Bauwerk

Pavillon ´80 TAGE WIEN´
Franz Eberhard Kneissl - Wien - 1995
Pavillon ´80 TAGE WIEN´, Foto: Herbert Fidler
Pavillon ´80 TAGE WIEN´, Foto: Herbert Fidler

Ohne Schlagobers

Franz E. Kneissls Bauten schlagen einen herben Ton an. Die rüde Demonstration architektonischer Pragmatik hat fast schon den Charakter eines Manifests.

2. September 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
In der Arbeit von Franz E. Kneissl gibt es schon seit langem ein durchgehendes Thema: Man könnte es die Abwesenheit der Architektur nennen. Das fing mit den frühen Mehrzweckhallen des damaligen Teams Appel, Kneissl, Prochazka an und setzt sich nahtlos und noch schärfer in den beiden jüngsten kleinen Arbeiten von Kneissl fort. Sowohl der Umbau des „Literarischen Quartiers“ in der Alten Schmiede in Wien als auch der temporäre Pavillon des „Architektur Zentrums Wien“ im Museumsquartier liefern Beispiele für den Gestaltungsunwillen dieses Architekten. Man muß sie gesehen haben.

Kneissl hat den neuen Pavillon unmittelbar vor das „Architektur Zentrum“ in einen Hof des Museumsquartiers gebaut, also nicht mitten hinein, sondern in eine Ecke. Damit wird gleich klargestellt, daß es sich nicht um ein solitäres Bauwerk handelt, sondern um eines, das als vorübergehende Erweiterung der Ausstellungsräume des AZW dient. Während des großen Architekturfestivals „80 Tage Wien“, das uns diesen Herbst mit seinem dichten Programm außer Atem bringen wird, kann sich der Ausstellungsbesucher dort einen aktuellen Programmüberblick verschaffen, seinen Kaffee trinken, Bücher kaufen und überhaupt an Veranstaltungen aller Art – vom Diavortrag bis zur Diskussionsrunde – teilnehmen.

Der Pavillon ist eine schlichte Stahl-Glas-Konstruktion, ein Quader mit Trapezblecheindeckung und asphaltiertem Fußboden. An der südlichen, dem Hof zugewandten Längsseite hat er einen Sonnenschutz. Als Verdunkelung bei Diavorträgen, die am Tag stattfinden, dürfte diese Jalousie aber nicht ausreichen: Da werden die Scheiben mit Folie beklebt. Außerdem ist der Pavillon beheizbar (eine Gasheizung, die die warme Luft von der Decke in den Raum bläst).

Der Pavillon steht auf einem ganz simplen Fundament. Es wurde aus dem Asphalt des Hofes ein Rechteck ausgeschnitten, eine Betonplatte eingefügt und darüber wieder asphaltiert. Auf diesem Fundament ist der Pavillon festgeschraubt – das heißt, er kann jederzeit demontiert und zerlegt werden und bekommt später, lange nach Ende der „80 Tage Wien“, auch tatsächlich einen neuen Aufstellungsort: im Bereich des neugestalteten Wiener Gürtels, wo es offenbar Bedarf für eine solche kleine Halle gibt.

Kneissl hat die beiden Eingänge in seinen Pavillon an die dem Hof abgekehrte Längsseite verlegt. Das ist auf den ersten Blick eine überraschende Maßnahme, weil der Ankommende dadurch vor einer zwar transparenten, aber hermetisch abgeschlossenen Box steht. Die einladende Geste weit geöffneter Türen hat sich der Architekt aber versagt, weil es ihm darum ging, die Störung des Hofes durch diesen Einbau so gering wie möglich zu halten – daher auch kein Terrassencafé, das dann mit Tischen und Stühlen über die Platzfläche des Hofes wuchert.

Die einzige Raumausstattung, die er seinem Pavillon mitgegeben hat – Tische und Stühle waren vorhanden –, besteht aus zwei tiefen Regalen, die jeweils an den Schmalseiten des Hauses direkt an die Glashaut geschoben sind. Sie sind so dimensioniert, daß man dort von der Tonanlage bis zum Diaprojektor alles mögliche plazieren und obendrein vorübergehend nicht gebrauchtes Mobiliar darin verstauen kann.

Kneissls Pavillon ist ein bemerkenswertes Gebilde. Man schaut ihn an und gewinnt den Eindruck, daß man ihn schon viele Male gesehen hat. Ihm fehlt einfach jegliche Besonderheit. Ihm fehlt das raffinierte, das delikate Detail. Ihm fehlt die individuelle architektonische Geste. Und letztlich drückt er nicht einmal die Ambition des Architekten aus, wenigstens die Konstruktion soweit zu minimieren, daß eben wirklich nur ein Hauch von Stahl und Glas dasteht. Diese rüde Demonstration architektonischer Pragmatik hat fast schon Manifestcharakter. Und der Titel dieses Manifests müßte eigentlich lauten: arme Architektur.

