Bauwerk

Reichstag
Foster and Partners - Berlin (D) - 1999
Reichstag, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Schwingungen der Geschichte im Reichstag

Neue Transparenz im Berliner Parlamentsgebäude

Der Architekt Norman Foster weiss, welche Gefühle der Berliner Reichstag nach seinem Umbau wecken soll: Offenheit, Optimismus und Vertrauen. Die Qualität des Gebäudes soll das Neue innerhalb des Alten erfahrbar machen und die Schwingungen der Geschichte spürbar werden lassen. Vermag Fosters Neugestaltung des Parlamentsgebäudes in der neuen Hauptstadt diesem Anspruch gerecht zu werden?

4. Dezember 1998
Ein 50 Meter hoher, schwebend wirkender Baldachin sollte das Reichstagsgebäude überspannen, es gleichsam aufheben, getragen von schlanken Säulen, die den Raum um das erste deutsche Parlament gelassen erweitert und den wuchtigen Klotz aus wilhelminischen Zeiten respektlos relativiert hätten. Mit diesem Entwurf war der Brite Norman Foster 1993 als Sieger aus dem Architekturwettbewerb zur Umgestaltung des Berliner Reichstags hervorgegangen. Jetzt, wo die Fertigstellung des Umbaus greifbar nahe und die unterdessen radikal modifizierte Arbeit des Architekten sichtbar ist, lohnt der neuerliche Blick auf dieses Entwurfsmodell, denn daraus lassen sich Massstäbe für die Leistung Fosters gewinnen.


Historische Schichten

Bauen als ein Entwerfen und Zusammenfügen von Räumen wird zweifellos geprägt von den verschiedenen Arten politischer Herrschaft, weshalb sich in der Architektur auch die jeweilige Herrschaftsform spiegelt. Beispielsweise können die drohende Riesigkeit eines Bauwerks, die Leere eines gewaltigen Aufmarschgeländes den Menschen aus dem Gleichgewicht bringen und sollen es nach dem Wunsch totalitärer Machthaber auch. Wie aber kann sich eine demokratische Regierungsform angemessen architektonisch manifestieren, wie visualisiert sich der «Bauherr Demokratie»?

Das Reichstagsgebäude hat eine wechselvolle Geschichte – hier schmähte Kaiser Wilhelm II. das Parlament als «Reichsaffenhaus», votierte der Sozialdemokrat Karl Liebknecht 1914 als einziges Mitglied des hohen Hauses gegen die Kriegskredite und rief Philipp Scheidemann die erste deutsche Republik aus; aber auch Hitlers Verhöhnung des Parlamentarismus und die Instrumentalisierung des Reichstagsbrandes sind mit dem Gebäude verbunden. Im Zweiten Weltkrieg wurde es weitgehend zerstört und von den Soldaten der Roten Armee fälschlicherweise als Symbol der besiegten Barbarei angesehen. 1954 kam es zur Sprengung der Kuppel und während der sechziger Jahre zur modernisierenden Umgestaltung durch den Architekten Paul Baumgarten. Diese vielen historischen und architektonischen Schichten des Reichstages lasten auf dem Gebäude und machen eine puristische, ausschliesslich der Bauästhetik verpflichtete Betrachtung unmöglich.

Der Berliner Verfassungsrechtler Ulrich K. Preuss beschreibt die historische Ambivalenz der machtvollen Wirkung des Reichstagsbaus. Für ihn hat dieser riesige Steinhaufen etwas Imposantes, ungemein Imponierendes in dem Sinne, dass er sich anderen gleichsam aufdrängt. Von der reinen Masse her scheint der Reichstag also keine angemessene Spiegelung der Bedeutung des Parlaments zu sein. In der Vergangenheit schon gar nicht, denn während des deutschen Kaiserreichs stand das mächtige Gebäude in einem krassen Missverhältnis zu der ohnmächtigen Volksvertretung, die darin tagte. Demzufolge bezeuge der opulente Reichstagsbau in der historischen Perspektive keinesfalls Anerkennung des Parlaments, sondern vielmehr dessen Verhöhnung, meint Preuss.


Illusion der Offenheit

Norman Foster nennt als Kriterien für einen gelungenen Parlamentsbau vor allem Transparenz, Offenheit und Licht – eine deutliche Abkehr von der prunkenden Düsternis des Wallot-Baus. Bei seinem Umbau hat er fast alles geschliffen, was seine beiden Vorgänger an Eingriffen vorgenommen hatten. Schliesslich soll die Öffentlichkeit unmittelbar Anteil nehmen können am parlamentarischen Geschehen und sollen Dachlandschaft sowie die begehbare Kuppel dem Publikum jederzeit offenstehen. Die Besucher werden den Parlamentariern also quasi aufs Dach steigen und in den Bundestag hinunterschauen können. Für Foster ist dies ein «Symbol einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft»: Der Souverän erhebe sich über den Bundestag und schaue seinen Volksvertretern kontrollierend bei der Arbeit zu. Dieser zunächst bestechende Gedanke mutet allerdings wie eine romantisch-anachronistische Vorstellung von parlamentarischer Demokratie an, wenn man bedenkt, dass sich die Abgeordneten durch einen erdrückenden Fraktionszwang zunehmend selbst entmachten. Zudem werden wichtige Entscheidungen nicht im Bundestag, sondern andernorts gefällt; Sachfragen kommen in der Regel erst dann ins Parlament, wenn schon alles entschieden ist.

