Bauwerk

Alte Nationalgalerie - Wiederherstellung
hg merz gmbh - Berlin (D) - 2001
Alte Nationalgalerie - Wiederherstellung © Staatliche Museen zu Berlin / Maximilian Meisse

Deutschland - ein Kunstmärchen

Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie in Berlin

1. Dezember 2001 - Claudia Schwartz
Die prächtige vorgelagerte Freitreppe ist ohne Funktion, sie dient einzig der Ästhetik und als Sockel für das Reiterstandbild König Friedrich Wilhelms IV.: Dieses Gebäude sollte die Liebe zur deutschen Kunst beheimaten und dem Willen zum Einheitsstaat Gestalt verleihen. Entstanden ist es im 19. Jahrhundert dank einer Bürgerinitiative, weshalb dem König der Name der «National-Galerie» lange nicht behagte. Im 20. Jahrhundert schrieb ihr Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie die Rolle der grossen Schwester zu. Von Anfang an war die Alte Nationalgalerie zu mehr geboren, als «nur» Museum zu sein. So blickt sie erhaben auf ihre berühmten Nachbarn, auf Schinkels Altes Museum und Stülers Neues Museum. Sie ist die kapriziöse Prinzessin unter den Königshäusern auf der Museumsinsel. Nun strahlt ihre gereinigte Sandsteinhaut wieder und ist leicht gerötet. Am Sonntag wird die Alte Nationalgalerie nach umfassender Sanierung wieder eröffnet - erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sind dann ihre Bestände wieder vereint.


Kunst und Bau des 19. Jahrhunderts

Friedrich Wilhelm IV., der die Spreeinsel zu einer «Freistätte für Kunst und Wissenschaft» machen wollte, skizzierte die Alte Nationalgalerie - in Anlehnung an Gillys Entwurf eines Denkmals für Friedrich II. und Klenzes Walhalla in Donaustauf - als hoch auf einen Sockel gestellten Pseudoperipteros. Der königliche Architekt Friedrich August Stüler verlieh der pompösen Idee mit seinem Entwurf (1862-65) die Klarheit und Eleganz, die Schinkel ihn gelehrt hatte. Nach seinem Tod übernahm Johann Heinrich Strack die Ausführung des Baus (1866-76) in spätklassizistischem Formenkanon.

Der Griff zur architektonischen Pathosformel des antiken Tempels war Ausdruck der damaligen deutschen Sehnsucht nach einer politischen Einheit der Nation. Die Architektur folgte nicht den funktionalen Geboten eines Museums, sondern dem repräsentativen Gestus eines Nationaldenkmals; mit diesem Umstand sollte jeder der renommierten Museumsdirektoren ringen. Als der Nationalstaat mit der Gründung des deutschen Kaiserreiches noch während der Bauarbeiten Wirklichkeit wurde, schrieb man der 1876 eröffneten Galerie im Giebel mit dem Jahr der Reichsgründung 1871 auch gleich das Programm mit ein: «Der Deutschen Kunst MDCCCLXXI».

Den Gründungsmythos dieses Museums als Ort des geeinten Deutschlands möchte der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, wiederbeleben. Von «der deutschen Anstrengung im Museums-Kosmos» spricht er in Anspielung auf die voraussichtlich zehn Jahre dauernde Sanierung der Museumsinsel, in deren Rahmen die 140 Millionen Mark teure Wiederherstellung der Alten Nationalgalerie zwar ein gewichtiges Moment, aber eben erst den Anfang darstellt. Wenn Schuster von Geyers Skulpturenfries im Treppenhaus - mit den bayrischen und preussischen Königen auf dem Doppelthron, flankiert von ihren Künstlern - als der «Geburtsurkunde des deutschen Kulturföderalismus» schwärmt, dann muss selbst der Kulturstaatsminister schmunzeln und das Pathos auf den Boden eines «zentralen» und «nicht zentralistischen» Ereignisses zurückholen. Nida-Rümelin hofft im Übrigen, dass die Deutschen die Museumsinsel als «ihren» und nicht «als Berliner Kulturbesitz» ansehen und bringt damit eine Entwicklung auf den Punkt, die sich in der Hauptstadt im Dunstkreis von Reichstag, Regierungsviertel und Schlossplatz seit einiger Zeit abzeichnet: die Teilung in bundesrepublikanisches und berlinisches Terrain. Der Museumsinsel - Weltkulturerbe, Prestigeobjekt der Bundesrepublik und Erbe Preussens - kommt hier als löchrigem und geldverschlingendem Riesenschiff die leidige Rolle der Manövriermasse zu.

Den Anfang der Alten Nationalgalerie bildete das Vermächtnis des Sammlers und Bankiers Wagener. Der bürgerliche Bilderreigen wuchs unter Direktoren wie Max Jordan, dem Schweizer Hugo von Tschudi oder Ludwig Justi - oft im Zwist mit dem Kaiser und gegen den Versuch wilhelminischer Verherrlichung - zu einer beachteten Sammlung internationaler Kunst heran, die den Bogen spannt von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg. Allerdings gelang es bei diesem «Schrein für die Kunst der Nation» nie, die Lücken zu schliessen, die in der ursprünglichen Privatsammlung angelegt waren.

