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Wie kein anderes Bauteil haben Balkone und Loggien eine Mittlerfunktion zwischen innen und außen, zwischen privat und öffentlich. Die von uns ausgewählten und vorgestellten Projekte bieten komfortable, qualitätvolle, z. T. eher funktionale, dann wieder unkonventionelle private Außenräume an. Außerdem werden sie in ihrem Erscheinungsbild – durch Anordnung, Art, Größe und Kombination der Balkone, Loggien und Terrassen – ganz wesentlich von diesen geprägt. Doch neben der räumlichen Vermittlung handelt es sich bei Balkonen und Loggien auch um eine konstruktive Schlüsselstelle am Bau. Daher nähern wir uns diesen komplexen Bauteilen im Schwerpunkt und in der Rubrik Energie auf gestalterischer, konstruktiv-technischer und wohnungswirtschaftlicher Ebene. | Ulrike Kunkel

Artikel

1. September 2014 Hubertus Adam
deutsche bauzeitung

Loggien vor Parklandschaft

Geschosswohnungsbau am Hertweiher in Uster (CH

Wohnen im Park: das ist, kurz gesagt, das Konzept der Reaktivierung eines ehemaligen Industrieareals in Uster, westlich von Zürich. Und so sind auch die Außenräume das entwurfsbestimmende Thema beim Wohn- bau von Morger + Dettli – sämtliche Wohnungen besitzen Loggien zu beiden Seiten. Sie bilden eine ondulierende Schicht, die das gesamte Gebäude umhüllt und es mit der umgebenden Natur verzahnt.

Uster, 20 km westlich von Zürich gelegen, erlebte im 19. Jahrhundert einen boomartigen Aufschwung. Das Zürcher Oberland verwandelte sich in eine der am stärksten industrialisierten Regionen Europas. Der schon im Mittelalter genutzte Aabach, der Pfäffiker- und Greifensee verbindet, trieb die Maschinerie der Baumwollspinnereien an und avancierte im Volksmund zum »Millionenbach«. In Niederuster errichtete der Unternehmer Heinrich Kunz 1825 die erste Großspinnerei, die durch ein Kanalsystem und drei Teiche mit Wasserkraft versorgt wurde. Die erste industrielle Phase endete allerdings bereits 1912 mit dem Verkauf des Spinnereiunternehmens. 1925 übernahm die Zellweger AG das historische Werksareal. Textilmaschinen und elektrotechnische Apparaturen, v. a. Telefone, wurden nun in Uster gefertigt, und Roland Rohn, Nachfolger Salvisbergs und der wohl wichtigste Schweizer Industriearchitekt seiner Zeit, errichtete das Verwaltungsgebäude, dem ein eleganter oktogonaler, wie ein Pfahlbau im See stehender Ausstellungspavillon vorgelagert ist. 1993 fusionierte die Zellweger AG mit der auf Lüftungs- und Klimatechnik spezialisierten Zellweger Luwa AG, die zehn Jahre später aufgelöst wurde. Durch ein Management Buyout entstand das Unternehmen Uster Technologies. Dieses ist spezialisiert auf Messtechniken zur Qualitätssicherung in der Textilindustrie, die am alten Standort in Uster produziert werden. Mit der Umstrukturierung 2003 fiel auch die Entscheidung, das dem Produktionsareal benachbarte parkartige Gelände mit seinen Kanälen und Teichen sowie dem Verwaltungsgebäude von Roland Rohn aus dem Produktionsstandort auszugliedern und zu einem Wohnstandort zu entwickeln. Das bislang unzugängliche Areal wurde damit öffentlich; die postindustrielle Transformation begann.

Integration in den Park

Die Sensiblität, mit welcher der landschaftliche und architektonische Bestand bewahrt und durch neue Elemente ergänzt wurde, ist in erster Linie der Unternehmerfamilie Bechtler zu verdanken, den früheren Eigentümern der Luwa. Basis für die Umwandlung des Zellweger Parks bildet ein 2005 von EM2N erarbeiteter Gestaltungsplan. Dieser definiert einzelne Baufelder innerhalb des parkartigen, von den Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf zurückhaltend ergänzten Ambientes. Die Gebäude von Gigon/Guyer und Morger Dettli konnten schon bezogen werden, während sich ein Haus mit Mietwohnungen von Herzog & de Meuron derzeit noch im Bau befindet.

Ondulierende Gebäudehülle

Das 2013 fertiggestellte Wohngebäude von Morger Dettli hat den prominentesten Standort auf dem Areal, denn es steht direkt an der Westseite des Herterweihers und damit vis-à-vis zum historischen Verwaltungsgebäude von Roland Rohn. Mit diesem hat es nicht nur seine Nord-Süd-Ausrichtung gemein, sondern auch die Idee eines hinter Stützen zurückgesetzten EGs. Weiß gestrichen, bilden die Eingangszonen der Häuser samt Serviceräumen vier polygonale Inseln, sodass die Blickbeziehung zur umgebenden Landschaft gewahrt bleibt. Im Gespräch erklärt Meinrad Morger, dass die Verbindung der gedeckten Zonen im EG mit den daran anschließenden Freiraumflächen am Weiher mit ihren Stegen, Grünraumnischen, Uferzonen und Spielplätzen ihr zentrales Anliegen war. Überhaupt haben die Architekten alles getan, um das aus vier zu einem Riegel verbundenen Häusern bestehende Volumen mit seinen sechs Wohngeschossen über Tiefgarage und Eingangszone möglichst behutsam und landschaftsverträglich in die parkartige Umgebung einzubetten. Anzuführen ist nicht nur der Versprung der einzelnen Wohnungen, der zu der charakteristischen Zackenstruktur im Grundriss führt, sondern auch die Umhüllung des Gesamtvolumens mit Loggien, die mit einem dunklen staketenartigen Stabwerk von Brüstungsgeländern versehen sind. Diese laufen um das gesamte Gebäude herum und bilden seine Hülle.

