Veranstaltung

Barfuß auf weiß glühenden Mauern
Ausstellung
Barfuß auf weiß glühenden Mauern © Foto: Eisenman Architects/MAK
15. Dezember 2004 bis 22. Mai 2005
MAK
Weiskirchnerstraße 3
1010 Wien


Veranstalter:in: MAK
Eröffnung: Dienstag, 14. Dezember 2004, 21:00 Uhr

Zwischen Bedeutung und Trivialität

Der Architekt Peter Eisenman in einer Wiener Ausstellung

Kurz vor der Fertigstellung von Peter Eisenmans Berliner Mahnmal für die Opfer des Holocaust konnte in Wien eine grosse Werkschau des Theoretikers unter den Architekten eröffnet werden. Die im Museum für angewandte Kunst (MAK) gezeigte Ausstellung «Barfuss auf weiss glühenden Mauern» ist so labyrinthisch wie Eisenmans Thesen.

23. Dezember 2004 - Paul Jandl
Schluss mit der «Spektakelarchitektur», fordert Peter Eisenman in Wien. Doch der amerikanische Architekt ist längst selbst Teil dieses Spektakels. Rechtzeitig zur Fertigstellung seines Berliner Holocaust-Mahnmals würdigt ihn das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien mit einer grossen Werkschau, deren Titel so rätselhaft ist wie die Schau labyrinthisch: «Barfuss auf weiss glühenden Mauern». Eine Gipskartondecke hat der New Yorker Architekt in die grosse Halle des Museums gehängt. Auf nur zweieinhalb Metern Höhe schwebt sie drohend über dem Besucher. Dreissig breite Pfeiler, die rasterförmig angeordnet sind, weisen nach oben. Schachtartig verlängern sie sich über die Deckenkonstruktion hinaus. Die Pfeiler sind begehbar, und hier, in diesen weissen, beinahe sakralen Räumen, findet sich Eisenmans architektonische Welt. Gitterstrukturen und Faltungen im Raum, spiralförmig verdrehte Gebilde und bunte Kuben stehen stellvertretend für ein Werk, das die konstruktive Ambition mit philosophischer Gedankenarbeit verbindet. Man kann sich im Halbdunkel der Schau verlieren; und dass sich in deren komplexen Figurationen die eine oder andere Gewissheit relativiert, ist ganz im Sinne Eisenmans.

Frühe Formetüden

Manche Räume sind von aussen nur durch schmale Sehschlitze zu erkunden, andere ganz geschlossen. Das Licht, das aus einem Spalt in Bodennähe dringt, macht die Sache geheimnisvoll. So in sich gekehrt ist Eisenmans Werk allerdings selten. Es gibt viele Bauten von dekonstruktivistischem Furor, die der heute 72-jährige Eisenman im Laufe seiner Karriere entworfen hat. Die Laufbahn dieses Theoretikers unter den Architekten hat spät begonnen. Auf die Formetüden einer seit den sechziger Jahren entstandenen Häuserserie in New England, deren kubischer Aufbau durch vielfach verformte Raster geprägt war, folgte als erster öffentlicher Auftrag das 1989 fertiggestellte Wexner Center for the Visual Art in Columbus, Ohio. Eine Gitterstruktur dieser grossen Anlage findet sich auch in der Wiener Ausstellung. Es sind Zitate seiner Gebäude, die Eisenman für das Ganze stehen lässt. Nicht das Fertige präsentiert der Architekt, sondern Diagramme eines offenen Prozesses - ähnlich wie in seinem 1999 erschienenen Buch «Diagram Diaries». Es sind dreidimensionale Diagramme, greifbare Architekturen: Etwa das Moebius-Band, das Eisenman als Max-Reinhardt-Haus in Berlin aufstellen wollte. Während Berlin mit den Dimensionen dieses Projektes überfordert war, konnte sein Sozialwohnungsprojekt am Checkpoint Charlie gebaut werden. Dessen rasterartige Struktur hat Eisenman in die Ausstellung eingebaut.

