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Budynek Seksmisji

Fertigungshalle in Słubice: BeL Architekten

23. Februar 2007 - Ilka Ruby, Andreas Ruby
Das Produktionsgebäude für die Firma Fraba im polnischen Słubice ist der erste große Neubau des Kölner Architekturbüros BeL von Anne-Julchen Bernhardt und Jörg Leeser. Der Bau basiert auf einem ambitionierten Entwurfskonzept, das auch als eine Art Kampfansage an die unumstößlichen Gesetze des Gewerbebaus zu verstehen ist. Es zeigt, dass ein Industriebau sehr wohl auf die spezifischen Bedürfnisse seines Programms und auf die Bedingungen seines Kontextes zugeschnitten werden kann, ohne dabei den eng gesteckten ökonomischen Rahmen dieser Bauaufgabe zu überschreiten. Die Fertigungshalle bietet komplette Wärmedämmung, Klimaanlage und Tageslichtdecke und ist dennoch mit 580 Euro pro Quadratmeter reiner Baukosten sehr kostengünstig errichtet worden.
Beauftragt wurde das Projekt von der Kölner Firma Fraba, einem Hersteller von Sensoren für die Automatisierungsindustrie. Zum Bauherrn wurde die Firma, weil sie ihre bisherige Produktionsweise umstellen wollte. Nachdem Produktion und Produktentwicklung jahrelang am Standort in Köln angesiedelt waren, sollen sie von nun an räumlich getrennt werden und unabhängig voneinander operieren. Während die Produkt­entwicklung in Köln verbleibt, wird die Produktion in Zukunft an verschiedene internationale Standorte ausgelagert. Das Gebäude in Słubice stellt einen Prototyp dar, der bei Erfolg auch andernorts gebaut werden soll. Es ist für maximal 100 Mitarbeiter ausgelegt. Wird diese Grenze überschritten, wird kein Anbau vorgenommen, sondern ein neues Gebäude desselben Typs errichtet.
Für die Architekten ging es darum, nicht nur ein einzelnes Gebäude zu entwerfen, sondern gleichzeitig auch die Grundlagen des architektonischen Erscheinungsbildes der Firma zu definieren. Diese Aufgabe wurde mit einer Strategie bewältigt, die für die Entwurfsauffassung des Büros charakteristisch ist: einem unmittelbaren „Wörtlich-Nehmen“ der konkreten Rahmenbedingungen und ihrer Anforderungen. In Słubice waren das zunächst einmal die Grundprinzipien von Frabas Firmenphilosophie – Hierarchielosigkeit, Transparenz und Flexibilität, die sich direkt auf den Arbeitsalltag auswirken. So sind Produktion und Verwaltung nicht voneinander getrennt, Arbeitsplätze nicht personell zugeordnet, sondern frei wählbar. Entscheidungen werden nicht aufgrund abgestuf­ter Positionen, sondern auf Basis der jeweiligen Kompetenz der Mitarbeiter und deren Erfahrung getroffen. Jeder von ih­nen soll in der Lage sein, andere in Aufgaben einzuweisen und selbst wiederum neue Aufgaben zu übernehmen. Die interne Kommunikation ist dementsprechend transparent. Die Firma bietet zudem den Mitarbeitern Zugang zu allen Geschäftsinformationen und macht jede Entscheidung sofort öffentlich.

