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Bauwelt 9.07
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zur Zeitschrift: Bauwelt

Zerstörung der Gemütlichkeit?

23. Februar 2007 - Ursula Baus
Die Frage nach der Gemütlichkeit ist zweifellos von kulturpolitisch höchstem Rang. Wie umgeben sich zum Beispiel unsere Politpromis? Wohnt Angela M. in einem Ambiente von Plaste und Elaste oder inzwischen im Gelsenkirchener Barock? Setzt Frank Walter S. morgens seine Zehen vor dem Bett auf einen hochflorigen Flokati und dann im Badezimmer auf ei­nen bunten Flickerlteppich? Oder lieben beide cooles Design mit höchsten Hygieneansprüchen? Richtig, das Thema grenzt an Indiskretion, denn dem äußeren Erscheinungsbild eines Hauses mögen Jacken, Mäntel und Hosen entsprechen, seinem Inneren aber die hautnahe Unterwäsche. Einem Architekten kann ein Kritiker kein schlimmeres Urteil zumuten als: „Sie haben aber ein gemütliches Haus gebaut!“ Gemütlichkeit ist andererseits ein Labsal für die gestressten Mitglieder der Gesellschaft. Das Vitra Design Museum lockt mit dem Ausstellungstitel „Zerstörung der Gemütlichkeit?“ nach Weil am Rhein und trifft damit sicher den Nerv der Zeit, denn ob die Gemütlichkeit zerstört worden ist, und wenn ja, wie, das wüssten wir doch gern.

1927 stellte Willi Baumeisters Plakat zur Werkbund-Ausstellung am Stuttgarter Weißenhof provokant dar, wie schwer der Verdruss über das konventionelle Wohnen auf den Gestaltern lastete: Ritzerot ist ein Interieur mit Teppichen und Deckchen und Polstersesseln und pompös gerahmten Bildchen durchgekreuzt – und suggestiv die Frage ins Bild gefügt: „Wie wohnen?“ Das Thema wird jetzt in Weil anhand der sechzehn wichtigsten programmatischen Ausstellungen des 20. Jahrhunderts aufgerollt: Von der Mathildenhöhen-Ausstellung 1901 in Darmstadt geht es zur Kunstschau von 1908 in Wien, zum Wohnmöbelwettbewerb am MoMA im Jahr 1941, nach Detroit zur Ausstellung „For Modern Living“ 1949 und zu Max Bills fulminanter Schau „Die gute Form“. In den 50er Jahren präsentierte die Mailänder Triennale das nüchterne „Good Design“ skandinavischen Ursprungs, das seine Popularität einer Wanderausstellung durch die USA verdankt. Ende der 60er Jahre lancierte das Chemieunternehmen Bayer auf der Kölner Möbelmesse die Leistungsfähigkeit der Kunststoffe im Möbelbau, Verner Panton und Joe Colombo präsentierten ihre Wohnfantasien ausgerechnet auf einem rheinischen Ausflugsschiff – wo es allenthalben gemütlich zugehen soll. Einen Sturm im Wasserglas verursachten 1981 die italienischen Memphis-Designer mit mehr oder weniger tauglichem Kram aus bunten, schrill ornamentierten Kunststoffen, während die trashigen Gegenstände der späten Achtziger in Deutschland irritierten.

Begann kurz darauf der ganze Starzirkus mit Philipp Starck, Mattheo Thun und vielen anderen, brach sich ein ideologisch nicht mehr beherrschbarer Pluralismus Bahn: Jeder wohne nach seiner Façon, womit wir wieder in der Gegenwart von Angela M. und Frank Walter S. angekommen sind, die, wie alle andern auch, geschmacksmoralisch nicht belangt werden dürfen.

Die Kuratoren des Vitra Design Museums sind leider selten vom Möbel zum Interieur gesprungen, denn die Wohnatmosphären, die zu den sechzehn Etappen gehören, sind bis auf zwei kaum inszeniert: Spürbar wird in der Ecke des Hauptraums, wie kuschelig es in den 60er Jahren in farbenfrohen Plüschszenarien mit geschwungenen, sinnlichen Formen zuging. At­mosphäre gibt auch im Obergeschoss ein komplett aufgebautes Holzzimmer von Jasper Morrison aus dem Jahr 1988 wieder. Dazwischen bleibt es bei einer – natürlich allemal sehenswerten – Darstellung der Geschichte des Wohnmöbels im 20. Jahrhundert, zusammengestellt aus den Beständen der eigenen (Vitra-)Sammlung. Wachsende Zweifel daran, ob die letzten hundert Jahre die Gemütlichkeit wirklich zerstört haben, fängt der Ausstellungstitel immerhin in einem dezenten Fragezeichen auf.

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