Besitzt das lang gestreckte Gebäude im Kern eine orthogonale Struktur der Grundrissorganisation, so wird die Kontur durch die umhüllten Außenräume weicher und fließender, ohne sich jedoch dem Mimikri eines organischen, natürliche Formen imitierenden Architekturverständnisses zu befleißigen. Der Rhythmus der Fassade gliedert das horizontal gegliederte Gebäude vertikal und lässt vage Assoziationen zu den Baumgruppen in der unmittelbaren Umgebung entstehen. Über dem offenen EG verleihen die Brüstungsgeländer dem Gebäude einen dunklen Ausdruck, der es mit der Vegetation verbindet und nicht grell herausstechen lässt. Frontal erlauben die schmalen Stäbe der Staketen den Durchblick, in der Schrägsicht verbinden sie sich zu wandartigen Strukturen.

Insgesamt birgt der Bau 51 zweiseitig orientierte Eigentumswohnungen mit 3,5 bis 5,5 Zimmern – von den größeren sind drei als Maisonetten ausgebildet –, wobei die Kernzonen zwischen 109 und 163 m² umfassen. Je 18 Einheiten sind als 3,5-Zimmer-Wohnungen mit 109 m² und 4,5-Zimmer-Wohnungen mit 128 m² ausgebildet. Zusätzlich besitzt jede Wohnung Loggien von unterschiedlichen Geometrien. Die eine misst jeweils 13 m², die andere variiert je nach Lage und Größe der Wohnung zwischen 7 und 12 m². Durch den Versprung der Geometrien werden prinzipiell Ausblicke in alle Richtungen ermöglicht, darüber hinaus dienen die einspringenden Ecken auch dem Windschutz für den gedeckten Außenraum, der als Fortsetzung der Gemeinschaftsbereiche (Kochen, Essen, Wohnen), z. T. auch der individuellen Schlafräume konzipiert ist. So ergeben sich großartige Ausblicke: zur einen Seite hin auf den Herterweiher und den Zellweger Park, zur anderen auf Greifensee, Forch und Pfannenstiel. Die auskragenden Balkone bestehen aus Betonplatten, die ein Gefälle nach außen aufweisen und mit punktuellen Bodenabläufen sowie Notüberläufen versehen sind. Holzroste dienen dem barrierefreien Übergang nach draußen.

In der Peripherie von Zürich

Das Wohnen in einem Park, und das in unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum, ist das primäre Qualitätsmerkmal der Wohnbauten. Uster, mit gut 30 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Kantons Zürich, hat seine Bewohnerzahl seit 1970 um die Hälfte vergrößern können. Wesentlich dazu beigetragen hat die Einrichtung der Zürcher S-Bahn, durch welche die Vorortgemeinden binnen weniger Minuten vom Stadtzentrum aus erreichbar sind. Der Zellweger Park zählt zu den bemerkenswerten neuen Wohnprojekten – nicht zuletzt wegen seiner gelungenen Verzahnung von Architektur, Natur, Kunst und Relikten der für das Zürcher Oberland prägenden Industriegeschichte.

1. September 2014 Klaus Meyer
deutsche bauzeitung

Freiräume für Kinder

Kinderhaus »Josefine Kramer« in Tettnan

Hochwertige Materialien, lichte Räume, prägnante Konturen: Das Kinderhaus in Tettnang überzeugt in vielerlei Hinsicht. Besonders eindrucksvoll nehmen sich die breiten, das Fassadenbild prägenden Loggien aus. Dabei sehen die Öffnungen nicht nur gut aus – sie sind auch bestens zu bespielen.

Das ehemalige Transformatorenhaus, das sich wie ein Bergfried auf einem Hügel im Spielgarten erhebt, hat keine Fenster; Licht dringt nur durch eine schmale Tür ins Innere. Das Turmgemach ist kaum größer als ein Altbauklo, aber über 10 m hoch und knallrot gestrichen – für die Kinder wird es ein magischer Ort sein. Auch im frisch angelegten Garten gibt es jetzt schon Ecken und Winkel mit großem zauberischen Potenzial. Zu nennen wäre der fast 50 m lange Weidentunnel zwischen den Spielinseln. Und das jüngst bezogene Kinderhaus selbst? Wird es für die Kleinen mehr sein als ein geräumiger Aufenthaltsort, ein temporäres Dach über dem Kopf? Wird es ihnen etwas bedeuten? Schwer zu sagen. Deshalb wird der Rezensent diese Frage erst einmal zurückstellen und sich bei der Bewertung des Bauwerks an die üblichen, immer etwas zu abstrakten Kriterien der Erwachsenen halten.

Doch zunächst noch zu den Fakten: Das Josefine-Kramer-Haus, benannt nach einer in Tettnang geborenen Psychologin und Heilpädagogin (1906-94), wurde zwar bereits im Januar 2014 fertiggestellt, ist aber erst seit Ende der Sommer- ferien voll besetzt. Es bietet Platz für bis zu 50 Kindergartenkinder in zwei Gruppen und rund 30 Krippenkinder in drei Gruppen. Hinzu kommen Räumlichkeiten, die von Kindern und Eltern der Initiative »Spatzennest« sowie dem »Familientreff Tettnang« genutzt werden. 1 600 m² Nutzfläche, 8 700 m³ umbauter Raum, 3 300 m² Grundstücksfläche: Für einen Kindergarten sind das stolze Zahlen. Und für eine Kommune wie das oberschwäbische Tettnang mit seinen knapp 20 000 Einwohnern ist der Bau solch eines Kindergartens naturgemäß eine große Sache – erst recht, wenn das Projekt an einem städtebaulich sensiblen Ort realisiert werden soll.

