Veranstaltung

Barfuß auf weiß glühenden Mauern
Ausstellung
Barfuß auf weiß glühenden Mauern © Foto: Eisenman Architects/MAK
15. Dezember 2004 bis 22. Mai 2005
MAK
Weiskirchnerstraße 3
1010 Wien


Veranstalter:in: MAK
Eröffnung: Dienstag, 14. Dezember 2004, 21:00 Uhr

Decke, Boden, Disziplin

„Wien ist die Hauptstadt der Dunkelheit. Wo es Schlagobers gibt, muss es auch Dunkelheit geben.“ US-Architekt Peter Eisenman über das Unbewusste, Ground Zero, Himmel, Hölle und seine demnächst anlaufende Ausstellung in Wien.

11. Dezember 2004 - Andrea Nussbaum
Gänge, die ins Nichts führen. Treppen jenseits irgendeiner Funktion. Balken ohne konstruktive Notwendigkeit. Schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren ließ Peter Eisenman unmissverständlich spüren, was er sich quasi als Programm vorgegeben hat: Sämtliche seiner Arbeiten seien, so Eisenman selbst, „von der Absicht beherrscht, den Akt der Architektur als Störung und darauf folgende Rekonstruktion einer immer neu entstehenden Architekturmetaphysik zu bestimmen“.

Bis heute sorgt der in New Jersey 1932 geborene und im englischen Cambridge promovierte Architekt immer wieder für Irritationen, derzeit etwa mit dem in Bau befindlichen „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ unweit des Brandenburger Tores. In Wien ist er einstweilen nur in einer Ausstellung präsent: mit der Personale „Barfuß auf weiß glühenden Mauern“, die ab 15. Dezember im Museum für angewandte Kunst zu sehen ist.

Peter Eisenman, leiden wir unter einer Inflation an Architekturpublikationen und -ausstellungen? Wird Architektur womöglich überschätzt?

Nein, Architektur wird immer noch unterschätzt. Wir sind es gewohnt, Medien zu konsumieren, aber wir beteiligen uns nicht an Architektur. Warum gehen Menschen in Fitnessclubs, warum machen sie Jogging? Um teilzuhaben. Aber sie benutzen nicht ihren Geist, sie benutzen ihren Körper. Architektur ist die einzige Disziplin, die den Geist, das Auge und den Körper zusammenführt. Sie ist wichtiger denn je in der medialen Welt.

Vor einem Monat war ich bei einem Symposium in Madrid gemeinsam mit Zaha Hadid und Jacques Herzog. Darüber wurde groß in den drei wichtigsten spanischen Zeitungen berichtet. Hätten wir in New York gesprochen, gäbe es gar nichts dazu. Das ist eine kulturelle Reaktion. Architektur ist offensichtlich relevanter für Italiener, Spanier, Österreicher und Deutsche als für die angelsächsischen Länder. Ich glaube nicht, dass Briten oder Amerikaner es kümmert, wer was baut. Warum habe ich diese Ausstellung im Museum für angewandte Kunst? Ich hatte nie eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art.

Und wie erklären Sie sich das?

Weil sich die Menschen in den USA darum nicht kümmern. Nehmen wir als Beispiel Österreich. Sie hatten Adolf Loos, Josef Hoffmann, Otto Wagner, die zu einer bestimmten Zeit entscheidende Rollen spielten. Architektur war Teil der Kultur von Karl Kraus, Sigmund Freud, Gustav Klimt und der Sezession. Heute gibt es in Österreich Hans Hollein, Gustav Peichl, Wolf Prix. Wenn es darum geht, ein wichtiges Projekt in Wien zu realisieren, werden oft die österreichischen Architekten damit beauftragt, denn die Architektur ist ein entscheidender Teil der Kultur, politisch und sozial. In Amerika ist das nicht so.

Dann leiden die USA unter einem Mangel an Kultur?