Ulrich K. Preuss relativiert denn auch Fosters Anspruch der Offenheit. Er räumt zwar ein, dass es äussert schwierig sei, eine Zeichensprache für demokratische Repräsentation zu finden. Er hält aber die Argumentation, dass die Arbeit des Parlaments transparent werde, wenn dieses unter einer transparenten Kuppel tage, für kurzschlüssig: «Wenn man durch ein Glasrestaurant auf das Parlament schaut, kann das sehr viel stärker zur Trivialisierung beitragen als zur Transparenz, weckt es doch die Illusion, man könne politische Macht in einem physischen Sinne durchsichtig machen.» Selbstverständlich gehe es in der Demokratie darum, politische Herrschaft aufzuhellen, das sei jedoch nur durch Kommunikation möglich.


Politisches Zentrum im «Bezirk der stillen Armut»

Der Berliner Reichstag trägt die Handschrift dreier Architekten, die das Gebäude mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und zu unterschiedlichen Zeiten gestaltet haben. Wallots Gebäude war bis in seine Innenarchitektur hinein in seiner Ästhetik das Zeugnis einer vordemokratischen Epoche. Der Wilhelminismus kehrte die politische Symbolik so aufdringlich hervor, weil er kaum demokratisch legitimiert war. Insofern war es schon für Paul Baumgarten in den sechziger Jahren schwierig, die Formensprache des Gebäudes der bundesrepublikanischen Demokratie anzupassen. Der Reichstag war damals der regierungspolitischen Funktion entkleidet und hatte als symbolträchtiger Ort einer Ausstellung zur Geschichte der Bundesrepublik zu dienen. «Nüchterne Würde» hiess das Credo in Abgrenzung zu allem Bombast; es war zugleich eine Absage an die bedrohlich-überwältigende Inszenierungswut des Nationalsozialismus.

Nach vierzig Jahren im Schatten der Mauer wird der Reichstag künftig ein politisches Zentrum bilden und zugleich inmitten eines sozialen Brennpunkts stehen. Die gegenwärtigen Problemgebiete der deutschen Hauptstadt heissen Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Tiergarten. Sie umschliessen die Stadtmitte wie ein Gürtel aus Armut und Verwahrlosung. Die Lebenserwartung der hier wohnenden Menschen liegt Jahre unter dem Berliner Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote in Tiergarten beträgt 19,3 Prozent. Lokalpolitiker bezeichnen deshalb das zukünftige Regierungsviertel als «Bezirk der stillen Armut».

Licht und Schatten

Der von Foster formulierte Anspruch der Transparenz mag die ernüchternde Realität des bundesdeutschen Parlamentarismus und der Berliner Hauptstadtwirklichkeit verfehlen. Seine Ernsthaftigkeit zeigt sich allerdings im rücksichtslosen Entkernen des Reichstagsgebäudes, in der offenen Grosszügigkeit des Plenarsaals mit den schlanken Betonsäulen, vor allem aber in der lichten Gestaltung der mittels einer Rampe bequem begehbaren Kuppel. Alle Bürger werden jederzeit Zutritt zur Kuppel haben. Während Baumgartens Kuppel eine meisterhafte ingenieurtechnische Leistung ohne praktische Funktion war, wirkt Fosters gläserne Kuppelspirale auf vielfältige Weise. Mittels ihrer Spiegelschuppen lenkt sie Tageslicht in den Plenarsaal, und damit die Parlamentarier durch die Sonneneinstrahlung nicht geblendet werden, kommt ein bewegliches Verschattungselement zum Einsatz, das dem Lauf der Sonne folgt. Die Spiegelsäule im Kuppelinnern sorgt zudem für die natürlich Belüftung des Plenarsaales, indem sie den thermischen Auftrieb nutzt.

Mag sich dereinst auf der fussballfeldgrossen Dachfläche mit ihrem Restaurant auch nur Ereigniskultur abspielen und mögen die Bewohner und Besucher Berlins nur auf diesen ungewöhnlichen Aussichtspunkt strömen, um über die Ausblicke zu staunen – mit der filigranen Kuppel schuf Foster jedenfalls nicht nur ein Licht- und Belüftungszentrum für den Reichstag, sondern auch einen ungewöhnlichen optischen Anziehungspunkt des parlamentarischen Zentrums Deutschlands.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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