Zeitschrift

db 11|2013
Schwarz
db 11|2013

Eleganz im Gewerbehof

Erweiterung des Medienpool Waterloohain in Hamburg

In einem innerstädtischen Gewerbehof schuf Architekt Carsten Roth einen Bürobau, der nachverdichtend ein Stück Stadtreparatur leistet. Sein schwarz-schimmerndes Fassadenkleid verbindet dabei Understatement mit komplexer Anmut.

11. November 2013 - Claas Gefroi
Über zehn Jahre ist es her, dass die Hamburger Kommunikationsagentur fischerAppelt den Architekten Carsten Roth mit dem Umbau eines unscheinbaren Produktionsgebäudes der späten 50er Jahre im Hamburger Stadtteil Altona-Nord beauftragte. Damals war diese Gegend westlich des Szenestadtteils Schanzenviertel noch ein Geheimtipp, in dem man relativ günstig innerstädtisch wohnen oder seinem Gewerbe nachgehen konnte. Die Kreativ- und Werbebranche wird von Fabrikbauten ja geradezu magisch angezogen, vorausgesetzt, sie sind alt und besitzen Patina. Die Gebäude am Waterloohain aus den späten 50er und frühen 60er Jahren wurden somit links liegen gelassen, bis Carsten Roth und fischerAppelt ihr Potenzial entdeckten. Zunächst baute der Architekt den unauffälligen ockerfarbenen Klinkerbau Waterloohain 5 um und stockte ihn auf.

Es war diese weithin sichtbare Ergänzung, die mit ihren Winkeln und Asymmetrien, v. a. aber mit ihrer ungewöhnlichen, changierenden Farbigkeit die Konventionen Hamburger Bauens verließ und damit irritierte. Transparentes und verspiegeltes Glas und polyspektral beschichtetes Edelstahlblech, matt, glänzend oder gelocht, trafen hier zu einem Wunderwerk der optischen Täuschung zusammen, der Moderne verpflichtet und doch vielfältig lesbar. 2003 folgte der Umbau eines weiteren, vormals als Kegelcenter und Klubhaus genutzten Gewerbebaus zum Bürohaus, das der Bauherr an Medien- und Werbeagenturen sowie an Designbüros vermietet. Die angegriffene Betonfassade ließ Roth durch eine transluzente Industrieglashülle austauschen und eine zusätzliche Etage obenauf setzen, wiederum mit polyspektral-rot beschichtetem Edelstahl bekleidet.

Doch auch damit war der Umbau des innerstädtischen Gewerbegebiets zum »Medienpool Waterloohain« noch immer nicht zu seinem Ende gekommen. So widmete sich das bewährte Team aus Bauherr und Architekt nun einem Neubau als Ergänzung des Hauses Waterloohain 5.

Schwarz und schwebend

Waterloohain 5+ genannt, wird das neue Bürogebäude nur in der obersten Etage von der Agentur selbst belegt und im Übrigen an Medienfirmen vermietet. Da der Bebauungsplan lediglich vier statt der vom Bauherrn gewünschten fünf Etagen erlaubte, wurde das als Garage genutzte offene EG eingegraben und ragt nun die für Keller maximal zulässigen 1,40 m aus dem Erdboden. Ein schöner Nebeneffekt ist die daraus resultierende schwebende Anmutung des Hauses. Die Ausrichtung seiner Fassaden orientiert sich an der Stellung benachbarter älterer Gebäude, aber auch an der Aufstockung des Altbaus. Dadurch steht es in einem leichten Winkel zum bestehenden Gelbklinkerbau und rückt an seiner Südseite ganz nah an ihn heran – getrennt zwar durch eine schmale Fuge, zugleich jedoch verbunden mittels eines Übergangs, der in das Treppenhaus des Altbaus mündet. Städtebaulich übernimmt der neue Baustein im Ensemble eine wichtige Funktion, denn der viel zu weite und indifferente Straßenraum des Doormannsweg erhält durch ihn wieder eine Fassung. Carsten Roth hat die Aufgabe mit Bravour bewältigt, einen ganz eigenständigen Anbau zu gestalten, der dennoch nicht seinem Nachbarn die Show stiehlt.

Ausschlaggebend hierfür ist die Farbe. Wie schon bei den Aufstockungen und Treppenhausverkleidungen der beiden Altbauten verwendete Roth auch hier an den Fassaden mittels Galvanisierung polyspektral gefärbten Edelstahl, statt in Rot hier allerdings in Schwarz. Der Grund erschließt sich sofort: Dank seines dunklen Kleids tritt der Neubau nicht in Konkurrenz zum älteren Nachbarn. Das Schwarz erhielt jedoch einen leichten Rotstich, wodurch eine Verbindung zur Aufstockung des Altbaus hergestellt wurde – so subtil, dass man es erst auf den zweiten Blick bemerkt.

