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zur Zeitschrift: Bauwelt

Portfolio City Leipzig

Die Zukunft des umkämpften Areals am Leipziger Brühl aus den späten sechziger Jahren ist entschieden. Im Laufe der mehrjährigen Debatte war das Ensemble zu einem Bollwerk gegen die innerstädtische Kulissenarchitektur und zum Synonym der Auseinandersetzung mit einer neuen Architektengeneration geworden. Die drei Wohnscheiben – zuletzt mit einer kindlichen Totalbemalung verhängt – werden für eine Kaufhaus-Mall mit draufgesattelter Zusatznutzung gesprengt. Am 7. Februar stimmte der Leipziger Stadtrat für den Verkauf an die Essener mfi AG.

23. Februar 2007 - Stefan Rettich
Der Liebe wegen sei sie nach Leipzig gekommen. Das gab die Stadtplanerin Karin Hiort, Frau des damaligen Baudezernen­ten Engelbert Lütke Daldrup, als Motiv an, als sie 2005 anlässlich des Kunstprojektes „Heimat Moderne“ zusammen mit 40 anderen prominenten Wahlleipzigern danach befragt wurde. Vortragsort für diese Statements waren die zuvor entmieteten, zehngeschossigen Wohnscheiben am Leipziger Brühl (Heft 32.2003), die sich im Eigentum der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, der LWB mbH, befinden. Die Beteiligung des prominenten Paares an dem Kunstprojekt beruhigte viele junge Architekten, Künstler und Intellektuelle, die sich seit Jahren um die Akzeptanz und den Erhalt der sozialistischen Moderne im Stadtbild mühten. Ein Jahr später jedoch, zur Fußball-WM, wurden die Wohnscheiben – unter deutlichem Protest – mit grellbunten Tüchern verhängt, ein Zeichen ihrer endgültigen Funktionslosigkeit. Wie sich jetzt herausstellt, handelte es sich um eine Art Leichentücher. Der Leipziger Stadtrat hat am 7. Februar den Abriss der Häuser und an ihrer Stelle den Bau eines riesigen Einkaufszentrums beschlossen.

Der Fall ist exemplarisch. Am Brühl, der Wiege der Messe- und Handelsstadt, scheiden sich die Geister. Für viele stellt das moderne Ensemble aus den späten sechziger Jahren mit dem „Blechbüchse“ genannten Kaufhaus und den drei seriellen Wohnscheiben mit Einzelhandelsunterlagerung ein stadtbildprägendes Zeitzeugnis dar. Hinsichtlich Städtebau, Archi­tek­tur­sprache und Nutzung bricht es demonstrativ mit seinen Vorgängern, den im Zweiten Weltkrieg zerstörten historischen Handelshäusern jüdischer Pelz- und Tabakhändler. Den Stadtplanern, die nach der Wende die Geschicke der Stadt lenkten, war es immer ein Dorn im Auge. Leitbild für den Umbau der Innenstadt ist bis heute der historische Stadtgrundriss.

Über die Jahre hat sich am Brühl deshalb so etwas wie eine Demarkationslinie der Generationen gebildet. Ebenso wie die älteren Planer in ihrer Jugend für den Erhalt von gründerzeitli­cher Altbausubstanz gestritten haben, wollen sich die Jüngeren das Stadtbild moderner Architektur, mit dem sie aufgewachsen sind, nicht nehmen lassen. Für sie ist die Brühlbebauung zu einem Bollwerk gegen die neue Gemütlichkeit geworden, die sich seit der Wende in der City breitmacht und am deutlichsten an der Kulissenarchitektur der Marktgalerie von Christoph Mäckler sichtbar wird.

