Bauwerk

Holocaust Mahnmal
Eisenman Architects - Berlin (D) - 2005
Holocaust Mahnmal, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Holocaust Mahnmal, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES
Holocaust Mahnmal, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES

Erschütterung im Stelenwald?

Das Holocaust-Mahnmal nach der Entscheidung

2. Juli 1999 - Joachim Güntner
Mahnung wider das Vergessen. Kranzabwurfstelle. Grundstein für die Berliner Republik. Betonierter Schlusspunkt. Zeichen deutscher Trauer. Schandmal. Zeugnis gegen Gleichgültigkeit. Ehrenmal des Leidens. Reichsopferfeld. Dauerrepräsentation unserer Schande. Feld der Irritation. Teutonisches Kolosseum. Demonstration von deutschem Buss- und Reuestolz. Geste der Solidarität mit den Opfern. Entsorgung des Grauens durch Ästhetisierung. Offene Wunde im Herzen der Hauptstadt. Aufgepfropftes Wahrzeichen mit Alibicharakter. Vermächtnis Bonns an Berlin. Nationales Gründungsopfer. Zentrales Zeichen für das künftige Selbstbewusstsein der Republik. Monumentaler Ausdruck der Unfähigkeit, uns selbst zu verzeihen. Grosses radikales Kunstwerk.


Für und Wider

Zitate aus elf Jahren Diskussion um das zentrale «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin. So viele Beinamen für eine Idee und ihre mögliche Ausgestaltung, so viel hart aufeinanderprallendes Für und Wider. Die Debatte um das Mahnmal sei das Mahnmal, hat sinngemäss der amerikanische Denkmalexperte James Young gesagt, die deutsche Disputfreude lobend. Die Gelobten haben es ihm nur allzu gern nachgesprochen - und dabei vergessen, dass stets nur dann heftig diskutiert wurde, wenn ein Ereignis, eine neue Wettbewerbsrunde, eine Entscheidung bevorstand. Mit dem Votum des Bundestages für Peter Eisenmans Stelenwald ist Endgültigkeit eingekehrt, also wird auch das Feuer des Streits erlöschen, ungeachtet dessen, dass die Gegensätze fortbestehen.

Der Beschluss der Volksvertreter determiniert das Mahnmal mehrfach: Er grenzt andere Opfergruppen des nationalsozialistischen Terrors wie Sinti und Roma, Homosexuelle und politisch Verfolgte aus und setzt so, mit einem Wort Henryk M. Broders, «die Sonderbehandlung der Juden unter einem positiven Vorzeichen fort». Er macht durch die Einbeziehung des Parlaments das Mahnmal tatsächlich zu einem Nationaldenkmal. Und er zeigt eine bemerkenswerte Verschiebung in der Staatsräson: Erstaunlich, wie nahezu einhellig die politische Klasse eines Landes bereit ist, das nationale Selbstbild negativ zu beschweren. Dabei handelt es sich keineswegs um, wie böse Zungen unterstellen, «typisch deutschen Masochismus». Bill Clinton entschuldigte sich unlängst für die Verbrechen der Sklaverei, die Kolonialregime entschuldigen sich für den Kolonialismus, die Staatsoberhäupter Frankreichs und Norwegens gestehen reuig die Kollaboration ihrer Länder bei der Deportation der Juden, die Schweiz geisselt sich für ihren Umgang mit nachrichtenlosen Vermögen und Nazigold. Da ist es so abseitig nicht, wenn in Deutschland die «Nachkommen der Tätergeneration» den Opfern ihrer Väter ein Denkmal setzen.

Mit der «neuen Inszenierung von Schande als einem Medium nationaler Selbstreflexion», meint der Soziologe Helmut Dubiel, «befinden wir uns in einer fast erdrutschartigen Veränderung der Art und Weise, wie westliche Gesellschaften ihr eigenes Legitimitätsmuster gestalten. Es ist keine triumphalistische Geschichtsschreibung mehr, sondern das Betrachten der Leichen im Keller.» Ein Betrachten freilich, das wenig kostet, da es zulasten der Altvorderen geht und für die Betrachter den moralischen Profit abwirft, sich mit ihrer kollektiven Selbstbeschämung auf der Seite der Guten fühlen zu dürfen. Andererseits: Wer wollte ein bisschen moralische Selbstüberhebung verübeln, solange ihre Früchte der historischen Wahrheitsfindung dienen?


Erfahrung, keine Aussage

Determiniert schliesslich hat der Bundestag das Mahnmal auch durch sein Vertrauen in die Kraft der Kunst, mehr zu sagen, als Begriffe es vermögen. «Leiden, auf den Begriff gebracht, bleibt stumm und konsequenzlos: das lässt in Deutschland nach Hitler sich beobachten», heisst es in Adornos «Ästhetischer Theorie». Indem sich die Abgeordneten des deutschen Bundestages mehrheitlich gegen die alternative Aufpflanzung der Mahnung «Du sollst nicht morden» und für Eisenmans enigmatisches Kunstwerk entschieden, waren sie der Ansicht Adornos nahe, dass «im Zeitalter des unbegreifbaren Grauens nur noch Kunst» der konkreten Wahrheit «vielleicht genügt». So ganz indes haben sie sich der Ausdruckspotenz begriffsloser Kunst doch nicht überlassen mögen und ein dem Stelenwald anzugliederndes Informationszentrum beschlossen.

Zu Recht, da Eisenmans Arbeit, kommentarbedürftig wie alle modernen Kunstwerke, erst durch die explizite Widmung, Denkmal für die ermordeten Juden zu sein, und durch den Kontext, durch historische Kenntnisse, zu sprechen beginnt. Aber wie spricht es? «Eine Ikonographie für die kollektive Vernichtung von Menschen zu erfinden» sei unmöglich, wusste Richard Serra, Eisenmans Partner beim ersten Entwurf. Man darf daher die Angemessenheit eines künstlerischen Holocaust-Mahnmals nicht auf der Darstellungsebene suchen. «Mein Entwurf ist antisymbolisch», sagt Peter Eisenman, und seine Lobredner pflichten ihm bei, dass der Gang durch das Mahnmal keine Aussage, sondern eine Erfahrung beschert. «Der Stelenwald vermeidet alle Gewissheiten und wirft uns auf uns selbst zurück. Fremd wird man sich dort fühlen - von falscher Versöhnung keine Spur, auf jede Deutung wird verzichtet», meinte Hanno Rauterberg in der «Zeit».

Das genügt nicht. Als womöglich narzisstisches Spiel mit eigenen Emotionen verfehlt das Denkmal seine Aufgabe. Nicht Individualisierung, nicht Zurückwerfen auf uns selbst, sondern Erschütterung ist, was wir von einem als Kunstwerk gestalteten Mahnmal verlangen müssen. Erschütterung aber meint Selbstverlust statt Selbstbespiegelung: dass der Betrachter sich vergisst, im Werk verschwindet. «Er verliert den Boden unter den Füssen; die Möglichkeit der Wahrheit, welche im ästhetischen Bild sich verkörpert, wird ihm leibhaft», hoffte Adorno. Diesen Anspruch in Peter Eisenmans Arbeit eingelöst zu finden fällt schwer. Vermutlich taugt dazu die gern als trivial bezeichnete «Information» ja doch mehr als die hohe Kunst. Dem Ergriffensein durch Photos, Briefe, Berichte und Ausstellungen über die Shoah kann man sich kaum entziehen. Ein Gleiches, gar mehr soll eine Wanderung durch den Stelenwald leisten können? Die Antwort steht aus, sie wird sich erst durch die praktische Probe geben lassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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