Bauwerk

„Neues Bauen am Horn“
Diener & Diener Architekten, Adolf Krischanitz, Luigi Snozzi - Weimar (D) - 1996

Im Bauhaus-Terrain

Das städtebauliche Projekt «Neues Bauen am Horn» in Weimar

Als 1992 die letzten russischen Truppen aus Weimar abzogen, stellte sich die Frage nach der künftigen Nutzung der Militärareale. Auf einem davon, direkt östlich des Ilmparks, entsteht nach einem Bebauungsplan der Schweizer Architekten Diener & Diener und Luigi Snozzi sowie von Adolf Krischanitz aus Wien ein neues Stadtquartier.

5. November 2004 - Ursula Seibold-Bultmann
Ein imposanter Kasernenbau aus den 1850er Jahren, halb Burg, halb Neorenaissancepalast, krönt den Höhenzug oberhalb des Weimarer Residenzschlosses; der Architekt, Carl Ferdinand Streichhan, war ein Schüler Gottfried Sempers. Direkt südlich des früheren Militärgebiets, zu dem Streichhans Kaserne gehörte, steht das 1923 nach Plänen von Georg Muche errichtete Haus am Horn als einziges realisiertes Gebäude der einst hier geplanten Bauhaus-Siedlung, und ganz in der Nähe lockt Goethes Gartenhaus. Kein Zweifel: Das rund 10 Hektaren grosse Projektareal mit Blick über die Stadt ist eines der schönsten und architekturhistorisch vielstimmigsten in Weimar.

Alt und neu

Die Konversion des brachen Militärgeländes gewann unter Leitung der staatlichen Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG), der Stadt Weimar und der dortigen Bauhaus-Universität 1996/97 bei einer internationalen Planungswerkstatt Konturen. Das Basler Architekturbüro Diener & Diener wurde mit der Gestaltung des Exerzierplatzes vor der Streichhan-Kaserne betraut, dessen Fläche es mittels dreier T-förmiger Neubauten straffen und in das Gefüge des benachbarten Altbestands einbinden wollte; Luigi Snozzi aus Locarno entwarf eine Betonmauer am Hang als Sockel für diesen Teil des Areals; und der Wiener Adolf Krischanitz lieferte einen Bebauungsplan für dessen Südhälfte, wo nun eine energisch strukturierte Wohnsiedlung entsteht. Die Parzellen liess Krischanitz nach einem Modulsystem so schneiden, dass ihr Muster einer Klaviertastatur ähnelt. Je nach Breite müssen die Passerellen bis auf beide seitlichen Grenzen oder bis auf ihre Ost- bzw. Nordgrenze bebaut werden. Nur auf den grössten Feldern dürfen Häuser mit allseitigem Abstand stehen. Damit sich eine schlüssige Staffelung der Baukörper im durchfliessenden Grünraum ergibt, sind möglichst einfache kubische Volumina mit Flachdächern obligatorisch.

Die Realisierung des Projekts zog Kompromisse nach sich. Snozzis Mauer wurde stark coupiert, und es fehlt ihr noch das geplante Turmhaus neben der heute von der Musikhochschule genutzten Streichhan-Kaserne. Diener & Diener mussten aufgrund von Marktkräften ihr Konzept dreier kleinerer T-Bauten auf zwei grössere umstellen, von denen erst einer - ein Pflegeheim - steht; die Ausführung des Projekts durch die Stuttgarter Architekten Schwarz und Jacobi verwässert Roger Dieners Entwurf ebenso wie die von ihm nicht gewünschte Domestizierung des Exerzierplatzes durch parkende Autos. Krischanitz ist am zufriedensten: Sein strenges Regelwerk für die Siedlung hat ein einheitliches Gesamtbild bewirkt und inspirierte gleichzeitig die besten der beteiligten Architekten - so etwa Max Dudler (Berlin/Zürich) - zu interessanten Hausvarianten mit perforierten Hüllen, Atrien, innen liegenden Terrassen oder freistehenden Ateliers. Nicht alle der Neubauten erreichen allerdings solches ästhetisches Niveau. Angesichts dessen hat die LEG inzwischen neun Architekten - darunter Roger Diener und Adolf Krischanitz sowie Peter Märkli aus Zürich, Hermann Czech aus Wien, Giorgio Grassi aus Mailand und Tony Fretton aus London - mit Musterplanungen für Häuser auf noch freien Parzellen beauftragt.

Da einzelne dieser als Anreiz für Bauherren gedachten Pläne Mehrfamilienhäuser vorsehen, ist zu hoffen, dass sie auch eine etwas grössere soziale Vielfalt im Quartier begünstigen werden. An diesem Punkt wäre zu fragen, ob eine neue Wohnsiedlung ausgerechnet in Ostdeutschland sinnvoll ist, wo ganzen Gründerzeit-Strassen der Abriss droht. Die Antwort ist positiv, wenn es wie hier um die Heilung einer städtischen Brache geht. Zudem sind die ostdeutschen Städte heute derart dünn bevölkert, dass sich viele der geisterhaften Altbauviertel nicht annähernd wiederbeleben lassen: Der Wunsch nach einem neuen Haus klingt da anders als weiter im Westen.

Weiterführen der Tradition

Wichtig ist schliesslich die baukünstlerische Ausstrahlung, die regional von dem Projekt auszugehen verspricht. Doch liegt im Verweis der Planungsvorgaben auf die Formideale des Bauhauses nicht die Gefahr eines verkappten Historismus? Der Weimarer Architekt Andreas Reich spricht lieber vom schöpferischen Fortführen der Ortstradition; sein eigenes Haus am Horn ist spannungsvoll über die Diagonale erschlossen und besticht durch eine Innentreppe mit präzis placierten Cortenstahl-Brüstungen. Dem Büro Gildehaus Reich bot das Gelände aber auch Raum für die Kunst des Bauens im Bestand: Mit einem minimalistischen Holzeinbau haben die Architekten die alte Gewehrkammer neben der Streichhan-Kaserne in ein Studentenheim umgewandelt und erhielten dafür den Thüringer Architekturpreis 2001.

Kontakt und Broschüre mit Musterplanungen: LEG Thüringen http://www.uni-weimar.de/horn.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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