Nicht weniger schwer als der Streit um das Stadtbild wiegt der Streit um die geplante funktionale Neuordnung. In diesem Fall hält die Stadt alle Fäden in der Hand: Sie verfügt sowohl über die Planungshoheit als auch über die Grundstücke, die sich im Besitz der kommunalen Tochter LWB befinden. Mitte der neunziger Jahre wurde für die gesamte Innenstadt ein Bebauungsplan beschlossen. Er hatte unter anderem einen umfassenden Bestandsschutz des Wohnens zum Ziel. Hintergrund dafür waren der rasante Strukturwandel in der City und die Erfahrungen westdeutscher Städte mit einer bauspekulativen Verdrängung der Wohnnutzung aus ihren Zentren. Auf dieser Grundlage führte die LWB 1999 eine Städtebauwerkstatt für das Brühlareal durch, aus der Otto Steidle als Sieger hervor­ging. Sein Konzept sah die Sanierung der Wohnscheiben so­wie eine neue größere Sockelzone vor.

Zu Gunsten des jetzt geplanten Verkaufs wurde das Konzept später aufgegeben und – hier liegt der eigentliche Skandal – das Planungsrecht so modifiziert, dass die Steigerung der Gewinnmargen für das Filetgrundstück die mit Abstand höchste Priorität genießt. Im April 2003 beschloss der Stadtrat die Aufstellung eines neuen B-Planes. Neben dem Abriss der Wohnscheiben ist nun der Bau eines Einkaufszentrums mit bis zu 25.000 Quadratmeter Verkaufsfläche vorgesehen. Als Wohnraumersatz genügen 20% der Flächen, die zudem an anderer Stelle oder als Sonderwohnformen wie Hotels nachgewiesen werden können. Auf Basis der neuen Rechtsgrundlage war es der LWB möglich, ein lukratives Portfolio-Paket zu schnüren. Sechs Konsortien wurden Ende 2006 aufgefordert, sich an ei­nem Investorenbieterverfahren zu beteiligen, nur vier haben schließlich angeboten, weil die mitbietende mfi AG aus Essen vorsorglich die leer stehende „Blechbüchse“ von der KarstadtQuelle AG zu einem überhöhten Preis gekauft hatte, um den anderen das Spiel zu verderben.

Schließlich bot die mfi AG mit 35 Millionen Euro für das Grund­stück mit Abstand am meisten – 10 Millionen Euro mehr als von der LWB erhofft – und soll mit diesem Angebot jetzt den Zuschlag erhalten. Für die LWB, die mehr als eine Milliarde Euro Schulden hat und verständlicherweise um einen Konsolidierungskurs bemüht ist, bedeutet der Deal eine mehrfache Entlastung. Das Unternehmen erhält 1,2 Millionen Fördermittel für den Abriss, reduziert seine Altschulden beim Bund und erhält den Kaufpreis für das Grundstück obendrauf.

Welche Interessen aber vertritt die Stadt? Mit der Genehmigung des größten innerstädtischen Einkaufszentrums, das im Verbund mit der „Blechbüchse“ bis zu 37.000 Quadratmeter und damit doppelt so viel Verkaufsfläche wie der zum Konsumtempel umgebaute Hauptbahnhof umfasst, spekuliert sie vor allem gegen sich selbst. Sie reduziert sozialverträglichen Wohnraum an der falschen Stelle und leistet einer Verdrängung unter den Händlern Vorschub, die je nach Gutachten zwischen 7% und 19% liegt. Vor allem bleibt die Stadt eine schlüssige städtebauliche Konzeption schuldig, wie ein Einkaufszentrum dieser Größenordnung stadtverträglich integriert werden kann. Der mfi AG schwebt eine nach innen gerichtete Mall vor, mit Parkhausspindel in der „Blechbüchse“ und Wohnungsbau als Beiwerk. Ein zweiphasiger Wettbewerb soll es richten, in der zweiten Phase kooperativ, also nicht anonym – damit der Investor am Ende nicht noch eine Überraschung erlebt. Das Leipziger Beispiel zeigt im Kleinen, was sich in Dresden im großen Maßstab durch den Verkauf der Woba im zurückliegenden Jahr abgezeichnet hat. Die finanzschwachen Ostkommunen geraten zunehmend unter den Einfluss des globalen Kapitalmarktes, der Projektentwicklung ausschließlich unter dem Aspekt von Investment und Rendite betrachtet.

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