Veranstaltung

Tirana_ Planen Bauen Leben
Ausstellung
13. Juli 2010 bis 17. September 2010
Ausstellungszentrum im Ringturm
Schottenring 30
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group
Eröffnung: Montag, 12. Juli 2010, 18:30 Uhr

Alltag in Albaniens Hauptstadt

Die Reihe Architektur im Ringturm der Vienna Insurance Group setzt mit dieser Ausstellung die Erkundungsreise nach Zentral- und Südosteuropa fort und beleuchtet ein weiteres südliches Stück „terra incognita“ Europas, geographisch am Übergang von Adria zum Mittelmeer gelegen. Planen, Bauen und Leben in Tirana – Hauptstadt des wenig bekannten Albanien – wird in Ausstellung und Publikation thematisiert.

Bis in die späten 1980er Jahre hatte Albanien einen bäuerlichen Gesellschaftsanteil von 35 Prozent und betrieb eine strikte Anti-Urbanisierungspolitik. Innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten veränderte sich Albaniens Gesellschaft dramatisch zu 60 Prozent Stadtbevölkerung. Auf Basis der Zahlen des nationalen Statistischen Institutes stieg die Migration in die Hauptstadt Tirana seit den frühen 1990er Jahren auf jährliche 7 bis 9 Prozent. Die schlecht ausgestattete Verwaltung wurde von diesem enormen Druck, der von privater Initiative ausging, völlig überrascht.

Heute hat Tirana mindestens die doppelte Ausdehnung, die Bevölkerung hat sich zumindest verdreifacht. Zudem tendiert die Hauptstadt zusammen mit den neuen Peripherien und dem Haupthafen des Landes, Durres, zu einer metropolitanen Agglomeration zu verschmelzen. Man stelle sich eine strikt geplante Gesellschaft vor, die plötzlich zu einer Mentalität hin explodiert, in der überhaupt kein Platz für Planung mehr ist. Auf diese Art schossen im ganzen Land, verstärkt aber in der Hauptstadt – neben dem Boom richtiger Investments – auch mehr als 500.000 illegale Eigenheime und Geschäfte aus dem Boden. Tatsächlich konzentriert sich in der metropolitanen Region Albaniens mittlerweile ein Drittel der Gesamtbevölkerung Albaniens.

Co-PLAN, eine in den 1990er-Jahren gegründete Nicht-Regierungs-Organisation, die sich um die Strukturierung der informellen Siedlungsentwicklung kümmert, befürchtet, dass in 15 bis 20 Jahren zwei Drittel der Bevölkerung – nicht zuletzt zu Lasten von Gesellschaft und Umwelt – hier leben werden. Tirana stellt somit das wohl interessanteste „Planungs-Laboratorium“ Europas dar.

Gegenwärtig hat man in Mitteleuropa kein klares Bild von Tirana. Kaum werden die dramatische Bevölkerungsexplosion, die bauliche Dynamik und die enorme Verkehrszunahme, nur 90 Flugminuten von Wien entfernt, wahrgenommen.

Planen

Ausgehend von interessanten städtebaulichen Aspekten wie der unglaublichen Dynamik, den neuen Stadtplanungen oder dem großen Anteil des „Informellen“ in Tirana, werden über historische Urbanisierungskonzepte Hintergründe für heutige Entwicklungen in der Hauptstadt erschlossen. Bemerkenswert sind beispielsweise historische Bezüge zwischen Österreich und Albanien. Gerade österreichische Aktivitäten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gelten immer noch als die ersten städtebaulichen Maßnahmen. Nach Ende des Balkankrieges baute die Habsburgermonarchie eine verstärkte militärische und diplomatische Präsenz in Albanien auf. Ausgehend vom nordalbanischen Skhodra, wo die militärische Basis eingerichtet wurde, begann man im ganzen Land aktiv zu werden. Das Land wurde vom Militärgeografischen Institut vermessen, Stadtpläne wurden gezeichnet, eine Verwaltungseinteilung nach innerösterreichischem Muster vorgenommen und alle Ortschaften in Verzeichnisse aufgenommen, die heute noch ihre Gültigkeit haben. Insbesondere für das als Hauptstadt auserkorene Tirana wurde eine Reihe von städteplanerischen Vorarbeiten geleistet, der die Präsenz von österreichischen Architekten bis in die 1930er Jahre folgte. So stammen z.B. das 1913 erbaute Offizierskasino im Zentrum der Stadt (heute ein Theater) oder die sogenannte amerikanische Schule vom österreichischen Architekten Hans Köhler. Als Bonmot wird heute noch darüber gesprochen, dass die Österreicher in nur vier Jahren Präsenz für über 900 Kilometer Straßen verantwortlich seien, während die 600 Jahre dauernde Herrschaft des Osmanischen Reichs gerade einmal vier Kilometer Straßen hinterließ.

