Bauwerk

Wohnprojekt Wien
einszueins architektur - Wien (A) - 2013
Wohnprojekt Wien, Pressebild: Kurt Hörbst
Wohnprojekt Wien, Pressebild: Kurt Hörbst

Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2014

Im zweiten Wiener Bezirk, am ehemaligen Nordbahnhofgelände, entstand unter dem Motto „wohnen mit uns!“ ein außergewöhnliches Wohnheim mit 40 individuellen Einheiten und vielen gemeinsam verwalteten, gemeinsam getragenen Extras für die als Verein organisierten EigentümerInnen.

12. November 2014 - newroom
Mit dem Hauptbahnhof-Viertel bilden die Flächen des früheren Nordwest- und Nordbahnhofs die wichtigsten großen Areale innerer Stadtentwicklung in Wien. Dieses relativ kleine „Wohnprojekt“ am Nordbahnhof ragt deshalb heraus, weil es Nachhaltigkeit viel weiter denkt und lebt als eine bloß apparative, technische Performance von Gebäuden. Am Anfang stand eine kleine Gruppe von Wohnungssuchenden, die ihr Anliegen selbst in die Hand nehmen wollte: Heinz Feldmann, einer der Initiatoren, erinnert sich beim Juryrundgang: „Wir sandten 2009 ein Mail in die Runde mit der Frage: Wie können wir gut in einer sozialen Gemeinschaft leben, wie können wir dabei unseren CO2-Ausstoß, unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren, und wie können wir das in urbaner Umgebung schaffen und nicht irgendwo draußen im Ökodorf ?“ Mit dieser Perspektive gründete ein Dutzend Engagierte einen Verein und fand mit dem Büro raum&kommunikation 2010 Kontakt zur gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft Schwarzatal, die mit den Planungsteams „SUPERBLOCK “ und „einszueins“ eben die Teilnahme am Bauträgerwettbewerb „Interkulturelles Wohnen am Nordbahnhof “ vorbereitete – und sie hatten Erfolg.

Der von SUPERBLOCK betreute Trakt wurde dann vom „Wohnservice Wien“ vor allem für Mieter:innen mit Migrationshintergrund ausgelegt. Der etwas anders konzipierte Trakt von „einszueins“ erfuhr im Verein mit der Wohngruppe die interne, gemeinschaftliche Weiterentwicklung mit folgenden Zielen: Gemeinsames Eigentum am Haus, Selbstverwaltung als „Wohnheim“, dadurch bedeutende Einsparung am vorgeschriebenen Platzbedarf für Autogaragen, stattdessen selbst verwaltetes Carsharing und sehr viele kollektive Räume: große Gemeinschaftsküche, Greißlerei, Spielraum, Büroflächen und Platz für 116 Fahrräder im Erdgeschoß; im Souterrain statt der Garagen – bestens belichtet durch Tiefhöfe – ein Mehrzwecksaal, Werkstätten und ein Proberaum; auf dem Dach drei Gästeapartments, eine gemeinsame Bibliothek mit Panoramafenster, eine Sauna, ein Meditationsraum, große Terrassen mit Hochbeeten und ein Rundblick über die Stadt.

Was fast nach Luxus klingt, blieb mit Errichtungskosten von 1430 Euro pro m² im Rahmen des Üblichen, ging vier Tage vor Einzug vom Bauträger ins Eigentum des Vereins über: 40 Wohnungen, alle individuell geplant, von 36 bis 137 m², mit zwei Meter tiefen Balkonen und 700 m² Gemeinschaftsflächen, in Relation fünfmal so viel wie sonst im Sozialbau: ein Angebot, das den individuellen Wohnraum entlastet und mit Faktoren ergänzt, die sonst mit viel Zeit- und Verkehrsaufwand extern zu suchen wären, ein Angebot, das solidarisches Handeln und Leben stimuliert und eben mit elf Stunden verpflichtender Arbeitsbeteiligung pro Monat von jedem Erwachsenen in Gang gehalten werden will – und auch mit Veranstaltungen und anderem in die Nachbarschaft wirken soll. Ein vereinsinterner Solidaritätsfonds bewirkte zu guter Letzt, dass zwei bedürftige Interessierte ohne Eigenmittel in das Projekt einsteigen konnten. Was in Wien mit dem Wohnheim „Sargfabrik“, mit dem „Autofreien Wohnen“ in Floridsdorf und „Miss Sargfabrik“ erste erfolgreiche Pionierleistungen brachte, erfährt damit eine aktualisierte Fortsetzung.

Konkret ist das achtgeschoßige, durchwegs luftig und gelenkig wirkende Haus mit einer Trakttiefe von knapp 20 Metern als Stahlbetonstruktur mit hinterlüfteten Holzfassaden ausgeführt. Die tragenden Wände befinden sich um den zentralen, sehr großzügigen Erschließungsbereich, der über Einschnitte gut belichtet wird, und an der Fassade. Alle inneren Trennwände wurden in Leichtbauweise ausgeführt. Das ermöglichte individuelle Wohnungsgrundrisse und sichert langfristige Flexibilität. Die ebenfalls individuell platzierten Balkone sind mit Isokörben angeschlossen. Signifikantes Detail: Von „einszueins“ waren zunächst keine Stürze über Fenstern und Fenstertüren geplant. Man wollte raumhohe, scharf geschnittene Öffnungen im Sinn einer stringenten Ästhetik. Als sich beim Nachrechnen herausstellte, dass dafür insgesamt 800 Tonnen mehr Stahl für die Bewehrungen nötig wären, verzichtete man, nach reiflicher Überlegung, auf den marginalen ästhetischen zugunsten des gewichtigen ökologischen Mehrwerts.

Das Gebäude hat Niedrigstenergiestatus und hat eine kontrollierte Wohnraumlüftung samt Wärmerückgewinnung über einen Erdwärmetauscher. Die Heizung und Warmwasseraufbereitung erfolgen zentral mittels Fernwärme. Die Wärmeverteilung leistet eine Fußbodenheizung. Auf dem Dach befindet sich die Photovoltaikanlage. Mittel- bis langfristig sollen auch die wenigen privaten PKW durch vereinseigene Elektroautos ersetzt werden. Die entsprechende Infrastruktur dafür ist schon vorhanden. (Jurytext Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2014 / Otto Kapfinger)

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