wird nun von bekannten und bewährten Methoden extrapoliert. Art. 0.3 der Norm SIA 260 fordert richtigerweise, dass die Abweichungen in den Bauwerksakten nachvollziehbar zu begründen sind.

In oben zitierter Norm wird gefordert, dass geeignete Qualitätssicherungsmassnahmen während der Projektierung, Ausführung, Nutzung und Erhaltung vorgesehen und ergriffen werden müssen. Im Unterschied zu verschiedenen anderen Ländern mit aufgezwungenen Prüfungsprozeduren dürfen wir uns glücklich schätzen, dass wir diese Massnahmen weitgehend frei wählen können. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass man sich mit der Qualitätssicherung nicht auseinanderzusetzen hätte. Gefordert werden geeignete Massnahmen, die sich nach Aufgabe und Art der Umsetzung richten und fallweise festzusetzen sind. Nach Ansicht des Verfassers sind solche Kontrollsysteme so auszulegen, dass die Eigenverantwortung als primäre Verantwortung den höchsten Stellenwert behält. Das Bewusstsein, dass entsprechend der eigenen Arbeit realisiert wird, muss zwingend vorhanden sein und dazu führen, dass jedes Resultat einer Plausibilitätsprüfung unterzogen wird. Das Wissen um eine Zweitprüfung im Rahmen eines internen Vier-Augen-Prinzipes oder durch einen externen Prüfingenieur darf niemals zu Nachlässigkeiten führen. So erwähnte ein junger Ingenieur in einem Nachbarland bezüglich eines nicht vollständig gelösten Details, der Prüfingenieur werde dies ja schon noch prüfen!

Die Folgen

einer solchen Haltung könnten fatal sein. Das Beispiel zeigt auf, dass die Selbstkontrolle das wichtigste Element der Qualitätssicherung sein muss. Trotzdem sind zusätzlich weitergehende Kontrollmechanismen unabdingbar. Eine Zweitprüfung soll sicherstellen, dass alle Vorgaben und Randbedingungen entsprechend den Regeln der Baukunde korrekt umgesetzt werden. Dies muss über einen unabhängigen Prozess erfolgen. Das simple Nachvollziehen vorhandener Dokumente ist nicht geeignet, weil die Gefahr gross ist, dass Überlegungsfehler nicht aufgedeckt werden. Über diese Zweitprüfung hinaus können Korreferate mit internen oder externen erfahrenen Fachleuten auf konzeptioneller Ebene mithelfen, für die entsprechende Aufgabe die Bestlösung zu finden.

Rolle des Prüfingenieurs

Eine amtliche Kontrolle soll in der Regel der Fehlervermeidung dienen. So muss der Prüfinge­nieur nach der hessischen Bauordnung2 sicherstellen, dass die rechnerische und die tatsächliche Standsicherheit eines Bauwerks und seiner Bauteile ausreichend gross sind. (In Deutschland muss je nach Landesbauordnung die statische Berechnung möglicherweise von einem zweiten Statiker [Prüfingenieur] geprüft werden.) Dazu sind auch die schlüssige Umsetzung in Ausführungszeichnungen und der Bauausführung zu überprüfen. Diese umfassende und somit aufwändige Prüfaufgabe kann, wie oben erwähnt, zu einem Abbau der Eigenverantwortung führen, ohne jedoch einen Mehrwert etwa eines optimierteren Projektes zu generieren. Es kann ja kaum eine amtliche Aufgabe sein, die Optimierung einer Aufgabe voranzutreiben. Wünschenswert ist aber, dass wenn sich eine weitere Fachperson mit der Aufgabe auseinandersetzt, Überlegungen für Optimierungen eingebracht werden. So erwähnt der mit Prüfingenieuren erfahrene Jürgen Schnell3, dass nicht Prüfingenieure gefragt seien, die ihre objektiv starke Rolle selbstherrlich ausspielen, auch nicht diejenigen, die es beim Abstempeln der eingereichten Unterlagen belassen. Gefragt sei hingegen der mitdenkende Kollege, der Hand in Hand zur Optimierung beitrage. So kann es durchaus für ausgewählte Aufgaben, beispielsweise bei einem hohen Schadenrisiko, sinnvoll sein, einen Prüfingenieur als Partner des Projektingenieurs zu berufen.

