Bauwerk

Holocaust Mahnmal
Eisenman Architects - Berlin (D) - 2005
Holocaust Mahnmal, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Holocaust Mahnmal, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES
Holocaust Mahnmal, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES

Aus dem Lot

Peter Eisenmans Holocaust-Mahnmal in Berlin

18. Dezember 2004 - Claudia Schwartz
Der Beginn der Bauarbeiten an dem umstrittenen «Denkmal für die ermordeten Juden Europas» in Berlin liegt über ein Jahr zurück. Wann immer man im Laufe der Zeit das Gelände nahe dem Brandenburger Tor aufsuchte und der Wirkung nachspürte, die der Anblick der wachsenden Zahl von Stelen auslösen würde, stellte sich Ratlosigkeit ein. Vergeblich suchte man nach der angekündigten Wellenbewegung, die sich in der Gruppierung ergeben sollte, und nicht die geringste Andeutung eines Sinnbildes war zu erkennen. Man glaubte den Grund im Unfertigen des Ganzen zu finden. Die Gegend wirkte wie ein Depot im Berliner Sand, in dem riesige Betonklötze auf ihre Weiterverarbeitung warten.

Mittlerweile haben sich die Säulen zu einem Bild gefügt, zu einem Feld geordnet: Dicht an dicht stehen sie in unterschiedlichen Höhen und Neigungswinkeln und ergeben ein kühles kubistisches Zusammenspiel in Helldunkel. Als graue Steinmasse bildet das Gelände einen rauen Kontrast zu den umliegenden bunten Häuserfassaden. Von der Reichstagskuppel aus gesehen mutet das Bauwerk an wie ein grosser, mitten in die Stadt hinein gepflasterter, unsinniger Flecken, der sich nicht in seine Umgebung einpasst. Von hier oben ist mit etwas gutem Willen und bei guten Lichtverhältnissen auch so etwas wie eine Wellenbewegung zu erkennen. Als Stein des Anstosses schiebt sich das Betonmosaik immer wieder in den Blick im Stadtbild des neuen Berlin zwischen Reichstagskuppel und Potsdamer Platz. Das hauptstädtische Postkartenidyll ist nur noch unter Anstrengung zu bekommen. Seit die wenigen Bäume zwischen die Säulen gepflanzt sind, fällt auf, wie leblos der Beton wirkt. Dagegen scheinen sich die unterschiedlich geneigten Stelen leicht zu bewegen, als würde der Wind darüber ziehen.

Der letzte der 2751 Steinquader wurde in dieser Woche gesetzt. Der anfängliche Eindruck des Unbestimmten bleibt. Man muss dem New Yorker Architekten Peter Eisenman ein Kompliment machen dafür, dass sein Werk sich der Suggestion und einem falschen Gefühlsausdruck verweigert, der den Schrecken der Vergangenheit beschwören will. Es ist erstaunlich, wie wenig monumental das Bauwerk wirkt trotz seinem riesigen Ausmass von vier Fussballfeldern. Es scheint leicht in den Boden abzusinken und erhebt sich jedenfalls nicht im Schuldstolz. Ähnlich wie Norman Foster die Würdeformel der Reichstagskuppel unterlief, indem er diese öffentlich begehbar machte, enthebt Eisenman das Denkmal einem eindeutigen Erinnerungshabitus. Es bringt historische Verantwortung zum Ausdruck, aber es bereitet keiner symbolpolitischen Selbstentsühnung den Weg.

Man wandelt hier über unebene, gepflasterte Wege zwischen den Betonwänden. Manchmal kippt eine Stele aus dem Lot und neigt sich einem leicht entgegen oder weicht nach hinten zurück. Vom Potsdamer Platz herüber weht der Würstchenduft vom Weihnachtsmarkt. Die Stelen wachsen in der Mitte des Feldes auf bis zu fünf Meter an, während der Weg zwischen ihnen steigt und fällt, im Zentrum droht das ganze Feld mit einem in den Boden zu versinken. Die Stadt rundherum verschwindet manchmal hinter den Säulen, der eindringende Lärm der vielbefahrenen Strasse zwischen dem Regierungsviertel und dem Potsdamer Platz wirkt zunehmend störend. Die Immissionen der Grossstadt lassen sich nicht ausblenden, so sehr man sich auch anstrengt. Man findet hier keine Ruhe und ist doch auf sich selbst zurückgeworfen. Eisenman schickt einen in eine körperliche Erfahrung mit vagem Ausgang.

Hier beginnt das Unwohlsein mit diesem Denkmal, das Missverständnissen nicht entgegenwirkt. Zum Beispiel jener Annahme, wonach hier eine physische Beklemmung vermittelt werde, die der Erfahrung der im Nationalsozialismus Verfolgten ähnlich sei. Unwohlsein darüber, dass die historische Katastrophe nicht ausgesprochen (und also in gewissem Sinne beschwiegen) wird, dass die Fakten in einem angegliederten, unterirdischen «Ort der Information» nachgereicht werden müssen.

Das Berliner Mahnmal gibt keine Antwort auf die Frage, wie die Deutschen zu ihrer Geschichte stehen sollen, ausser jener vielleicht, dass die Haltung, die man zur Vergangenheit einnimmt, nirgendwo anders als im eigenen Kopf entstehen kann. Eisenman hat einen rationalen «place of no meaning» geschaffen und eine Absage an die Vergegenwärtigung des Grauens mit ästhetischen Mitteln. Gäbe es ein Bild für das Bilderverbot, so fände man es am ehesten hier.

Als Schlussstrich unter die Debatte um die deutsche Vergangenheit, wie von den Kritikern des Mahnmals befürchtet, eignet sich dieses Denkmal kaum. Die Steine reden nicht, es liegt an den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, ob sie ihnen eine Stimme verleihen. Eisenman hat auf einem offenen Mahnmal bestanden. Passanten werden sich auf den kleineren Blöcken niederlassen, vielleicht zum Picknick oder um sich fotografieren zu lassen. Noch wohnt dem Denkmal Bedachtsamkeit, Würde und Sachlichkeit inne. Ob dies so bleibt, wenn der Zaun nach der Eröffnung im kommenden Mai entfernt sein wird und die Menschen das Stelenfeld begehen werden, wird sich weisen müssen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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