Keine Hierarchien

Das Entwurfskonzept setzt diese Unternehmensprinzipien so konsequent um, dass aus der (Über-)Erfüllung der Vorgaben eine eigene Qualität entsteht. Das fängt bei der Wahl des kreisförmigen Grundrisses an. Ohne Ecken scheint der Raum unbegrenzt zu sein, ein Eindruck, der durch das richtungslose Dachtragwerk aus 6 Zentimeter schmalen und 60 Zentimeter hohen Brettschichtholzträgern verstärkt wird. Sein dreieckiges Stützenraster erlaubt ein Maximum an unterschiedlichen Grundrisskonfigurationen – mehr und dichter als ein orthogonales Raster. Eine Versorgungsstruktur mit Lüftung, Elektro- und Internetanschlüssen und Leuchten ist von der Decke abgehangen, so dass Arbeitsplätze überall im Raum aufgestellt werden können. Um den Raum möglichst gleichmäßig mit Tageslicht zu versorgen, haben die Architekten mit einer Ausnahme im Sozialbereich auf Fenster in der Fassade verzichtet. Die Halle wird so über vorgefertigte Lichtkuppeln aus Polycarbonat belichtet, die mit einem Flächenanteil von 14 Prozent gleichmäßig über das Dach verteilt sind. Der Grundriss ist an jeder Stelle flexibel und immer wieder neu konfigurierbar. Dennoch ist es weniger die klassische Vorstellung des „generic plan“ der Moderne, die für diesen Raum Pate gestanden hat, eher wird man an die endlos gerasterten Landschaften der „architettura radicale“ erinnert, die den „generic plan“ über den Maßstab der Architektur hinaus extrapolieren wollten. Eine andere Referenz könnte Archizooms Vorstellung von Architektur als von einem richtungslosen Behältnis sein: mit einem Minimum an permanenter Infrastruktur auskommen, um ei­nem Maximum an sporadischen Nutzungen Raum zu bieten.
Im Interesse der Hierarchielosigkeit, Transparenz und Flexibilität sind alle Bestandteile des Programms in ein und demselben Großraum verteilt, der so überschaubar wie möglich ist. Die einzigen Räume, die abgetrennt sein müssen – Duschen, WCs, Stillraum –, sind als kleine Zylinder in den großen Zylinder der Halle eingestellt. Die Küche des Sozialbereichs sowie die Umkleidespinde und Schließfächer sind in die Außenwände dieser runden Räume integriert, was angesichts der polnischen Arbeitsstättenverordnung schwierig umzusetzen war. Diese erlaubt Umkleidebereiche prinzipiell nur in geschlossenen Räumen, was sich offensichtlich noch auf die Zeit zurückführen lässt, in der gewerbliche Arbeit per se schmutzig war und deshalb geschlossene Hygieneschleusen erforderte, ganz nach dem Vorbild der Waschkaue: Die Arbeiter kommen schmutzig aus der Fabrik, hängen ihre Kluft an den Haken, ziehen sie hoch, duschen sich, während der Raum ausgespritzt wird, und verlassen die Kaue in sauberem Zustand.
Bei der Fertigung der Sensoren der Firma Fraba ist es nahezu umgekehrt: Umkleiden heißt, seine Jacke in ein Spind hängen, ein blaues Sweatshirt überziehen und das normale Schuhwerk durch leitende Spezialschuhe austauschen, die den Körperstrom in den graphithaltigen Epoxydboden ableiten, damit die hochempfindlichen Produkte nicht beschädigt werden. Die Fraba-Produktion verlangt nach einer unbedingten Sauberkeit, so dass der ursprüngliche Wunsch der Architekten nach einer natürlichen Belüftung nicht realisierbar war, weil über die normale Außenluft zu viel Schmutzpartikel in den Produktionsbereich gekommen wären. Eine Klimaanlage war unvermeidlich; die Halle ist zwar kein Reinraum, aber sie ist staubfrei. Allein aus diesem Grund musste auch der Bereich Verpackung von der Produktion getrennt werden, da Papier und Karton Staub mit sich führen. Die notwendige Trennung wurde so minimal wie möglich gestaltet, indem man einen transparenten PVC-Vorhang frei unter die Decke hängte.

Farbe Weiß

Die funktionelle Notwendigkeit der Sauberkeit wurde von den Architekten durch die einheitliche Farbgebung noch überhöht. Es ist wirklich alles weiß, selbst der Fußboden, was einerseits die Sauberkeit repräsentiert, sie andererseits aber auch einfordert. Den vorhersehbaren Einwand, der Boden sei doch zu schmutzanfällig, begegnen die Architekten mit dem konträren Argument: der Boden ist weiß, damit man den Dreck sieht, weil man ihn dann auch entfernen kann.
Die Verfremdung im Vergleich zu herkömmlichen Produktionshallen ist unübersehbar, der Raum hat eine federleichte, fast festlich zu bezeichnende Aura. Auch von außen wurde alles getan, die ästhetischen Insignien des Gewerbebaus zu unterlaufen. Statt mit dem üblichen Trapezblech ist die Fassade mit aluminiumkaschierten Bitumenbahnen verkleidet. Vor allem bei Nacht, wenn das Gebäude von den rundum platzierten Bodenscheinwerfern gleißend hell angestrahlt wird, verwandelt sich Fraba in ein rätselhaftes Gebilde, dem man seine Funktion nicht ansieht. Das Licht ist so stark, dass die Reflexion an der metallenen Haut ausreicht, um den Parkplatz zu beleuchten.
Die Mitarbeiter identifizieren sich mit der besonderen Architektur. In Anspielung auf die durchgehend weißen Interieurs des 1983 gedrehten polnischen Science-Fiction-Kultfilms „Seksmisja“ (Sex Mission) von Juliusz Machulski kursiert längst ein Spitzname: Sex Mission building. Der Bauherr beschreibt den Innenraum – und das dürfte für einen Indus­triebau erstaunlich sein – als den entscheidenden Mehrwert der Architektur für das Unternehmen. Die Corporate Colour ist inzwischen ein reines Weiß.

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Für den Beitrag verantwortlich: Bauwelt

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