So bringt Berlin mit Geschick den eigenen Vorzug ins Licht, eine «Sammlung des 19. Jahrhunderts in einem Haus des 19. Jahrhunderts» (Schuster) zeigen zu können. Und tatsächlich erweist sich die Alte Nationalgalerie nun als ein gemeinsames Paradestück von Kunst und Bau. Der Architekt (HG Merz, Stuttgart) beweist einen subtilen Umgang mit dem vorgefundenen disparaten Zustand. Dieser rührt von diversen frühen Umbauten wegen chronischen Platzmangels und zur Verbesserung der Ausstellungsbedingungen, von Kriegszerstörung und DDR-Wiederaufbau her. Man hat das Haus in die alte Pracht zurückgeführt, eine auffallend kühle Moderne hinzugefügt und gleichzeitig die für das Gebäude charakteristischen Zeitschichten herausgearbeitet.


Bilder und Räume

So tritt man hier eine wunderbare Reise durch die Ungleichzeitigkeit einer Epoche entlang an 440 Gemälden und 80 Plastiken an. Dabei erlaubt der parataktische Verlauf von Bildern und Räumen, von Brüchen und Wechseln, die Spannungen der Kunst einer Zeit hervorzuheben: Während der Rundgang der Bilder chronologisch im dritten Geschoss mit der Goethezeit beginnt und im Erdgeschoss mit dem fassungslosen Rot und Gelb von Beckmanns «Kleiner Sterbeszene» (1906) einen irritierenden Ausklang findet, «altert» die Architektur, ihrem unterschiedlichen Zerstörungsgrad entsprechend, von oben nach unten. Die Gegenläufigkeit ist ein gewagtes Spiel. Ein verblüffendes Ensemble aus der Zeit um 1900 ergibt sie im ersten Geschoss, wo Runge-Ranken und Jugendstilornamente mit den Bildern des Fin de Siècle zusammenlaufen.

Die kleinen Kabinette, die sich in der nördlichen Apsis über die drei Stockwerke ziehen, erweisen sich als die Juwelen des Hauses. Ihre intime Bürgerlichkeit und eine dezente Stoffbespannung der Wände verleiht den kleinformatigen Bildern eine berückende Ausstrahlung: den Romantikern Blechen, Krüger, Hummel wie der biedermeierlichen Leuchtkraft von Eduard Gaertners Berliner Veduten oder dem breit aufgefächerten Werk Menzels. Zu den Höhepunkten gehören die beiden durch den Umbau im dritten Geschoss neu gewonnenen, dem Werk Schinkels beziehungsweise Caspar David Friedrichs gewidmeten, in dezentem Grau gehaltenen Räume. Die Strahlkraft von Caspar David Friedrichs restaurierter Gebirgslandschaft «Der Watzmann» macht das Fehlen seines «Kreuzes im Riesengebirge», das auf Grund eines Berliner Kleinkrieges im Schloss Charlottenburg verblieben ist, umso ärgerlicher. Man kann nur hoffen, dass dieser Unsinn bald behoben und das Bild in den hier versammelten Friedrich-Reigen heimgeholt wird. Als Schwachpunkt erweist sich die Oberlichtdecke der beiden Cornelius-Säle im zweiten Geschoss, welche die Deutschrömer und die französischen Impressionisten in ein schlechtes Licht rückt. Die tiefen Valeurs von Böcklins «Toteninsel» werden übertönt, und selbst Manets «Wintergarten» oder sein «Landhaus im Rueil» verzagen in der Unruhe von Wandfries, Täfelung, Bespannung und grellem Licht.

Ansonsten macht staunen, wie die Erzählung der Bilder dem aufgeregten Disput der unterschiedlichen architektonischen Schichten des Gebäudes standhält. Mit einem klassizistischen Paukenschlag empfängt Schadows monumentales Grabmal des Grafen von der Mark im Treppenhaus; meditativ wirkt der Raum mit den Fresken der Casa Bartholdy; ein wunderbarer, gleichsam angehaltener Moment des Realismus in Deutschland verdankt sich Liebermanns «Gänserupferinnen», seiner «Flachsscheuer» und Uhdes «Heideprinzesschen»; die Disziplinen suchen den Dialog in Schadows letzter Marmorarbeit «Ruhendes Mädchen» (1826) mit dem «Inneren des Palmenhauses» (1832/33) von Blechen. Im ersten Geschoss kündigt sich der Aufbruch in die Moderne an mit einem ganzen Panorama von Menzel, mit Leistikows Hauptwerk der Berliner Secession, «Grunewaldsee», mit den blank liegenden Nerven der Jahrhundertwende in Kolbes «Goldener Insel», Franz von Stucks «Sünde», Corinths «Frau mit Rosenhut».

Von Waldmüllers klarsichtiger «Praterlandschaft» fällt der Blick noch einmal durch den Friedrich-Saal mit dem ewigen Eis vom «Watzmann», hindurch zum gegenüberliegenden Gang mit Blechens kalter «Gebirgsschlucht im Winter», wo das kleine Licht der Berghütte unerreichbar scheint - und wieder zurück zum lichten Blick Waldmüllers. Wo die Kunst in den Sichtachsen Trost findet, darf man sie zu Hause wissen.


[Erstmals findet sich der Kernbestand der Nationalgalerie in einem Katalog: Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert. Katalog der ausgestellten Werke. Staatliche Museen zu Berlin und Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2001. 541 Abb., 472 S., EUR 19.90; als CD-ROM EUR 12.90. ]

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