Akteur

Hugo Häring
* 1882 Biberach an der Riß 1958 Göppingen

Neues Raumgefühl durch Kuhperspektive

Der Architekt Hugo Häring in einer Berliner Ausstellung

17. Juli 2001 - Claudia Schwartz
In den zwanziger Jahren gehörte Hugo Häring (1882-1958) neben Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Martin Wagner, Bruno Taut und Hans Scharoun zur Avantgarde der deutschen Architekten und blieb unter ihnen doch der grosse Unbekannte. Der gebürtige Schwabe liess sich 1921 in Berlin nieder, wo er in der Folge an einer Reihe von wichtigen Projekten beteiligt war. Unter anderem schuf er neben Bruno Taut und Rudolf von Salvisberg einen Abschnitt der Waldsiedlung «Onkel Toms Hütte» (Berlin-Zehlendorf, 1926-31), die zum berühmten Beispiel eines im Stil der Neuen Sachlichkeit gehaltenen sozialen Siedlungsbaus wurde.

Theoretiker und moderner Mitstreiter
Häring begründete mit Mies und anderen die Architektenvereinigung «Der Ring», eine Art Sezession deutscher Architekten, die der modernen Bewegung im Land zu einem gemeinsamen Auftritt des «neuen Bauens» verhelfen wollte. Häring nahm an den massgeblichen städtebaulichen Diskussionen im Berlin der zwanziger Jahre teil. Sein bestechender, expressionistisch angehauchter Wettbewerbsentwurf für ein Hochhaus an der Friedrichstrasse (1922) gibt vielleicht am schönsten seine Vorstellung eines bewegten, irrational aus sich heraus entwickelten Raumes wieder; der Entwurf blieb unrealisiert. Häring war zeitlebens auch Theoretiker. Obschon er sein Hauptwerk, «Die Ausbildung des Geistes zur Arbeit an der Gestalt», nie publizieren konnte, war er mit der ästhetischen und architektonischen Diskussion seiner Zeit eng verbunden. Im Gegensatz zum künstlerischen Stilwillen seines Kollegen Peter Behrens forderte er die Zurücknahme der individuellen Handschrift beim Entwurf und propagierte eine Berücksichtigung der unterschiedlichsten Gestaltungskräfte. Darin liegt wohl auch der Grund für die schwer zu erfassende Heterogenität von Härings Werk.

Es ist das Verdienst einer Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin, Leben und Werk des Architekten in sorgfältiger Aufarbeitung des umfassenden Nachlasses vorzustellen und die historischen Bezüge herauszuarbeiten. Die Schau folgt wie ihr etwas nüchterner Titel «Hugo Häring - Architekt des Neuen Bauens» dem streng klassischen Aufbau einer Werkmonographie. Sie geht aus von den ästhetischen Vorbildern des Architekten, die den dynamisierten Begriff des Raums zum Thema machten: Auguste Rodins Plastik oder Ewald Matarés Biomorphismus. Dabei erschliesst die kritische Aufarbeitung nicht nur die spezifisch romantischen Wurzeln der Moderne in Deutschland. Sie macht auch die Problematik einer Überhöhung von Begriffen wie «organisch», «Volk» und «Rasse» deutlich, mit denen die Kunsttheorie jener Zeit auch arbeitete.

Häring setzte Le Corbusiers und Gropius' «Wohnmaschine» und der weissen Geometrie der klassischen Moderne seine Idee des organischen Bauens entgegen, wobei er erklärtermassen «gegen das Prinzip Le Corbusier», nicht aber «gegen Le Corbusier» war. Das entspricht der heutigen Rezeption, der sich im Vergleich von «organhaftem Bauen» des einen mit der «architecture moderne» des anderen am Ende mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze aufdrängen. So finden beide Richtungen ihren Antrieb im Bestreben, jenseits der historisierenden Architektur des 19. Jahrhunderts ein eigenes Gestaltungsprinzip zu schaffen. Auch bauten sie beide auf die Funktion. Hinsichtlich ihrer ästhetischen Werte lagen sie freilich in unversöhnlichem Wettstreit.

Die beste Form im Stall
Häring suchte einen Weg, wenn man so will, zurück zur Natur: Sie sollte den Bauten ähnlich wie Pflanzen ihre Form zuweisen. Die Kunst musste sich umgekehrt in der Natur ihren Raum schaffen. So mystisch dieses baukünstlerische Bestreben klingt, so funktionalistisch gab es sich in der konkreten Umsetzung. Härings architektonisches Meisterwerk, die Gutsanlage Garkau (1922-1926) in Ostholstein, bettet sich harmonisch in die Landschaft ein und verbindet die Silos in perfekter Automatisierung mit dem Stall, so dass das Futter den Kühen von oben direkt vor die Nase serviert wurde. Wobei das Stallgebäude mit auskragenden Stützen und geschwungenen Decken in seiner Konstruktion tatsächlich organhaft anmutet, wie eine vermutlich El Lissitzky zuzuschreibende Fotomontage (1927) in Nachempfindung der Kuhperspektive zeigt. In einer Hommage an den berühmten Stall hängen in der Akademie der Künste Skizzen und Zeichnungen aufgespannt in schwebenden, im geselligen Gegenüber angeordneten Eisenkonstruktionen.

Häring entzerrte den Grundriss vom traditionellen Achsenraster und liess die Räume wuchern wie die Kartoffeln an einer Staude. Vom strengen Dreieck der Dachkonstruktion hielt er nichts und gestattete ihr ein Eigenleben in der Biegung der Form. Allerdings blieb der Verfechter der fliessenden Gestalt am Ende mehr der Tradition verhaftet als seine Zeitgenossen, die ihn mit kompromissloseren und radikaleren Ausführungen am Ende überflügelten. Das mag ein Grund dafür sein, warum Scharouns Berliner Philharmonie als Inbegriff des organischen Bauens ins allgemeine Bewusstsein eingegangen ist, während Härings Gut Garkau nur Kennern der Architekturgeschichte ein Begriff ist. Die sonst vorbildliche Schau zitiert zwar Scharouns Philharmonie herbei, den eingehenderen Vergleich bleibt sie allerdings schuldig.


[Bis 5. August. Zur Ausstellung erscheint im Juli ein Katalog mit kritischem Werkverzeichnis. Matthias Schirren: Hugo Häring. Architekt des Neuen Bauens. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2001. 352 S. Fr. 133.- (in der Ausstellung DM 65.-).]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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