Auch der Umbau des „Literarischen Quartiers“ läßt sich unter diesem Vorzeichen betrachten. Der Veranstaltungssaal dieser Institution liegt ja, von der Straße aus unsichtbar, in einem Hinterhof der Wiener Innenstadt und war früher, vor Kneissls Intervention, zwar nicht reizlos, aber doch arg beengt. Von den räumlichen Voraussetzungen her – knappe 120 Quadratmeter Veranstaltungsraum und ein Vorraum – war dem Architekten ein denkbar enges Limit gesetzt. Viel konnte er hier von vornherein nicht machen; die Schwierigkeit war, das wenige so zu tun, daß die Beengtheit der Situation funktionell und atmosphärisch relativiert wird.

Kneissl schuf einen ganz neuen und sehr puren, aber transparenten Eingangsbereich mit Windfang und erreichte durch eine Reihe kleiner Maßnahmen, daß der Vorraum als Gelenk zwischen außen und innen, als Durchgangszone, aber auch als Aufenthaltsraum besser funktioniert. Gleich links vom Eingang ist in einer Nische ein Tisch plaziert, auf dem Bücher verkauft werden können; hier geht es dann weiter zu den Garderoben; gegenüber: Informationswände für Plakate und Programme, darunter schmale Stehpulte.

Der Zugang zum Veranstaltungssaal ist als Schiebewand formuliert, die man ganz öffnen kann, sodaß bei großem Publikumsandrang die Leute auch draußen im Vorraum stehen können und doch noch etwas sehen und hören. Die Sitzreihen laufen – entlang der Wände – rundherum. Kneissl hat drei Sitzreihen übereinandergestaffelt, eine offene Tribüne, durch die man bis zur Wand durchsieht: Das war ein wichtiger Kunstgriff, denn ein geschlossener, kastenartiger Tribüneneinbau hätte den Raum verkleinert.

Die Tribünenkonstruktion selbst ist eine „Maßanfertigung“ aus Stahl, die Sitzflächen sind ein Fertigprodukt aus gepreßten, an der Vorderkante leicht gebogenen Sperrholzpaneelen. Daß Stufen eingeschnitten werden mußten, wiewohl keiner sie benutzt, fällt ebenso unter die behördlich verordneten Zwänge wie die Haltegriffe, die angeblich der Sicherheit dienen; auch die Fluchttüre zählt dazu, die jetzt – ein Kuriosum eigentlich – in die Schiebewand integriert ist und mit dieser weggeschoben werden kann. Was zwischen den Zeilen dieser knappen Schilderung lesbar werden sollte: Genau wie der Pavillon des „Architektur Zentrums Wien“ ist dieser Umbau durch – man kann es kaum anders benennen – den Verzicht auf jegliche Art von verselbständigtem architektonischen Gestaltungswillen charakterisiert.

Beim Pavillon, der ja ein Neubau und nicht ein maßgeschneiderter Umbau in alter Substanz ist, tritt die Armut dieser Architektur naturgemäß noch viel eklatanter in Erscheinung. Kneissl hat die Konstruktion der Halle nicht selbst entwickelt: Es handelt sich vielmehr um ein Fertigprodukt, eine preiswerte Industriehalle, die man „nach Maß“ bestellen kann; sie könnte genausogut eine Haut aus Trapezblech haben und würde sich dann nicht wesentlich von den vielen Industriehallen unterscheiden, wie sie in den Betriebsbaugebieten an der städtischen Peripherie zu Dutzenden herumstehen.

Diese Entscheidung für ein Industrieprodukt hat dabei in bezug auf die Delikatesse des Bauwerks weitreichende Folgen. Denn die Konstruktion ist so ausgelegt, daß damit Spannweiten bis zu 35 Metern bewältigt werden können. Das heißt: Bei geringeren Spannweiten sind gewisse Konstruktionsteile zwangsläufig überdimensioniert. Auch die Dimensionierung des gesamten Bauwerks ist letztlich nicht nur Resultat einer Überlagerung von architektonischen Maßnahmen und funktionellen Vorgaben, sondern auch von sehr pragmatischen Preis-Leistungs-Überlegungen.

Die Entscheidung für Glas läßt sich begründen: Es ist ein gut wärmedämmendes Material, sorgt für natürliche Belichtung im Pavillon selbst und entmaterialisiert den Einbau soweit, daß die Hofsituation nicht beeinträchtigt wird. Aber Glas in großen Paneelen ist teuer. Wenn man eine bestimmte Größe überschreitet, vervielfachen sich die Glaspreise explosionsartig. Kneissl hat die ursprüngliche Überlegung, den Pavillon zehn mal 20 Meter zu machen, bedenkenlos modifiziert: Er nahm den größten Scheibenzuschnitt, der noch in die Niedrigpreiskategorie fällt, als „Modul“ – zwei mal drei Meter – und kam so auf Abmessungen von neun mal 18 Meter.

In der heutigen Architektur gibt es das Schlagwort vom Minimalismus. Aber dieser Minimalismus ist ein artifizielles Konstrukt, das in Bauten resultiert, die wie Bilder funktionieren. Eine solche Stilisierung würde sich Kneissl niemals durchgehen lassen. Seine Haltung ist viel härter. Und seine Bauten funktionieren, sie sind benutzbar, aber da ihnen das „Schlagobers“ (Kneissl) fehlt, schlagen sie einen herben Ton an. Zweifellos, Kneissls arme Architektur ist gewöhnungsbedürftig.

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