Dialog mit der Umgebung

Das Grundstück an der Wilhelmstraße heißt noch immer Hopfenareal, obwohl dort schon längst kein Hopfen mehr verarbeitet wird. Auch der Bahnhof, der die Industriebrache im Osten abschloss, wurde schon vor Jahren abgerissen. Die Wunde im Stadtbild schmerzte umso mehr, als das Gelände am Ende eines Grünangers mit verschiedenen öffentlichen Nutzungen liegt, der sich in ostwestlicher Richtung durch Tettnang zieht. Die letzten intakten Glieder in der Kette waren die zur Stadtkirche Sankt Gallus gehörigen Pfarrgebäude. Dahinter erstreckte sich eine von mittelprächtigen Einfamilienhäusern gefasste Schneise bis zu einem klobigen Getreidesilo. Die Herausforderung für die Planer des Kinderhauses bestand also nicht zuletzt darin, für die grüne Suite ein neues, imposantes Finale zu komponieren.

Das ist Martin Bächle, Karin Meid-Bächle und ihrem Team nach Meinung aller Experten hervorragend gelungen. Zunächst einmal konnte das Konstanzer Büro Bächle Meid den Entwurfswettbewerb, zu dem die Stadt Tettnang im September 2011 zwölf Architekturbüros eingeladen hatte, klar für sich entscheiden. Mittlerweile hat ihr Werk auch andere Juroren überzeugt. Bislang wurde das Projekt mit dem Label »best architects 15« und dem Hugo-Häring-Preis 2014 geehrt. Und das Kinderhaus spricht nicht nur Fachleute an, es gefällt eigentlich jedem, den man fragt.

Für die allgemeine Akzeptanz gibt es viele Gründe. Der augenfälligste ist die fulminante Ziegelfassade. Bächle Meid verwendeten dafür »Tallinn«-Klinker auf ungewöhnliche Weise: Indem sie die Rückseite der Ziegel mit ihren produktionsbedingten Unregelmäßigkeiten nach außen kehren, ergibt sich ein wunderbar lebendiges Mauerbild, das an alte Backsteinfassaden erinnert. Neben der Hülle ist es die Kubatur des Gebäudes, die umso mehr begeistert, je genauer man sie studiert. Auf den ersten Blick macht der lang gestreckte Baukörper den Eindruck eines autonomen, den Kontext ignorierenden Gebildes. Erst allmählich bemerkt man, wie vielfältig und sensibel der Entwurf auf die Umgebung reagiert: Im Südosten folgt die Außenwand dem schnurgeraden Straßenverlauf; gegenüber im Nordwesten erfüllt ihre Zickzackbewegung teils öffnende teils schützende Funktionen; im Süden zur Sankt-Gallus-Kirche hin formt das Volumen mit dem vorkragenden OG und dem exponierten Eingang eine unkonventionelle, doch suggestive Willkommensgeste; im Norden, wo das zweigeschossige Haus in eine mannshohe Mauer übergeht, kommuniziert der Neubau schließlich auf gleicher Augenhöhe mit der angrenzenden Wohnsiedlung. Einen subtilen Dialog mit den traditionellen Häusern im weiteren Umkreis führt auch das gefaltete Dachrelief mit seinen flachen Giebeln.

Loggien als Spielplätze

Selbst mit den großen Loggien, die das Erscheinungsbild des Gebäudes ebenso stark prägen wie die Ziegelwände und das Faltdach, nehmen die Architekten Bezug zur Umgebung. »Die Loggien bilden eine serielle Struktur, genau wie die Fenster der Lochfassaden ringsum«, sagt Martin Bächle. Freilich erschöpft sich die ästhetische Bedeutung der Öffnungen nicht in der Reminiszenz an traditionelle Symmetrien. Im Vordergrund steht sogar ein gegenteiliger Effekt, sind es doch v. a. die enorm breiten, teils verglasten teils offenen Freiräume, die dem Baukörper seine dezidiert zeitgemäße Anmutung verleihen. »Ohne sie würde der murale Charakter der Fassade viel zu stark dominieren«, sagt der Architekt. Ein weiterer reizvoller Aspekt ist die skulpturale Wirkung, die durch die tiefen Einschnitte in die Gebäudefront erzielt wird. In Bächles Worten: »Die Fassade wird zum Gehäuse.«

Die überzeugende Außenwirkung hat innere Ursachen: Im Grunde reicht die Kausalkette zurück bis zur Entscheidung über die Platzierung des Gebäudes auf dem Grundstück. Bächle Meid haben es nach Südosten an die Straße herangerückt, sodass der Spielgarten im schattigen Nordwesten liegt. »Das ist natürlich ein Nachteil, und einige Mitbewerber haben die Freifläche deshalb tatsächlich auf die Sonnenseite verlegt«, sagt Bächle. Doch sprachen entscheidende Argumente für den Vorschlag des Konstanzer Büros. Zum einen schirmt das an der Straße errichtete Haus den Spielgarten ab, sodass sich eine zusätzliche Abgrenzung erübrigt; zum anderen macht das Gebäude an der Straße stadträumlich eindeutig eine bessere Figur als ein Garten, der aufgrund notwendiger Einhegungen nicht einmal richtig einsehbar gewesen wäre. Die gewählte Verteilung der Funktionen stellte die Planer allerdings auch vor eine besondere Herausforderung. Wie sollten sie die Gruppenräume nach Süden zur Sonne hin öffnen? Mit großen, fassadenbündigen Fensterfronten? Licht hätte es dann zur Genüge gegeben, aber keinen Austritt an die frische Luft. Genau dies schaffen die Loggien: zusätzliche Spielplätze im Freien.

Einmal erdacht und für gut befunden, entwickelte sich die Lösung für ein Einzelproblem schnell zum seriell eingesetzten Gestaltungselement, das den Charakter des gesamten Gebäudes bestimmt. Austritte finden sich nicht nur auf der Sonnenseite, sondern auch zum Garten hin. Dabei wird jeder der fünf durchgesteckten Gruppenräume von je einer 6 m breiten Loggia flankiert. So bedeutsam diese Öffnungen in funktioneller und gestalterischer Hinsicht sind – als Elemente der Statik fallen sie nicht ins Gewicht: »Die Loggien haben mit dem Tragwerk überhaupt nichts zu tun, sondern sind eingestellt«, so der Architekt.