Gerade bei Anwendung des Ausnahmeartikels darf der Einsatz des Prüfingenieurs aber nicht zur Verhinderung der Innovation führen, indem nur Bekanntes geprüft und genehmigt und damit die Extrapolation nicht zugelassen wird.

Einzelne Aspekte zur Zusammenarbeit mit dem Prüfingenieur werden nachfolgend am Projekt der Grimselseebrücke vertieft.

Beispiel Grimselseebrücke

Im Rahmen des Investitionsvorhabens der Kraftwerke Oberhasli (KWO plus, 20064) soll das Stauziel um 23 m erhöht werden, damit künftig die aus natürlichen Zuläufen vorhandenen Wassermengen energetisch noch sinnvoller genutzt werden können. Die Umsetzung dieses ökologisch und ökonomisch wertvollen Projektes erfordert eine Umlegung der kantonalen Grimselpassstrasse. Als Bestvariante eines Variantenstudiums soll die Strasse künftig über den Grimselsee geführt werden. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Randbedingungen hat der renommierte Brückenbauer Christian Menn eine Schrägkabelbrücke entworfen, die mit einer leichten, modernen und transparenten Eleganz dem einzigartigen Umfeld der Grimsel Rechnung trägt (Bild 1).

Die Kraftwerke Oberhasli KWO sind Auftraggeberin für die erforderliche Strassenumlegung. Nach Bauabschluss werden die Bauwerke in den Besitz des Kantons Bern übergehen. Entsprechend sind die Verantwortlichen des Kantons daran interessiert, dass die Bauwerke den Regeln der Baukunde entsprechen. Die Ingenieurgemeinschaft Grimselbrücken Plus, bestehend aus Bänziger Partner AG, Walt   Galmarini AG, Dr. Deuring   Oehninger AG sowie Kissling   Zbinden AG, begrüsst die Zusammenarbeit mit einem qualifizierten Experten. So ist die Berufung von Urs Meier als Prüfingenieur auf Antrag der Ingenieurgemeinschaft erfolgt. Das vom Kanton Bern gewählte Berufungsverfahren stellt eine ideale Basis für die künftige Zusammenarbeit dar, wurde doch der Prüfingenieur den Projektanten nicht einfach «vorgesetzt». Mit dem Auftrag an den Prüfingenieur sind dessen Aufgaben und Stellung insbesondere gegenüber den Projektingenieuren und den ausführenden Unternehmern genau zu regeln. Für die Grimselseebrücke wird die KWO als Auftraggeberin die zu prüfenden Dokumente dem Kanton Bern einreichen. Der Prüfingenieur prüft diese entsprechend den Vorgaben des Kantons (Bild 2). Im Rahmen eines solchen Vertrages kann ein Prüfingenieur verantwortlich und haftpflichtig werden, womit eine entsprechende Versicherung unabdingbar ist5. Auch nach der hessischen Bauordnung müssen Prüfingenieure mit einer Haftungssumme von mindestens je 500 000 Euro für Personen- sowie für Sach- und Vermögensschäden je Schadenfall haftpflichtversichert sein.[2]