Erzählen will sie nicht, diese eigenwillige Selbstdarstellung von Eisenman im Wiener MAK. Wer Retrospektiven als werkmonographischen Schnelldurchlauf erleben will, wird enttäuscht sein. Wer sich aber auf Eisenmans Experiment einlässt, wird reichlich belohnt. Ganz allerdings verzichtet die Ausstellung dann doch nicht auf herkömmliche Präsentationsmethoden. Fotos von Bauten verbergen sich hinter Sehschlitzen, in Videos gibt der Meister Auskunft, und es gibt einige Modelle: vom Projekt der «Ciudad de Cultura de Galicia» ebenso wie vom Entwurf für das «Musée du Quai Branly» in Paris. Sein Wettbewerbsbeitrag für den neuen Bahnhof der Hochgeschwindigkeitszüge in Neapel (2003) ist nicht weniger spektakulär als jene Architektur, die er selbst so freimütig kritisiert. Und auch der Verweis auf eine neue Pietät, die nach dem Fanal des 11. Septembers 2001 anzubrechen habe, nimmt sich aus seinem Mund sonderbar aus. Ist doch sein Projekt für Ground Zero wenig asketisch ausgefallen: Zwei Hochhäuser in Form riesenhafter Gitter hatte er sich für den Ort der Tragödie in Manhattan ausgedacht. Die durchbrochenen Baukörper sollten in einer Geste des Gedenkens Präsenz und Absenz symbolisieren. - Der Name Eisenman steht nicht nur für Architektur, sondern auch für ein Theoriegebäude. Am Puls der Postmoderne und der Dekonstruktion hat Eisenman seine Bücher und Aufsätze verfasst. Über die Ideen von Deleuze und Foucault lässt sich sein Faible für Diagramme ableiten, die die Ausstellung auch an anderen Architekturen erprobt. So wird Piranesis «Campo Marzo» ebenso als «Schablone architektonischer Möglichkeiten» überprüft wie die räumlichen Beziehungen in Palladios Villen oder in Giuseppe Terragnis «Casa del Fascio», der Eisenman sein jüngstes Buch gewidmet hat.

Provokationen

Wenn Eisenman mit Derrida eine Freundschaft verbunden hat, dann ist es auch eine gemeinsame Auffassung der Schrift. Was aber heisst «Barfuss auf weiss glühenden Mauern»? Der Titel der Ausstellung bedeutet nichts. Er habe in den sechziger Jahren einmal Deutsch studiert und dabei diesen Satz gehört, sagt Eisenman. Eisenman wäre nicht er selbst, wenn seine Anspielungen nicht auch etwas Verspieltes hätten. Die «weiss glühenden Mauern» sind im MAK breite Klebestreifen. Streng geometrisch führen sie durch die Ausstellungshalle, laufen hierhin und dorthin. Bei Eisenman oszilliert vieles zwischen hochgeschraubter Bedeutung und einer absichtsvollen Trivialität. Das Wort «Eisenmanamnesie» ist auf die Innenwände einer der Räume gesprüht. Es handelt sich um ein Palindrom, das so ganz nach dem Geschmack des Architekten ist. In einer der Kojen gelangt man auf einem Treppchen über die Deckenkonstruktion hinaus. Dann sieht man die schäbige Kehrseite der Installation und die rohe Ehrlichkeit des Gipskartons. Mit beinahe kindlicher Energie scheint das alles zurechtgesägt. Und es erinnert ein wenig an den Merzbau von Kurt Schwitters.

Inmitten seiner eigenen Grossskulptur wettert Eisenman in Wien dann auch noch gegen die skulpturale Architektur. Provokationen dieser Art machen dem New Yorker sichtlich Spass. Wissend, dass er sich mit der Ausstellung in dieser Stadt keine Freunde machen werde, sei er hierher gekommen, sagt er. Selbstbewusst widmet er «Barfuss auf weiss glühenden Mauern» dem Genius Loci. Adolf Loos, Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein hätten es in Wien nicht leicht gehabt. Alle drei haben in der Tat hier ebenfalls Räume vermessen. Eisenman allerdings, so lässt der Erfolg der Ausstellung schon jetzt vermuten, hat man schneller verziehen.

[ Bis 22. Mai. Der bei Hatje Cantz verlegte Katalog zur Ausstellung ist ab 11. Januar erhältlich. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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