Zeitschrift

tec21 2005|1-2
Zukunft Wasserkraft
tec21 2005|1-2, Foto: Lada Blazevic
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Kraftwerkzentrale Küblis – ein Zeitzeuge

Die Rätia Energie ging 2000 aus den Kraftwerken Brusio, den Rhätischen Werken für Elektrizität und der AG Bündner Kraftwerke hervor. Dabei fiel ihr ein architektonisches Corporate Design in den Schoss. Denn die kraftvollen Zentralen im Prättigau und im Puschlav baute in den 1920er-Jahren derselbe Architekt, der St.Moritzer Nicolaus Hartmann jun. Gegenwärtig wird die Zentrale Küblis sorgfältig umgebaut.

13. Januar 2006 - Cordula Seger
Die riesigen Maschinenhallen faszinieren und werden als Kathedralen der Technik gefeiert. Der Kraftwerkbau in Graubünden musste sich vor achtzig Jahren jedoch vor allem der Frage stellen, wie diese stattlichen Volumen in die Landschaft eingepasst werden und doch technischen Fortschritt widerspiegeln können. Wie ernst diese Aufgabe genommen wurde, beweist der Wettbewerb, den die AG Bündner Kraftwerke 1920 unter den führenden Architekturbüros Valentin Koch & Ernst Seiler, Otto Schäfer & Martin Risch sowie Nicolaus Hartmann jun. durchführte. Schon damals entschieden die Ingenieure über die Disposition: Standort und die ideale Grundrissform eines Kreuzes waren vorgegeben, und doch verlangte die Bauherrschaft von den Architekten weit mehr als eine Hülle: «Es soll ein Bau geschaffen werden, der bestmöglich dem heimatlichen Stil entspricht und harmonisch in die Landschaft passt. Daneben ist eine zweite Hauptforderung zu berücksichtigen: die äussere Gestaltung soll dem inneren Zweck, dem technischen Charakter der ganzen Anlage entsprechen.»1 Die mit den Gebrüdern Pfister aus Zürich, ihrerseits prominente Kraftwerkbauer, gut besetzte Jury sprach sich für das Hartmann-Projekt aus. 1922 war der Bau vollendet. Insbesondere der Fassadenaufbau wird der doppelten Ausrichtung – regionale Einbindung und industrielles Selbstverständnis – gerecht: Über einem Stampfbetonsockel erhebt sich massiv gemauerter Tuffstein, der zwischen grobem Putz hervorscheint und auf traditionelle heimische Baukunst referiert.

Die Maschinenhalle als Herzstück

Das Herzstück der Anlage ist heute wie damals die Maschinenhalle. Deren schlichte Grösse, die Rundbogenfenster und die Holzdecke erinnern an eine Basilika. Schon der Kunsthistoriker Erwin Poeschel konnte sich der sakralen Wirkung der Anlage nicht entziehen, entsprechend aufgeladen und anspielungsreich er-scheint seine Beschreibung: «Das Langhaus ist nicht nur dem Volumen nach die Hauptmasse des Komplexes, es ist auch der Sitz des Lebens, wo in den gewaltigen Herzkammern der übermannsgrossen Turbinen der Puls des Wassers pocht, um in den Generatoren jene Energiemengen zu erzeugen, die dem Laienbegreifen ein phantastisches Märchen sind.»2 Nach achtzig Jahren Gebrauch aber haben die alten Maschinen aufgehört zu pochen.

Als die Konzession am Auslaufen war und auf allen Ebenen Investitionsbedarf bestand, stand auch die Maschinenhalle zur Disposition, war sie doch, gemäss dem leitenden Ingenieur Luciano Lardi, für die neuen zwei Maschinengruppen, die nun die Leistung der alten sechs Turbinen übernehmen und gar übertreffen, überdimensioniert. Grösse aber verpflichtet, und wie Kirchen nicht abgerissen werden, nur weil die Kirchgemeinden schrumpfen, so steht auch dieser Bau noch immer für den Glauben an die Technik, selbst wenn Letztere den Glauben überholt hat. Die Bauherrschaft hat schliesslich davon abgesehen, einen Neubau zu realisieren, und leistet sich den Luxus ungenutzten Raums.