Die drei Glasfassaden des Neubaus sind von einer unregelmäßigen Struktur vertikaler Lamellen – Roth nennt sie Finnen – unterteilt. Diese je nach Geschoss und Fassadenseite unterschiedlich gedrehten Lamellen dienen als Sicht- und Sonnenschutz, verleihen der Fassade jedoch auch Tiefe und Rhythmus. Die unterschiedlichen Abstände der Finnen führen – besonders in der Schrägsicht – mal zu mehr geschlossen oder eher geöffnet anmutenden Fronten. Und wie nebenbei erhalten die Fassaden durch das je nach Geschoss unterschiedliche Stakkato der Lamellen eine ganz klassische horizontale Dreiteilung, da die mittleren beiden Etagen formal geeint zusammenwirken. Die Komplexität wird noch gesteigert durch unterschiedliche Auskragungen und Winkel einzelner Fassadenteile. Sie sind nie willkürlich gewählt, sondern von Gebäudefluchten und -höhen der Umgebung abgeleitet. Letztlich entsteht eine penibel detaillierte und raffinierte Textur, die Vergleiche mit der Haute Couture nahelegt – auch in der Farbqualität. Die alte Erkenntnis der Schneiderzunft, dass ein gänzlich schwarzer und matter Stoff leblos, ein Farbnuancierungen und Lichtreflektionen aufweisendes Gewebe hingegen lebendig und elegant wirkt, erfährt hier eine Übertragung auf die Architektur. Festlich und geheimnisvoll wie ein schwarzes Abendkleid oder ein Smoking erscheint diese Fassade: Wundervoll das leichte Farbspiel der Edelstahlplatten und das sanfte Schimmern im Licht, jäh gesteigert zu einem Funkeln an den Kanten der Sonnenschutzlamellen und der Horizontalbleche.

»Bügelfalten«

Die Fassade konnte derart zum Gestaltungselement und Bedeutungsträger werden, weil das Innere das Äußere vom Tragen entlastet. Die gerade einmal 20 cm breiten Unterzüge fächern sich – einer Schnittmusterzeichnung gleich – V-förmig auf und durchspannen die 16 m tiefen Räume in ganzer Breite ohne jegliche weitere Unterstützung und schaffen so stützenfreie Nutzflächen von 400 m² pro Geschoss. Die sie tragenden (ebenfalls äußerst schmalen) Stützen besitzen – auch hier bezieht sich Roth auf das Textile – »Bügelfalten« genannte vertikale Knicke, die sie schlanker und plastischer wirken lassen. Dieses Tragwerk ist aufs Äußerste optimiert und minimiert. Unwillkürlich fragt man sich, wie diese Konstruktion die Lasten halten kann. Die Weite des Raums, nur unterbrochen durch die notwendigen Einbauten für Toiletten und Küchen, setzt sich über die Glasfassaden in den Außenraum fort und beschert grandiose Blicke ins Grün stattlicher Straßenbäume oder auf die dichte heterogene Nachbarbebauung. Der Ausblick ist jedoch abhängig vom Standort, denn die schwarzen Lamellen entfalten auch im Innern ihre Wirkung: Je spitzer der Betrachtungswinkel, desto schmaler werden die Durchblicke zwischen ihnen und so werden aus Glasfronten geschlossen wirkende Wände. Eine Ausnahme bildet die gänzlich lamellenfreie gläserne Nordfassade im zweiten und dritten OG.

Das Offene ist zugleich geschlossen, das Äußere ein Teil des Innern, das Schwarze farbig: Carsten Roth zieht die Ambivalenz der Eindeutigkeit vor und spielt meisterhaft mit unserer Wahrnehmung. Dabei ist Waterloohain 5+ ein überaus zweckmäßiger, funktionaler, flexibler Bürobau. Sein so elegantes dunkles Kleid ist kein Ausdruck von Eitelkeit, sondern von Hochachtung gegenüber seiner Umgebung. Wie wusste schon Oscar Wilde: »Eine rote Rose ist nicht selbstsüchtig, weil sie eine rote Rose sein will. Es wäre aber furchtbar selbstsüchtig, wenn sie wollte, dass alle Blumen im Garten rote Rosen sind.«

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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