Räume mit Atmosphäre

Natürlich hat das Josefine-Kramer-Haus viel mehr zu bieten als seine Freiräume. Ein weitläufiges Foyer z. B., das die Erschließung des Gebäudes auf den ersten Blick erkennen lässt: Links führt eine Treppe zu den Räumlichkeiten des »Spatzennests« im OG, während sich im Parterre unmittelbar die Cafeteria anschließt; rechts geht es zum Kindergarten im EG und treppauf in den Krippenbereich. Den Kindern stehen nicht allein die hellen Gruppenräume zur Verfügung. Es gibt Materialräume, eine Kinderküche, einen großen Bewegungsraum. Zu jedem Gruppenraum gehört ein Ruhezimmer sowie eine Garderoben-Nische, jeweils versehen mit sehr praktischen und schönen Holzeinbauten. Ohnehin überzeugen Materialität und Mobiliar auf der ganzen Linie. Der Kunststoffboden im zarten Sandton, die weiß gestrichenen Metallgeländer, die Kindermöbel, die auch innen allgegenwärtigen Ziegelwände: Das alles muss man einfach mögen – zumindest als Erwachsener.

Und die Kinder? Ihr Gefühl zu diesem Haus wird wohl weniger von architektonischen als von sozialen Gegebenheiten bestimmt werden. Trotzdem wird auch die Architektur einen prägenden Einfluss ausüben, und es macht sicher einen Unterschied, ob man in einer übersichtlich-sauberen oder einer geheimnisvoll-wilden Umgebung aufwächst. Das eine hat etwas für sich, das andere aber auch. Und deshalb war es eine glückliche Entscheidung, den alten Transformatorenturm nicht abzureißen und nicht zu modernisieren, sondern innen in glühendes Rot zu tauchen. Kinder brauchen Freiräume – und magische Orte.

1. September 2014 Stefan Ghenciulescu
deutsche bauzeitung

Lückenhafte Baulandschaft

Eigentumswohnungen »Urban Spaces« in Bukarest (RO)

Die von ADN BA entworfenen Wohnungsbauten in Bukarest stellen eine behutsame Nachverdichtung dar und experimentieren mit Wohntypologien und den Grenzen zwischen innen und außen sowie zwischen öffentlich und privat.

Das Wohnprojekt steht in einem typischen Viertel der erweiterten Bukarester Innenstadt, inmitten eines bunten Nebeneinanders von Kirchen, eingeschossigen Einfamilienhäusern des späten 19. Jahrhunderts samt Gärten und Lauben sowie Villen und Wohnblocks der klassischen Moderne. Da in der unmittelbaren Nachbarschaft weder Einzeldenkmale noch Denkmalschutzzonen ausgewiesen sind, schreitet der architektonische Wildwuchs munter voran – immer höhere, autistisch wirkende Bauten ohne jegliche gestalterische oder städtebauliche Qualität entstehen. Hauptanliegen des Entwurfs von ADN BA waren daher eine geordnete Nachverdichtung und das Angebot zeitgemäßer Eigentumswohnungen mit flexiblen Grundrissen in Gebäuden, die einige der typischen Merkmale der Umgebung aufnehmen. Da das Bukarester Stadtgefüge relativ heterogen und lückenhaft ist und geschlossene, einheitliche Straßenzüge selbst in der Innenstadt selten sind, konzipierten die Architekten ihre Wohnanlage ebenfalls als uneinheitliche, vielschichtige und komplexe Baulandschaft. Zunächst verteilten sie die laut Bauordnung für das Grundstück zulässige Baumasse auf zwei Baukörper. Einer der Baukörper liegt direkt an der Straße, der andere zum Innenhof hin; zusammen mit Höfen und Gärten bilden sie ein Ensemble, durch das eine breite Passage führt. Für eine weitere Auflockerung sorgen verschiedene Gebäudeeinschnitte und Abstufungen, über die sich die Bauten an die Traufhöhen der Nachbargebäude anpassen. Das wichtigste Instrument für die Auflösung der Anlage und Eingliederung in die umgebende Bebauung sind aber die vielfältigen, meist privaten Terrassen, Balkone und Loggien. Selbst die kleinste Wohneinheit besitzt einen Freisitz. Die Wohnungen im EG öffnen sich zu Privatgärten und Souterrainhöfen hin, diejenigen in den obersten Stockwerken genießen den Vorzug großzügiger Terrassen. Alle übrigen Apartments sind von einer filigranen Struktur, einem System aus Loggien und Balkonen, die zu wirklichen Wohnräumen im Freien werden, umgeben. Das ist insofern ungewöhnlich, da die meisten Investoren, um eine maximale Rendite zu erzielen, auf die Umsetzung großzügiger Balkone verzichten.

Die Wohnungen an der Dogarilor Straße sind zwar verhältnismäßig klein und sicher keine Luxusapartments, sie sprechen aber eine gebildete und eher junge Mittelschicht an; Leute, die mit wenig Raum auskommen, dafür aber auf einen guten Wohnungszuschnitt und eine zentrale Lage Wert legen.

Doch die Vielfalt beschränkt sich nicht auf die Gebäudehülle und das Angebot unterschiedlicher, privater Außenräume. Keine Wohnung gleicht der anderen. Die Bandbreite reicht von Ein- bis Vierzimmerwohnungen und von ein- bis dreigeschossigen Apartments. Viele der kleineren Einheiten wurden so geplant, dass sie bei Bedarf zu größeren Wohnungen zusammengelegt werden können.