Die Churer Architekten Cangemi & Tettamanti treten in Gestaltung und Farbkonzept auf die einmalige atmosphärische Wirkung der Halle ein und wahren diese über die notwendigen baulichen Veränderungen hinaus. Denn für die Platzierung der zeitgemässen schweren Maschinengruppen war eine Neufundierung unerlässlich. Der Hallenboden wurde komplett aufgerissen, und die neuen Katakomben könnten dichter armiert nicht sein. Darüber aber wird wieder der gleiche rote Tonplattenboden verlegt, der sich von den glatt weiss gestrichenen Wänden abhebt und mit der Holzdecke harmoniert. Wie von den Architekten bestimmt, werden die Turbinengehäuse schwarzgrau lackiert, während die übrigen Installationen wie Einlauf- und Düsenröhren, Generatoren usw. in Graualuminium gefärbt sind und so die Turbinengehäuse als klar voneinander getrennt erscheinen lassen.

Technische Notwendigkeit und Denkmalpflege

Mit der Erteilung der Baubewilligung hatte der Kanton gegenüber Rätia Energie denkmalpflegerische Anliegen geltend gemacht. So wurde die Materialisierung als wesentlich erkannt, dann sollte der Leitstand nicht innerhalb der Maschinenhalle platziert werden, und zudem wurde die von der Feuerpolizei und vom Arbeits-inspektorat verlangte Aussentreppe in Frage gestellt. In allen Punkten war es, auch dank dem Verständnis von Felix Vontobel, dem stellvertretenden Direktor der Rätia Energie, möglich, eine nicht nur befriedigende, sondern ansprechende Lösung zu finden.
Dank der Übernahme der angestammten Materialien bleibt die für den Bau wichtige Stimmung zwischen Abstraktion und Vertrautheit erhalten. Der neue Leitstand, der aus organisatorischen Gründen zwischen die Maschinengruppen zu liegen kommen musste, ist wie ein leichtes Gehäuse gestaltet, das seinerseits selbstverständlich als Objekt zwischen Objekten steht und durch die umfassend verglaste Gitterstruktur leicht und durchlässig wirkt. Die neue Fluchttreppe für die im Westflügel geplanten Arbeitsplätze konnte im Sinne eines Kompromisses zwischen denkmalpflegerischen und sicherheitsspezifischen Anliegen innerhalb eines Gebäudeversprungs entlang der Aussenmauer platziert werden.

Cangemi & Tettamanti zeigen mit ihrem Konzept jedoch, dass der Erhalt historischer Bausubstanz über das Augenfällige hinausgehen muss und gerade im Industriebau die Struktur einen wichtigen und integrativen Bestandteil darstellt. So konnten die Architekten etwa darauf hinwirken, dass im Eingangsbereich, um der hohen Belastung bei der Anlieferung der Maschinen standzuhalten, die tragende Decke im UG lediglich verstärkt und nicht die gesamte Tragstruktur ersetzt wurde.

Die Gliederung des geplanten Grossbüros im ersten Obergeschoss des Westflügels macht das vorhandene Stützenraster zum Thema und spielt zugleich die rhythmische Raumwirkung frei. Auch die mit der umfassenden Automatisierung überflüssig gewordene Kommandozentrale mit ihrer grosszügigen Verglasung auf die zu Füssen liegende Maschinenhalle wird in ihren ausgewogenen Proportionen erhalten und soll voraussichtlich als Schulungs- und Besucherraum dienen. Die notwendige Haustechnik wird in den bestehenden Schrankwänden und über dem Oblicht unsichtbar versorgt. So bleibt die Kraftwerkzentrale Küblis von innen heraus ein kraftvoller Zeitzeuge.
Anmerkungen
1 Zitiert nach Conradin Clavuot/Jürg Ragettli: Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden. Chur 1991, S. 70.
2 Zitiert nach Leza Dosch: Kunst und Landschaft in Graubünden. Bilder und Bauten seit 1780. Zürich 2001, S. 211.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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