Bauen

Während der kommunistischen Diktatur hatte es keine Reise- und Ansiedelungsfreiheit im Land gegeben, keine Privat-Pkws und eine nur bescheidene, fast ausschließlich kollektive Bautätigkeit. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zogen hunderttausende Menschen, mit der Hoffnung auf Ausbildung und Arbeit, aus den ländlichen Regionen Albaniens in die Städte. Sie siedelten an den Stadträndern, bauten in Eigenregie Häuser auf Grundstücken mit unklaren Besitzverhältnissen, ohne Wasser-, Kanal- und Stromanschluss, ohne Baugenehmigung und ohne die rechtliche Sicherheit von StadtbürgerInnen. Die Bevölkerungszahl von Tirana hat sich innerhalb von 10 Jahren fast verdreifacht, die informellen Siedlungen wuchsen über die Stadtgrenzen hinaus, wo sie sich heute mit den Wohnbauprojekten von Bauträgern vermischen. In der Kernstadt hatte der freie Markt zunächst die Grünflächen, Gehsteige und Promenaden erobert: In den Parkanlagen, am Flussufer und unter den Alleen entstanden fast über Nacht Kioske, Cafés, Gastgärten und provisorische Läden. Wegen des Aufwandes, in den Erdgeschosszonen Geschäfts- und Gastronomielokale einzubauen, wurden Kioske und Marktbuden einfach vor die Gebäude in den Straßenraum gesetzt.

Leben

Zugleich ergab sich durch die abrupt einsetzende Motorisierung eine gänzliche Veränderung des öffentlichen Lebens auf Straßen und Plätzen. Bis zur Wende hatten FußgängerInnen, RadfahrerInnen, Pferdewagen und vereinzelte Dienst- und Lastkraftwagen ein gemächliches Straßenbild geboten. Nach dem politischen Umbruch erwarb jeder, der es sich irgendwie leisten konnte, ein Auto. Bald schon gehörten informelle Ersatzteillager, Waschplätze und die ersten Autosalons zum Bild der Ausfallstraßen albanischer Städte. Auf den breiten Straßen und Plätzen, die im Zuge der italienisch geprägten Stadterweiterung der 1930er und 1940er Jahre angelegt worden waren, wurde die Leere in kürzester Zeit von einem chaotisches Verkehrsgewirr abgelöst. In den Wohnblocksiedlungen aus der planwirtschaftlichen Epoche fehlten jedoch entsprechende Straßen und Stellplätze. Prekär stellte sich auch die Situation in den informellen Siedlungen dar, die sich an den Stadträndern auszubreiten begonnen hatten: Die Siedlerhäuser rückten enger zusammen und der öffentlicher Raum reduzierte sich auf Restflächen. Schmale, kaum befahrbare Zugänge zu Bauplätzen, Gebäudeteilen, Nebengebäuden und Garagen ragen in den „öffentlichen“ Raum hinein und engen diesen weiter ein.

Ausstellung

Die Ausstellung versucht in einem visuellen Dialog die in Plänen schwer fassbare bauliche Realität Tiranas durch großformatige Bilder greifbar zu machen. Dies gelingt mit einem Bogen zwischen alten Ansichten aus der landesweit größten privaten historischen Sammlung (Artan Lame) und extra angefertigten zeitgenössischen Aufnahmen. In einer Visualisierungsleiste wird das vielfältige, mediterran-bunte Leben in Form eines aktuellen Reiseberichts in seiner ganzen Frische vermittelt.


Katalog:
Architektur im Ringturm XXII. Hg. Adolph Stiller.
Beiträge und bisher unveröffentlichte Bilder von Katia Accossato, Besnik Aliaj & Sotir Dhamo, Andreas und Hannelore Haller, Moriz Haller, Artan Lame, Rainer Mayerhofer, Artan Skhreli, Adolph Stiller u. Sybilla Zech sowie einer gemeinsamen Seminararbeit TU Wien / Polis-University Tirana.
144 Seiten, zahlreiche, unveröffentlichte Abbildungen und Pläne
Preis: 25 Euro; Studenten, Schüler, Präsenz- und Zivildiener, Pensionisten (mit gültigem Ausweis): 15 Euro

Kuratoren:
Adolph Stiller, Katia Accossato

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 9:00 bis 18:00 Uhr, freier Eintritt
(an Feiertagen geschlossen)

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