Gemeinschaftssinn stärken

»Gemeinsam wohnen anstatt nur Wohnungen zusammenzubringen«, das ist das erklärte Motto der Gesamtplanung. Auch in punkto gemeinschaftliches Denken und Handeln will die Anlage ein Zeichen setzen. Im Souterrain gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Küche und Bar – einen Ort für Treffen zwischen den Bewohnern, aber auch ein eventueller halböffentlicher Raum für das gesamte Quartier. Außerdem teilen sich die Bewohner die Höfe (die Privatgärten ausgenommen). Es gibt eine kleine Spielzone und eine »Baumbank« als Raummittelpunkt. Ein Experiment stellt die große Gemeinschaftsterrasse dar. Die Architekten haben dabei v.a. an die Besitzer der kleinsten Wohnungen gedacht, damit auch sie einen großen, immerhin halbprivaten Außenraum zur Verfügung haben. Trotzdem, so enthusiastisch alle den eigenen Freisitz preisen, die Terrasse wird bisher noch recht wenig genutzt.

Das Konstruktionsraster bestimmt die Raumgliederung. Ein leichter Metallgitterrahmen zieht sich um Loggien, Erker und Balkone herum. Die Metallgitter dienen dabei sowohl als Brüstungen als auch als Raumteiler, Sonnen- und Blickschutz. Zwischen den einzelnen Apartments kaschieren sie Abstellräume und individuelle Klimageräte. Der obere Teil des Metallrahmens soll noch einen Sonnenschutz in Form einer Textilbespannung bekommen.

Das Raster wird als Instrument der »geordneten Fragmentierung«, die den ganzen Entwurf bestimmt, konsequent weitergezogen. Die Außenhaut ist nicht verputzt, sondern wird durch sichtbare Faserzementplatten gegliedert. Pixelflächen aus knallgelben und weißen Wandmosaiken bedecken das Äußere der Eintrittsbereiche. An den Wänden der Flure und Treppenhäuser werden über verschiedene Materialien und Oberflächen – gestrichene Klinker, Keramik- oder Blechpaneele, kleine Tafeln, auf denen Familienmitglieder, Nachbarn oder Besucher ihre Botschaften hinterlassen können – unterschiedlich große Felder definiert.

Große Glasflächen in der Fassade, die von den Eigentümern sehr positiv bewertet werden, führen das Licht bis ins Innere der ziemlich tiefen Wohnungen. Da aber nur ein kleiner Teil der Wohnungen bereits vor dem letzten Winter bezogen wurde, gibt es zu Wärmeverlusten und Wohnkomfort in der kalten Jahreszeit noch keine Erfahrungswerte. Der barrierearme Übergang zwischen innen und außen, die raumhohen Fenster und die Abfolge von Erkern und Loggien erzeugen einen fließenden Raum, der die Grenzen zwischen innen und außen verschwimmen und auch die kleinsten Wohneinheiten großzügig wirken lässt. Generell funktioniert das Balkonraster als Sonnenschutz gut; etwas problematisch sind aber die südlich ausgerichteten Erker und Wohnzimmerfenster. Schon erscheinen die ersten Gardinen, es werden sicher weitere folgen. Auch beginnen die Bewohner ihre Terrassen und Balkone zu begrünen, mit der Zeit wird sich das Bild der rundum freundlichen Wohnanlage also verändern: es wird reicher, individueller, an manchen Ecken wilder, aber höchstwahrscheinlich immer noch kohärent sein.

Es zeugt durchaus von Mut, einen derart unkonventionellen Bau zu finanzieren. Die Rechnung ist für die Bauherren aber aufgegangen, trotz wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind alle Wohnungen verkauft. Einen Preis müssen die Bewohner allerdings zahlen: Immer mehr Leute (und bei Weitem nicht nur Architekten) kommen vorbei, um sich das Gebäude anzusehen. Was angesichts der Glasfronten und zahlreichen Einschnitte sicher ein klein wenig störend sein kann.

1. September 2014 Carsten Sauerbrei
deutsche bauzeitung

Hoch über den Gleisen

Geschosswohnungsbauten »Am Lokdepot« in Berlin

Für den Entwurf des städtebaulich hoch interessanten Gebäudeensembles »Am Lokdepot« in Berlin-Kreuzberg setzten die Architekten von ROBERTNEUN auf ein variantenreiches Spiel mit Balkonen, Loggien und Erkern. Doch leider werden nach diesem Planungsansatz nur sieben von 17 Gebäuden realisiert. Der Rest wird vereinfacht geplant.

Für Liebhaber des etwas skurril anmutenden Hobbys, Züge zu beobachten und zu fotografieren, wären die Wohnungen in den auffallend roten, siebengeschossigen Häusern perfekt geeignet. Schließlich befinden sie sich direkt am Rand eines freie Sicht garantierenden, bis zu 7 m tiefen Geländeeinschnitts, der die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Berliner S- und Fernbahngleise aufnimmt und ihre Farbgebung ist eine Reminiszenz an die benachbarten Backsteinhallen des namensgebenden Lokdepots.

Im Jahr 2006, als das ortsansässige Büro ROBERTNEUN mit einer ersten Bebauungsstudie für das insgesamt 28 000 m² große, ehemalige Bahngrundstück beauftragt wurde, sollten hier zunächst Gewerbeflächen für Discounter o. ä. entstehen. Gebäude und Nutzungen also, die keinen konstruktiven Beitrag zum Wohnen und Leben in der Berliner Innenstadt geleistet hätten. Der Vorschlag, anstelle flacher Hallen bis zu sechs Wohngeschosse mit maximal 220 Wohnungen auf einem ein- bis zweistöckigen Gewerbesockel zu bauen und damit einen bisher fragmentarischen Blockrand auf 250 m Länge zu vervollständigen, erscheint heute fast selbstverständlich. Er musste aber mühsam gegen Widerstände in Nachbarschaft und Bauverwaltung durchgesetzt werden.