Nein, nicht unter einem Mangel an Kultur, aber unter dem Mangel, Architektur als kulturelles Phänomen zu begreifen. Schauen Sie sich doch die „New York Times“ an. Die Architektur finden Sie immer auf den hinteren Seiten, nur ganz selten schafft sie es auf die Titelseite im Feuilleton. Jedes Land beurteilt Architektur anders. Ich kann nie nach Deutschland reisen, ohne von der Presse interviewt zu werden, gerade was das Holocaust Memorial in Berlin betrifft. Darüber gibt es in Deutschland eine gesunde Debatte, das gäbe es in New York nicht.

Aber Sie hatten in New York auch eine große Debatte über die Bebauung von Ground Zero?

Ja, hatten wir, aber es war ein Desaster. Ob man das Projekt von Daniel Libeskind mag oder nicht, Tatsache ist: Er hat den Wettbewerb gewonnen. Und was macht er jetzt? Nichts. Er verlor sein Projekt; das politisch-kommerzielle Interesse hat es übernommen. Und hat sich jemand darüber aufgeregt, haben die Architekten dagegen protestiert? Frank Gehry hat den ursprünglichen Wettbewerb abgelehnt, und jetzt bekommt er das Museumsprojekt. Und was bekommt Libeskind? Er baut kein Memorial, er baut nicht den Freedom-Tower. Er bekam gar nichts.

New York in 100 Jahren, können Sie sich vorstellen, wie die Stadt dann aussehen wird?

New York war nie eine architektenfreundliche Stadt. Seit die Biennale einen Preis an eine Stadt vergibt, seit 1986, wurde er niemals New York verliehen. Das hat seinen guten Grund: weil es wenig Architektur in den amerikanischen Städten gibt. Als Tourist kommt man nach Amerika, um die Landschaft, den Grand Canyon, die Prärie zu sehen. Chicago hat interessante Architektur. Aber fährt jemand nach St. Louis? Nein. Nach Kansas City? Nein. Die Städte sind großteils urbane Wüste. Ich könnte sofort zehn europäische Städte aufzählen, die eine größere architektonische Kultur aufweisen als die meisten amerikanischen Städte. Keine der politischen Parteien hat sich jemals um Architektur gekümmert. Die kümmern sich weder um soziale Wohnprojekte noch um öffentliche Plätze. Die USA werden von kommerziellen Motiven geleitet, da passt die Architektur nicht hinein. Die Architektur bringt keine Stimmen.

Kommen wir zum Prozess des Entstehens von Architektur. Wo beginnen Sie, welche Fragen tauchen als erste auf?

Zuerst taucht die Frage nach der Präsenz auf. In der westlichen Welt geht man davon aus, dass die Architektur der Locus der Präsenz ist. Meine Frage lautet daher, warum akzeptieren wir diese Idee als Tatsache. Weil Architektur immer verortet ist, das ist Präsenz. Aber könnten wir nicht eine Architektur haben, die Ort und Nicht-Ort in einem ist, Präsenz und Nicht-Präsenz? Wie macht man eine Architektur der Nicht-Präsenz? Die Ausstellung im Museum für angewandte Kunst hinterfragt die Präsenz.

Also: Wie macht man eine Architektur der Nicht-Präsenz?

Diese Frage hat meine Arbeit seit 40 Jahren vorangetrieben hat. Man kann es auf unterschiedliche Weise betrachten. Was macht zum Beispiel einen großen Maler aus? Dieser Maler fragt, warum er so malen soll und über Malerei in der Weise nachdenken soll wie im 15., 16. Jahrhundert. Isaac Newton fragte nach der Konzeption des Universums, und seither haben wir die Newtonsche Physik. Dann folgte Descartes, dann Einstein und dann kam Heisenberg. Alle zusammen Denker, die die Annahmen der anderen hinterfragt haben. Wir sind andere Menschen geworden, wir denken anders, wir verhalten uns anders.

Es gab Fortschritte in der Wissenschaft, in der Philosophie, warum sollte es nicht den Versuch geben, die Kultur der Architektur voranzutreiben? Lassen Sie es mich anderes erklären: Es gibt zwei Arten von Ärzten, die einen gehen nach Afrika, um Aids-Patienten zu helfen, die anderen versuchen, im Labor eine wirksames Heilmittel gegen Aids zu finden. Ich bin nicht in Afrika, ich forsche im Labor. Man kann nicht sagen, das eine sei wichtiger als das andere. Ich könnte nicht da draußen sein. Ich mache, was ich kann.

