Bauwerk

Tate Gallery of Modern Art
Herzog & de Meuron - London (GB) - 2000
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini
Tate Gallery of Modern Art, Foto: Margherita Spiluttini

Moderne Kunst im alten Boilerhaus

Mit der Tate Modern am Themseufer, die heute durch die Queen offiziell eröffnet wird, erhält London ein modernes Pendant zur St. Paul's Cathedral.

11. Mai 2000 - Peter Isenegger
London - „Ein Triumph“ sei die Tate Modern, beginnt Nonie Nieswand, Kritikerin des Independent, ihren Artikel über das Museum. Und Andrew Marr doppelt im Observer nach: „Wenn moderne Kunst die neue britische Religion ist, dann ist Tate's Bankside Gallery deren St. Paul's, deren neue Kathedrale.“

Das Werk der Basler Architektur-Gemeinschaft Herzog und de Meuron ist im sonst kritischen England mit Begeisterung aufgenommen worden und der Vergleich mit einer Kathedrale drängt sich tatsächlich auf. Allein schon wegen der Ausmaße der Eingangshalle: 160 Meter lang, 30 Meter hoch und 25 Meter breit. Und wir befinden uns noch nicht einmal im eigentlichen Museum.

Diese Halle verdankt die Tate Modern dem ursprünglichen Verwendungszweck des Gebäudes. Der Raum war die Turbinenhalle der 1947 britischen Architekten Sir Giles Gilbert Scott kreierten Bankside Power Station, einem Kraftwerk am Themseufer, genau gegenüber der St. Paul's Kathedrale. Scotts Kraftwerk wurde erst zu Beginn der Sechzigerjahre fertig gestellt und nach nur 18 Betriebsjahren stillgelegt.


Ein Stück Stadt

Die kathedralenähnliche Eingangshalle der neuen Tate war das Herzstück der Bankside Power Station. Dieses Herzstück wurde von Herzog & de Meuron in einer Großzügigkeit freigelegt, die in jedem Neubau als verschwenderisch empfunden würde. Es soll künftig als Raum der Begegnung, als „öffentlich zugänglicher Raum“ dienen. Denn, so meint Jacques Herzog: „Unsere Idee war es, nicht nur ein Museum, sondern auch ein Stück Stadt zu schaffen.“ Dieses Konzept erhält noch mehr Gewicht, wenn das neue Museum mit einem Fußgängersteg, der in die Gegend der St. Paul's Kathedrale führt, an das andere Themseufer angebunden wird. Der Steg, von Norman Foster entworfen, ist der erste Themse-Übergang, der seit gut 100 Jahren im Zentrum von London gebaut wird.

Das eigentliche Museum mit seinen achtzig Ausstellungsräumen ist im themseseitigen alten Boilerhaus, wo früher der Dampf für die Turbinen erzeugt wurde, untergebracht und auf drei Ebenen verteilt. Zwei davon sollen der ständigen Sammlung der Tate vorbehalten bleiben, während die dritte für Spezialausstellungen reserviert ist. Ebenso „breathtaking“ wie die Architektur selber ist die Lichtregie, mit der die Baseler ans Werk gingen: Natürliches Licht vermischt sich mit künstlichem. „Wir haben Lichtmaschinen montiert“, erklärt Jacques Herzog, „Lichtmaschinen, die uns nicht nur erlauben, die Intensität des Lichtes, sondern auch dessen Tönung zu verändern.“

„Lightbeam“ (Lichtstrahl) nennen die Architekten den zweistöckigen gläsernen Aufbau, den sie aufs Dach des Kraftwerkes gesetzt haben, um dem massiven Kamin ein horizontales Gegengewicht zu setzen. Ein Motiv, das im Inneren wiederholt wird: Die vorstehenden beleuchteten Glaserker brechen in der Eingangshalle die Dominanz der senkrechten Stahlträger.

Im lichtdurchfluteten „Lightbeam“, erläutert Harry Gugger, Juniorpartner im Basler Architekturbüro, der die Realisierung des Projekts vor Ort überwachte, die Philosophie hinter der Neugestaltung der Bankside Power Station: „Bei diesem Bauwerk handelt es sich um ein Industriegebäude mit einer ausgeprägten Aufgliederung in drei Teile. Das Turbinenhaus, das Boilerhaus und der Transformatorenraum, der zumindest für die nächste Zeit als Verteilerzentrale dienen wird, später aber dem Museum zugeschlagen werden soll.“

Und: „Energie hat in diesem Gebäude immer eine starke Rolle gespielt. Früher war Öl der wichtige Energieträger. Mit ihm wurde Dampf erzeugt und schließlich Elektrizität. Die Energie, die ein Museum in Bewegung bringt, ist das Licht.“

„Entzückt“ und vollauf zufrieden ist auch Tate-Direktor Sir Nicholas Serota, der vor zehn Jahren das brach liegende Kraftwerk für seine Zwecke entdeckt und vor dem drohenden Abbruch gerettet hat. Er will in den neuen Räumen auch ein neues Ausstellungskonzept mit dem Namen Collection 2000 verwirklichen. Die Ausstellung ist nicht mehr chronologisch, sondern thematisch geordnet. Landschaft, Stillleben, Akt und Historische Malerei: allerdings sehr weit gefasst.

Zwei Millionen Besucher erwartet die Tate Modern pro Jahr. Und mit Kosten von 134 Millionen Pfund sei die Tate Modern geradezu ein Schnäppchen, findet der „Independent“, der mit einem Blick themseabwärts schreibt: „Die Dummköpfe, welche den Millennium-Dom (Kosten über 750 Millionen Pfund, Publikumserfolg eher mäßig) sanktioniert haben, sollten sich die Tate Modern anschauen und vor Schande in den Boden versinken.“


Die Queen, die Moderne und die Anarchie

Die Tate Modern wird heute durch Queen Elizabeth II. offiziell eröffnet. Londons Polizeichef Sir John Stevens hat davor gewarnt, dass anarchistische Gruppen sich nun Königin Elizabeth II. und ihre Familie als Ziele auserwählt hätten. Die Anarchisten könnten die Eröffnung zu Ausschreitungen nutzen. Im vergangenen Juni war ein anti-kapitalistischer Marsch durch die Londoner City im Chaos versunken. Die Marschierer hatten Autos in Brand gesteckt, Bürofenster eingeworfen und gegen die anrückende Polizei gekämpft.

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