Weder sollte eine monotone Großform, noch eine individualisierte Bauausstellung entstehen, so Tom Friedrich, einer der Geschäftsführer von ROBERTNEUN, bei der Besichtigung der ersten drei, kürzlich fertiggestellten Gebäude. Daher und um vielfältige Wohnformen für individuelle Lebensentwürfe anbieten zu können, entwickelten er und sein Partner Nils Buschmann drei verschiedene Haustypen: »S«, »M« und »L«, auf Parzellenbreiten von 7, 14 und 21 m, die sich durch eine jeweils ganz eigene Verbindung zum Außenraum auszeichnen sollten. So besitzen Gebäude des langen L-Typs ein punktuell betontes Fassadenbild mit einzelnen, geschossweise versetzt angeordneten Balkonen. Der mittelbreite M-Typ ist horizontal strukturiert mit gebäudebreiten Loggien. Beim schmalen S-Typ dominiert durch einen geschossübergreifenden Glaserker dagegen die Vertikale. In abwechslungsreicher Reihung dieser Haustypen entstand schließlich der Entwurf einer städtebaulich vielfältigen und damit sehr interessanten Ensemblestruktur aus insgesamt 17 Einzelhäusern, die durch den gemeinsamen ziegelsteinverkleideten Sockel, der die Gewerbeflächen aufnimmt, optisch zusammengehalten wird.

Fabrikästhetik und Gewächshausathmosphäre

Das gute Zusammenspiel von individueller und gemeinsamer Gestaltung ist vor Ort dann auch deutlich wahrnehmbar. Zwei Gebäude des L-Typs fassen ein Haus des M-Typs ein. Alle stehen auf dem gemeinsamen, robust wirkenden Sockel und werden zudem über das matte Rot der Sichtbetonoberflächen und Fassadenfelder des L-Typs zusammengehalten. Einen belebenden Akzent setzt die feuerwehrrote Farbgestaltung des M-Typs, womit ebenfalls die eineinhalbgeschossigen Wohnräume des L-Typs, die sogenannten Gewächshäuser hervorgehoben werden. Das Bild dominieren jedoch die weit auskragenden Balkone des L-Typs, die reizvoll, aber auch etwas ungewohnt von Geschoss zu Geschoss verspringen. Das hat für die Bewohner zur Folge, dass sie nahezu uneingeschränkt nach allen Seiten den Ausblick genießen können, aber auch fast ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt sind. Der Befürchtung, die Nutzbarkeit könnte daher zu stark eingeschränkt sein, widersprechen sie jedoch auf Nachfrage. Sie schätzen das Gefühl der Weite und den unverbaubaren Ausblick, betonen sie und zur Not könne man ja auf den zweiten zur Wohnung gehörenden Balkon auf einer der anderen Gebäudeseiten ausweichen.

Tatsächlich besitzt fast jede der 52-162 m² großen Wohnungen zwei 3 m breite und 2,5 m tiefe Balkone. Einen vor eingeschossigen Wohnräumen auf der Ost- oder Nordseite und einen weiteren vor den eineinhalbgeschossigen Bereichen mit einer Höhe von rund 4,30 m auf der West- oder Südseite. Dank der resultierenden Split-Level-Anordnung sollte räumliche Vielfalt entstehen und durch größtmögliche Transparenz und die Öffnung der »Gewächshäuser «nach außen ein Innenraum, der fast wie ein Freibereich wirkt. Vor Ort muten die halbhohen Öffnungsflügel, die den Austritt auf den Balkon ermöglichen, jedoch als zu kleinteilig an, um dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich zu erreichen.

Klarer und großzügiger erscheinen dagegen die anderen Fassadenelemente: Aluminiumfenster, Festverglasungen und aluminiumverkleidete Wandfelder, die modular in das mit durchgefärbten Ortbetonoberflächen versehene Rohbauskelett eingesetzt wurden. Als außenliegender Sonnenschutz dienen Raffstore, ebenfalls aus Aluminium. Die Balkone, die so stark das Erscheinungsbild des L-Typs prägen, scheinen auf den ersten Blick etwas grob detailliert zu sein. Sie sind jedoch – wie das gesamte Projekt – einer Ästhetik verpflichtet, die an die einstige industrielle Nutzung des Bahngeländes erinnert. Dazu passt die Ausführung mit Brüstungen aus Stahlblech bzw. Stabgitterrosten dann doch sehr gut. ›

Loftloggien und Glaserker

Auch der mittelbreite M-Typ, mit seinen loftartigen Wohnflächen und der Verwendung von Stahl bzw. Aluminium für Fenster, Loggien und das Fluchttreppenhaus, ist einer industriell anmutenden Ästhetik verpflichtet. Im Gegensatz zum L-Typ ist er horizontal gegliedert, auf beiden Hausseiten mit 14 m langen, gebäudebreiten Loggien vor den 160 m² großen Wohnräumen. Auch hier sahen die Architekten eine enge Beziehung zwischen Innen und Außen vor. Vier der insgesamt acht raumhohen Glasfelder der Fassade lassen sich aufschieben, sodass die Loggia zum erweiterten Innenraum wird. Beeinträchtigt wird diese Verbindung durch eine ca. 5 cm hohe Schwelle im Übergang. Leider wurde auf eine barrierefreie Gestaltung verzichtet, die sich bei den auf einem Geschoss liegenden Wohnungen und der Erreichbarkeit per Aufzug angeboten hätte. Kinderlachen von einer der Loggien deutet jedoch darauf hin, dass sie sich trotz der kleinen Einschränkungen scheinbar auch gut als Spielzimmer im Freien eignen.