Ideal ist es, wenn Pflichtenheft und Abläufe durch den Prüfingenieur und die Projektanten gemeinsam bereinigt werden. Prüfinhalte können sich beispielsweise nach dem Bauwerk oder speziellen Sicherheitsfragen für die Ausführung richten. Im Hochgebirge der Grimsel muss das Bauwerk im Blick auf die technischen Anforderungen bezüglich Sicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit neben den üblichen, normierten Einwirkungen vor allem auch extremen lokalen Belastungen aus Wind, Schnee und Eis Rechnung tragen. Damit sind Einwirkungen festzulegen, die ausserhalb der durch die Norm SIA 2617 abgedeckten Bereiche liegen. Nebst der Zusammenarbeit mit entsprechenden Experten ist gerade auch hier von Interesse, dass das Vorgehen zur Ermittlung entsprechender Werte und die Überprüfung plausibler Annahmen mit einem Prüfingenieur rechtzeitig diskutiert werden können. Das Organigramm gemäss Bild 2 sieht daher vor, dass ein gegenseitiger Informationsaustausch möglich, ja erwünscht ist. Die
eigentliche Prüfung wird mit den Grundlagen für die Nutzungsvereinbarung sowie der Projektbasis und der Umsetzung im Tragwerkskonzept starten. Die Überprüfung von Gesamt- und Teilsystemen bezüglich Sicherheit, Robustheit und Dauerhaftigkeit sowie der Bauverfahren, Schutzmassnahmen, temporären Bauwerken und Kontrollen der Ausführung können weitere Prüfinhalte sein. Vor allem bei nicht professionellen Bauherrschaften können auch administrative Kontrollen an einen Prüfingenieur delegiert werden, beispielsweise die Kontrolle der Bauwerksdokumentation auf deren Vollständigkeit. Letztlich können die erforderlichen Dokumente für die Nutzung und Erhaltung im Rahmen eines Prüfauftrages beurteilt werden.

Die Abläufe und erforderlichen Zeiten sind so zu fixieren, dass wertvolle Vorschläge des Prüfingenieurs rechtzeitig berücksichtigt werden können. Interventionen müssen so einfliessen können, dass optimale Lösungen möglich sind, ohne inhaltliche oder zeitliche Projektziele zu gefährden.

Eigenverantwortung

Die fachlich oder zeitlich ungenügende Auseinandersetzung eines Projektanten mit seinem Projekt lässt sich durch Einsatz eines Prüfingenieurs nicht auffangen. Vielmehr stehen Auftraggeber und Ingenieurfirmen in der Verantwortung, entsprechend der Aufgabe geeignete Fachleute mit ausreichender Kapazität einzusetzen. Eine ausreichende Qualitätssicherung ist zwingend, wobei der Eigenverantwortung der höchste Stellenwert einzuräumen ist. Soll für eine komplexe Aufgabe dennoch und idealerweise auf Initiative der Projektanten ein Prüfingenieur eingesetzt werden, muss dieser unabhängig prüfen, Innovationen mittragen beziehungsweise fördern und selbst auch in der Verantwortung stehen[8].
Literatur:
1 FBH, 2006: Fachgruppe für Brückenbau und Hochbau FBH des SIA, Podiumsdiskussion vom 14.09.2006 in Zürich. Teilnehmende: Anita Lutz, dipl. Bauing. ETH; Thomas Lang, dipl. Bauing. ETH; Dr. Urs Hess-Odoni, Rechtsanwalt und Notar; Prof. Dr. Michael Faber, dipl. Bauing. TU; Dr. Martin Deuring, dipl. Bauing. ETH (Podiumsleitung).
2 PPVO, 2005: Verordnung über Prüfberechtigte, Prüfsachverständige, technische Prüfungen und Zuständigkeiten nach der hessischen Bauordnung. Entwurf 2005.
3 Schnell, 1995: Die Baufirmen haben am Vier-Augen-Prinzip ein ausgeprägtes Interesse. Dr.-Ing. Jürgen Schnell. Der Prüfingenieur, April 1995.
4 KWO plus, 2006: Investitionsprogramm KWO plus. Kraftwerke Oberhasli KWO, Innertkirchen. www.kwo.ch, Newsletter vom 20.09.06.
5 Hess-Odoni, 1995: Rechtsfragen beim Einsatz von Prüfingenieuren. Dr. iur. Urs Hess-Odoni, Rechtsanwalt und Notar. Baurecht 1/95
6 Norm SIA 260, 2003: Einwirkungen auf Tragwerke. Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich
7 Norm SIA 261, 2003: Grundlagen der Projektierung von Tragwerken. Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich.
8 Menn, 2006: Persönliches Gespräch mit Prof. Dr, Christian Menn, 14.09.2006

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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