Und wer forscht mit Ihnen im Labor?

Rem Koolhaas, Jacques Herzog, einige junge Architekten wie Greg Lynn, der in Wien unterrichtet, Wolf Prix. Ich bin nicht allein. Wenn Sie die Ausstellung in Wien sehen, werden sie den Unterschied verstehen. Zaha Hadids Ausstellung im vergangenen Jahr war fantastisch. Damit kann ich nicht konkurrieren. Wenn Sie unsere Installation sehen, werden Sie sagen: Oh mein Gott, wie befremdlich. Und wenn es nicht befremdlich wäre, hätte ich versagt.

Befremdlich? Ist das die Reaktion, die Sie bei den Besuchern erzeugen wollen?

Kennen Sie die Bilder zu meinem „Holocaust Memorial“ in Berlin? Es ist befremdlich. Die Menschen sind sprachlos, sie wissen nicht, was sie sagen sollen.

Die Menschen verlieren sich . . .

Sie verlieren sich nicht so sehr, sie bekommen ein Gefühl des Sichverlierens, des Verlorenseins im Raum. In Wirklichkeit ist es unmöglich, sich zu verlieren. Aber wie wäre es, sich für einen Moment zu verlieren? Das wäre sehr spannend.

Sie werden die Decke der unteren Ausstellungshalle des MAK abhängen und den Raum mit Säulen füllen.

Ja, die Decke wird nur 3,5 Meter hoch sein. Es wird dunkel in der Halle sein und niedrig. Das einzige Licht kommt aus den von innen beleuchteten Säulen.

Klingt ziemlich klaustrophobisch . . .

Aber warum sollte jemand Klaustrophisches wollen?

Sagen Sie es mir . . .

Nein, sagen Sie es mir, Sie sagten klaustrophobisch.

Ist das Ideal der Architektur nicht ein offener, lichtdurchfluteter Raum, Räume, an denen man sich freuen kann? Sie aber wollen, dass sich die Besucher bedrückt fühlen.

Macht das die Avantgarde nicht öfters?

Gewöhnt man sich nicht schnell an das Schockierende der Avantgarde?

An Klaustrophobie gewöhnt man sich nie. Um den Menschen das Licht und das Glück bewusst zu machen, braucht es die Dunkelheit. Wien ist die Hauptstadt der Dunkelheit, des Schattens und des Unbewussten. Wo es Schlagobers gibt, muss es auch Dunkelheit geben. In der christlichen Dialektik braucht es für den Himmel die Hölle. Für Gott braucht es einen Teufel.

Freud hat die Dunkelheit entdeckt, die in uns allen steckt, die wir versuchen müssen zu verstehen, sie rauszulassen, aber auf eine nicht gewalttätige Weise. Die moderne Literatur ist voll von den Gestalten eines dunklen Universums. Die Architektur muss einen Weg suchen, dazu einen Berührungspunkt zu finden. Wir, die Architekten, können nicht nur „happy people“ sein, die Komfort und Obdach bereitstellen. Ich wünsche mir, dass die Besucher mit ihren Gefühlen konfrontiert werden.

Nochmals zurück zu Wien als „Stadt der Dunkelheit“: Können Sie das näher erläutern?

Ich denke, diese Ausstellung hat viel mit Wien zu tun, mit Freud, mit Loos, mit der Moderne. Moderne in den USA bedeutet Technik und nicht Ideologie. Der Marxismus, der Faschismus, die Nazis haben Architektur immer als Politik, als Ideologie begriffen. Und in einem gewissen Sinn hatten sie Recht. Architektur wird immer ideologisch sein. Sie ist immer politisch und sozial, aber innerhalb ihrer eigenen Disziplin-Autonomie. Darum geht es in der Ausstellung, die Decke und der Boden repräsentieren diese Disziplin-Autonomie.

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