Weniger für Familien mit Kindern, eher für Alleinlebende oder Paare ohne Kinder ist dagegen der schmale S-Typ geeignet, dessen Erscheinungsbild der alle Geschosse verbindende Glaserker prägt. Sechs 86 m² große Wohnungen – eine pro Etage – sind gerade im Bau. Um das bei diesem Typ ohnehin ungünstige Verhältnis zwischen Erschließungs- und Nutzfläche nicht noch weiter zu verschlechtern, entschieden sich die Architekten für ein vollwertiges Erkerzimmer anstelle eines Balkons auf der Westseite und haben einen solchen nur auf der Ostseite vorgesehen. Städtebaulich wirkt die dadurch entstehende Vertikale sehr belebend. Der Verzicht auf einen echten privaten Außenraum auf dieser Gebäudeseite erscheint dennoch etwas schade.

Vielfalt versus Wirtschaftlichkeit?

So städtebaulich reizvoll sich der vielfältige Einsatz von Balkonen, Loggien und Erkern bei den bisher realisierten Gebäuden auch zeigt, gebaut werden leider nur insgesamt sieben Häuser nach dem ursprünglichen Entwurf und unter der Leitung von ROBERTNEUN. Nur noch ein weiteres Haus wird als leicht veränderter S-Typ mit Balkonen statt Erkern entstehen und der M-Typ nur noch dreimal. Die übrigen Gebäude werden vom Bauherrn, der Berliner UTB, in Zusammenarbeit mit einem Generalplaner als L-Typ unter teilweisem Verzicht auf Gewächshäuser und Split-Level realisiert. Über die Gründe dafür lassen sich leider nur Mutmaßungen anstellen. Erschwert das nicht-barrierefreie Split-Level-Konzept des L-Typs den Verkauf? Ist das Verhältnis von Erschließungsfläche zu Wohnraum beim S-Typ zu ungünstig? War der Brandschutz für das außenliegende Treppenhaus des M-Typs zu aufwendig? Oder sind es schlicht Kostengründe, die zur Vereinfachung der ursprünglichen Planung führten?

Bedauerlicherweise wird das Ensemble dadurch deutlich an städtebaulichem und architektonischem Reiz verlieren, der gerade in der variantenreichen Verknüpfung von Innen und Außen besteht. Immerhin sollen jedoch andere hochwertige Gestaltungsmerkmale wie die Farbgebung, der durchlaufende Sockel und die Sichtbetonoberflächen erhalten bleiben. Hohe Architektur- und Wohnqualität auch in der Zukunft verspricht darüber hinaus auch der direkte Zugang zu den Parks rund um das Gleisdreieck (s. db 03/12, S. 24 und db 04/14, S. 32), für die das Berliner Atelier Loidl verantwortlich zeichnet und deren Formensprache bei den Freiräumen des Ensembles fortgeführt wird.

1. September 2014 Jürgen Tietz
deutsche bauzeitung

Mit Bedacht angepasst

Umnutzung des »Kaiserlichen Arbeitshauses Rummelsburg« in Berlin

Längst gehört die Umnutzung gründerzeitlicher Denkmale zum architektonischen Alltag. Für das »Kaiserliche Arbeitshaus« in Berlin-Rummelsburg haben AFF architekten jedoch eine gleichermaßen individuelle wie gestalterisch und funktional hochwertige Lösung gefunden, die sich deutlich vom Standard abhebt.

Malerisch war die Lage des Kaiserlichen Arbeitshauses Rummelsburg schon zu seiner Bauzeit im 19. Jahrhundert. Galt der nahe gelegene Rummelsburger See, zu dem sich die Spree hinter der Halbinsel Stralau auswächst, doch schon bei Theodor Fontane als ein gern besuchtes, weil innenstadtnahes Ausflugsziel. Doch trotz dieser bevorzugten Lage versprach das Arbeitshaus keineswegs einen romantischen Aufenthalt. Berlins emsiger Stadtbaumeister Hermann Blankenstein, dem die Stadt eine Vielzahl von Schulen, Markthallen und anderen öffentlichen Gebäuden verdankt, errichtete es 1877-79 als Verwaltungsgebäude der »Straf- und Arrestanstalt für männliche Corriganden«. In der Folge diente die streng geometrisch gegliederte Anlage über 100 Jahre als Gefängnis. Zu ihren letzten Häftlingen gehörte Erich Honecker, ehe sie1990 endgültig geschlossen wurde.

Zweites Leben

Nach 1990 hat sich die Rummelsburger Bucht zu einem beliebten Wohngebiet gewandelt; entsprechend umgenutzt sind inzwischen auch die einstigen Zellenzeilen der ehemaligen Arrestanstalt. Jetzt haben die AFF architekten aus Berlin in das dreigeschossige Verwaltungsgebäude sieben Wohnungen eingefügt. Dem Charme des Quartiers waren Martin und Sven Fröhlich von AFF freilich schon zuvor erlegen: nur fünf Gehminuten entfernt steht ihre 2011 fertiggestellte Reihenhaussiedlung »Elf Freunde«.

Eine ganz andere Herausforderung an die Architekten stellte die Umnutzung des repräsentativen Ziegelbaus des Kaiserlichen Arbeitshauses im Duktus der (ganz) späten Schinkelschule mit seinem aufwendigen Dekor. So war die Rückseite des lange leer stehenden Baudenkmals durch eine Turnhalle aus DDR-Zeiten gestört. Nach deren Abriss kam unter dem Zementputz die zart-schöne Ziegelfassade wieder zum Vorschein, die anschließend aufwendig instandgesetzt und ausgebessert wurde.

Doch um attraktiven Lebensraum zu schaffen, der derzeitigen Ansprüchen gerecht wird, galt es zudem, die neuen Wohnungen jeweils mit Balkonen oder Terrassen auszustatten. Der einzige historische Balkon befand sich an der Schauseite des Verwaltungsgebäudes im 1. OG. Allerdings war er ursprünglich nur als architektonisches Gliederungselement gedacht, ohne Zugang. Um ihn nutzbar zu machen, senkten AFF die Brüstungshöhe ab und verwandelten das Fenster in eine Tür. Die größten Veränderungen erfuhr der Baukörper jedoch an seiner nach Süd-Westen orientierten Rückseite, hinter der sich die ehemaligen Zellenzeilen anschließen: Mithilfe mehrerer Eingriffe gelang es den Architekten, sehr gut nutzbare und gestalterisch hochwertige Außenräume für die Bewohner zu schaffen.

