Bauwerk

RiesenRäderwerk
Mathis Barz - Wien (A) - 2002
RiesenRäderwerk, Foto: Mathis Barz
RiesenRäderwerk, Foto: Mathis Barz

Firmling samt God und Gödl

Es steht nach gut 100 Jahren noch genauso da wie eh und je, nur seine infrastrukturelle Basis war nicht mehr up to date: das Wiener Riesenrad. Mathis Barz ist es gelungen, den Formensynkretismus des Wurstlpraters um ein zeitgemäßes Bauwerk zu bereichern.

24. August 2002 - Judith Eiblmayr
Als das Riesenrad 1896/97 errichtet wurde, war es bereits die zweite groß-dimensionale kreisrunde Attraktion im Wiener Prater. Nachdem die 1873 anläßlich der Weltausstellung erbaute Rotunde mit ihren 108 Metern im Durchmesser das größte Gebäude des Kontinents war und somit als eigentliches Wahrzeichen des Praters galt, bot das 50jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph eine gute Gelegenheit, diesem etwas ähnlich Spektakuläres entgegenzuhalten.

Ende Juni 1897 konnten die Fahrgäste erstmals die schwebenden Gondeln besteigen und aus maximal 64 Metern Höhe auf Wien herabschauen: ein weiteres Entertainment - neben so grotesken wie der Zwergen- und Liliputaner-Schau. Wie dem Leopoldstadt-Bezirksführer von Klusacek und Stimmer zu entnehmen ist, ist das von den britischen Ingenieuren Basset & Hitchins erbaute Wiener Riesenrad das einzige, das bestehen blieb; jene in London, Paris, Chicago und Blackpool wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder abgetragen.

Die feingliedrige Stahlkonstruktion des Riesenrads überlebte auch das Großfeuer im Wurstlprater kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, lediglich die 30 Waggons brannten aus und wurden durch 15 neue ersetzt. Und so konnten ab 1947 die Wiener Firmlinge wieder traditionsgemäß von Göd und Godl in den Prater geführt und auf eine Fahrt mit dem Riesenrad eingeladen werden.

100 Jahre später hat der Wurstlprater nichts an Attraktivität verloren, wobei die Volksbelustigung nicht mehr darin besteht, sich am Leid anderer Menschen zu weiden. Mittlerweile ist der zahlende Gast das Objekt, das mechanisch herumgewirbelt und in die Luft katapultiert wird und dieserart sich selbst und den Zuschauern gruselige Schauer über den Rücken jagt.

Das unter Denkmalschutz stehende Riesenrad ist in seiner Funktion im Prinzip unverändert geblieben, allerdings wollten die privaten Betreiber neue Strategien entwickelt wissen, um die Qualität in der Nutzung zu verbessern. Die infrastrukturelle Basis für das Riesenrad hatte bislang ein flankierender Pavillon mit Kassa und Souvenirshop im abgeschmackten Hundertwasser-Design gebildet, der jedoch sowohl ästhetisch wie auch von der Kapazität her ausgedient hatte.

Man entschloß sich, von Stefan Seigner, der bereits für das Haus der Musik ein geschicktes Marketingkonzept realisiert hatte, eine Studie für eine zeitgemäße Attraktivierung erstellen zu lassen. Attraktiver sollte das Riesenrad nicht nur für potentielle Fahrgäste werden, sondern natürlich auch für seine Besitzer in Hinsicht auf höhere Umsätze. In einem neuen Auffanggebäude sollte die notwendige Infrastruktur inklusive eines komfortableren, gedeckten Zu- und Abgangs unter einem Dach vereint sein. Neben der dadurch gewährleisteten Ganzjahresnutzung wurde als programmatische Erweiterung ein Panorama eingeplant, das es schon in früherer Zeit als eigenständiges Gebäude in der Nähe des Riesenrads gegeben hatte.

Zusätzliches Entertainment also durch ein bißchen Bildung - im Panorama wird die Geschichte Wiens in Bildern und Szenen nacherzählt - und ein bißchen mehr Shopping, indem der Abgang von der Riesenradfahrt zwingend durch den großen und gut sortierten Souvenirshop führt. Bei Nacht macht eine Lichtinstallation von Patrick Woodroffe das Riesenrad selbst zum Objekt und läßt es weithin über die Stadt strahlen.

Der in Wien lebende Schweizer Architekt Mathis Barz war bei seiner Konzeption darauf bedacht, für das bislang auf acht Stützen frei stehende Riesenrad nicht ein starres Sockelbauwerk wie bei einer Seilbahnstation zu entwickeln, sondern das kinetische Element der Anlage zu betonen und dies in die Grundrißgestaltung einfließen zu lassen. Die einzelnen Funktionen sind in lose aneinandergereihten, gerundeten Pavillons unterschiedlicher Dimensionierung und Materialität organisiert, wobei der Negativraum zwischen diesen als überdachtes halböffentliches Foyer definiert ist. Mit diesem Pavillonsystem wollte Barz die, wie er es nennt, „Buden-architektur“ des Wurstlpraters metaphorisch einbinden und der technoiden Charakteristik des Riesenrads kontrastierend entgegensetzen. Selbstverständlich sind es keine kitschigen Buden, wie sie sonst das Straßenbild des Praters prägen, sondern in Form und Material aufwendig gestaltete, eigenständige Objekte, die trotzdem dem Riesenrad Bodenhaftung verleihen sollen.

Der größte Baukörper, das Panorama, ist wie ein Schiffsrumpf nach außen hin völlig geschlossen und an seiner doppelt gekrümmten Außenwand mit rotem Alublech verkleidet.

Wenn man sich vom Praterstern her nähert, bildet er den Sockel, über dem das Riesenrad emporragt. Zu den Vergnügungsstätten hin orientiert liegt das rundum verglaste Café, das seinen Gästen den Panoramablick auf das bunte Treiben des Wurstlpraters gewährt. Zwischen dem roten und dem gläsernen Bauteil liegt die Kassa als anthrazitgrau verblechter Pavillon, aneinander-gebunden sind die drei Einzelelemente durch die zurückversetzten Eingänge ins Foyer.

Was man zu ebener Erde als sich zwar ergänzende, jedoch amorph geformte Bauteile wahrnimmt, wird von oben her betrachtet in seiner Konzeption kenntlich: Sobald man die Rundreise in einer der Gondeln antritt und über das Sockel-geschoß hinausfährt, werden die einzelnen Pavillons im Grundriß als angenäherte Dreiecke sichtbar. Barz hat eine geometrische Form aus dem Maschinenbau, das Releaux-Dreieck, gewählt, um sich dem Rund des Rads anzunähern, und sich nicht einfach eines Zylinders oder eines Ovals bedient. Die einzelnen Dreiecke mit gewölbten Seiten und abgerundeten Ecken sind durch die Dachhaut des Foyerbereichs zusammengespannt und lassen die fünfte Fassade wie ein eigenständiges Bild wirken, dem man sich langsam von oben her nähert.

Das Interessante an Barz' Konzept ist der spielerische, aber architektonisch ernsthafte Umgang mit der Praterthematik. Er hat es geschafft, ohne Verkitschung, aber auch ohne trocken funktionalistische Reduktion dem Formensynkretismus des Wurstlpraters ein zeitgemäßes Bauwerk hinzuzufügen. Und wer damit hadert, daß das Riesenrad nicht mehr ohne Annexbauten auskommt, der kann sich im Shop eine Schneekugel kaufen und ganz aus der Nähe Wiens Wahrzeichen frei- stehend, einsam im Schnee-gestöber betrachten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Wiener Riesenrad

Tragwerksplanung