Den beiden Einheiten im Hochparterre lagerten sie eine treppenartige Stahlkonstruktion vor. Sie dient als Terrasse und verbindet zugleich die höher gelegene Wohnebene mit dem anschließenden Gartenraum. Seitlich jeweils von Hecken eingefasst, werden die beiden Gärten zur Karl-Wilker-Straße hin schließlich durch zwei neue, langgestreckte Gartenhäuser abgeschlossen. Mit ihrem terrakottarot durchgefärbten Beton, der durch schmale Stege in der Schalung ein reizvolles Relief erhielt, und den großen Glasflächen zur Haus- und Straßenseite, erweisen sie sich als charakteristisch für die Arbeit von AFF. Eine verwandte Haltung zeigte schon ihre Beton-Schutzhütte am Fichtelberg (2010).

Die Rummelsburger Gartenhausriegel schaffen einerseits eine gewisse Privatheit des Gartens und bieten anderseits eine räumliche Fassung des Grundstücks zur Straße. Zur konventionellen Gartenmauer stellen sie eine kluge Alternative dar, die für die Bewohner zudem einen attraktiven Nutzraum als Mehrwert bietet.

Im 1. OG hängten die Architekten dem historischen Gebäude auf beiden Seiten des Treppenhausrisalits jeweils in der Mittelachse einen Balkon aus Stahl vor, der konstruktiv mit der Holzbalkendecke verbunden ist und mit seinem dunklen Braunton die farbliche Anbindung an den Backstein findet. Diese Balkone liegen vor vier Fensterachsen der Wohnungen und bieten mit rund 20 m² eine beinahe luxuriöse Größe. Für optimale Zugänglichkeit wurden die alten Fensteröffnungen zu -türen vergrößert. Neben der Erschließung des Balkons wird auf diese Weise außerdem die Belichtung der Wohnungen deutlich verbessert. Vom historischen Fensterbestand des Hauses konnten ohnehin lediglich zwei Kastenfenster als Belege erhalten werden, energetisch optimiert durch Isolierverglasungen.

Im 2. OG verbot es sich, die gleiche Lösung wie in der darunterliegenden Etage zu wählen. Zum einen wäre dadurch der umlaufende und historisch wertvolle Zierfries gestört worden, zum anderen wären die Proportionen des Hauses ins Ungleichgewicht geraten. Stattdessen fiel die unkonventionelle Entscheidung, die beiden Wohnungen als Maisonette bis ins DG weiterzuführen. Dadurch entstanden im komplett erneuerten Dachraum an der sonnigen Gebäuderückseite großzügige Terrassen, die über einen »Atelierraum« an die Wohnungen angebunden sind. Mit ihrem Holzbodenbelag und den grau gefassten Wänden bilden sie einen großzügigen Außenraum mit Blick über das Gelände der ehemaligen Arrestanstalt bis zum Rummelsburger See.

Einen beachtenswerten Ansatz hält schließlich die einzige reine Dachgeschosswohnung bereit: Sie ist um einen L- förmigen, nahezu komplett introvertierten, Außenraum organisiert. Lediglich ein schmaler Terrassenstreifen führt bis an die Dachkante heran, der in einer Achse mit dem historischen Wachturm liegt. Nur vom »Himmel über Berlin« aus einsehbar, ist eine noch privatere Dachterrasse kaum vorstellbar. Großzügige Glasflächen, grau verputzte Wände und der Holzboden vervollständigen den besonderen Charakter dieses patioartigen Außenraums.

Geschichtsfragmente

Nicht zuletzt aufgrund des langen Leerstands ist im Innern des Kaiserlichen Arbeitshauses heute nur noch wenig ursprüngliche Bausubstanz vorhanden. Am dauerhaftesten erwiesen sich die Granitstufen und Solnhofener Platten im Treppenhaus, die als Nutzungs- und Zeitzeugen mit ihren Gebrauchsspuren und Beschädigungen erhalten blieben. Original ist auch das Treppengeländer, zwischen dessen hölzerne Baluster allerdings – aufgrund allmählich ins Unsinnige ausufernder deutscher Sicherheitsvorschriften – zusätzliche Stäbe eingefügt werden mussten. Im EG ist es den Architekten gelungen, den bauzeitlichen Dielenboden zu bewahren und aufzuarbeiten.

Die Wohnungsgrundrisse des einstigen Verwaltungsgebäudes wurden in enger Abstimmung mit den Eigentümern ausgeführt. Wenn möglich, hinterließen die Architekten aber auch dort ihre Gestaltungspuren, etwa durch die Zweitverwendung alter Zimmertüren aus anderen Gebäuden.

Mit der Umnutzung des Kaiserlichen Arbeitshauses haben AFF ein denkmalgerechtes Konzept verwirklicht, das die sieben neuen Wohnungen um qualitätvolle und bemerkenswert differenziert gestaltete Außenräume ergänzt – deutlich jenseits der üblicherweise lieblos »vorgeknallten« Balkonkonstruktionen aus Stahl. Die sich besonders aus der Fernsicht abzeichnende Dachskulptur mit den beiden negativen Ecken und dem mittigen Einschnitt ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Und auch wenn man sich vielleicht wünschen würde, das Dach hinterließe einen einheitlicheren – monolithischeren – optischen Gesamteindruck, so überzeugt die gefundene Lösung sowohl in ihrer Nutzung als auch in der zugrunde liegenden Idee. Den »AFF-Clou« aber liefern die beiden neu eingefügten Gartenhausriegel, die einen reizvollen Kontrapart zum Altbau bilden und sich als ästhetischer und räumlicher Gewinn für das Kaiserliche Arbeitshaus erweisen.