Akteur

Gottfried Böhm
Köln (D)

Rosen aus Beton

Heute, Samstag, feiert der Kölner Architekt und Pritzker-Preis-Träger Gottfried Böhm seinen 90. Geburtstag. Gespräch mit einem der wichtigsten Bildhauer der deutschen Nachkriegsstadt.

23. Januar 2010 - Wojciech Czaja
Standard: 90 Jahre alt und immer noch berufstätig. Denken Sie je an den Ruhestand?

Böhm: Ruhestand? Um Gottes willen! Natürlich sehe ich, dass ich heute langsamer arbeite als damals in jungen Jahren. Aber ich beherrsche mein Tätigkeitsfeld immer noch ganz gut, und die Arbeit macht mir Spaß. Was soll ich denn sonst machen?

Standard: Woran arbeiten Sie gerade?

Böhm: An Glockentürmen, Kirchen und Kapellen. So wie die meiste Zeit. In Neuweiler im Schwarzwald wird gerade ein Glockenturm fertig, ein anderer entsteht demnächst in Ulm. Und in Neviges, wo ich 1964 den Mariendom fertiggestellt hatte, soll direkt an die Kirche eine Kapelle angebaut werden. Das Problem ist, dass der Innenraum wegen der vielen Opferkerzen total verrußt ist. Nun sollen die Kerzen in einen eigenen Anbau übersiedeln. Eine spannende Aufgabe. Wo sonst hat man schon die Möglichkeit, an ein eigenes Bauwerk, das mehr als 40 Jahre zurückliegt, anzudocken?

Standard: Sie haben schon viele Kirchen gebaut.

Böhm: Sehr viele. Nach dem Krieg war ich bei Rudolf Schwarz bei der Wiederaufbaugesellschaft tätig. Allein bis 1959, also bis zum Abschluss der Wiederaufbauarbeiten, habe ich 39 Kirchenprojekte abgewickelt. Eines der spannendsten Bauprojekte der heutigen Zeit ist die Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld, bei der mein Sohn Paul namensgebend involviert ist.

Standard: Das Projekt wurde im Vorfeld stark politisiert.

Böhm: Das eine ist die Architekturdebatte, das andere ist die Politik. Schon seit einiger Zeit beobachte ich das Phänomen, dass diese beiden Komponenten bei stark medialisierten Projekten nichts miteinander zu tun haben. Ganz allgemein möchte ich festhalten, dass in Sakralbauten die Architektur dazu anregen soll, über das Höhere auf dieser Welt nachzudenken. Ganz gleich, ob man nun Moslem ist oder Christ. Im Geistigen sind sich die Religionen schließlich sehr ähnlich.

Standard: Woher kommt die Faszination für Sakralbauten?

Böhm: Unabhängig von der Gläubigkeit nehmen Kirchen einen großen Stellenwert in der Stadt ein. In den Jahren nach dem Krieg sind die Leute sehr intensiv in die Kirche gegangen. Ich nehme an, der Gottesdienst war eine Art Hoffnungsträger für die Menschen. Heute ist der Kirchenneubau zum Erliegen gekommen. Mittlerweile sind wir in der Situation, dass wir uns sogar überlegen müssen, welche Nachnutzung für die aufgelösten und leerstehenden Kirchen infrage kommt. Das ist ein schwerwiegendes Problem.

Standard: Was schlagen Sie vor?

Böhm: Neue Funktionen! Es ist nicht zwangsläufig etwas Trauriges, wenn eine Kirche entweiht und einer Neunutzung zugeführt wird. Das ist mir immer noch lieber als ein leerstehendes Gotteshaus. Vor drei Jahren haben wir in Trier eine alte Kirche umgebaut. Sie dient nun als städtische Turn- und Veranstaltungshalle. Alle heiligen Zeiten wird dort eine Messe abgehalten. Das ist schön.

Standard: In vielen Städten werden Kirchen zu Diskotheken und Restaurants umfunktioniert. Ist das eine Option für Sie?

Böhm: Ein Restaurant ist definitiv Ausdruck von Kultur. Damit habe ich kein Problem. Bei einer Diskothek kommt es ganz allein darauf an, wie sie geführt wird.

Standard: Welche Bedeutung haben Kirche und Glauben für Sie?

Böhm: Ich habe einen starken, aber auch sehr kritischen Bezug zur Kirche. Ich kenne Papst Benedikt XVI. etwa noch aus seinen Kölner Zeiten. Und ich habe ihn damals als geistreichen und interessanten Menschen kennengelernt. Ich hätte mir gewünscht, dass er als Papst einen etwas frischeren Wind in die Kirche bringt. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. Leider. Sie fragen aber intime Sachen!

Standard: Zu intim?

Böhm: Was möchten Sie denn sonst noch alles wissen?

Standard: Sie sind mehr oder weniger in eine Architekturdynastie hineingeboren. Ihr Großvater leitete ein Baugeschäft, Ihr Vater war Architekt. Ein schweres Los?

Böhm: Ich wollte gar nicht Architekt werden. Mein Vater war damals so bedeutend, dass ich mir dachte: Das schaffe ich nie! Ich habe deshalb begonnen, Bildhauerei zu studieren. Ab und zu habe ich aus Interesse die eine oder andere Architekturvorlesung besucht. Das war sehr spannend. Und so fand ich mich irgendwann als Architekt wieder. Die Zusammenarbeit mit meinem Vater war sehr schön und intensiv. Es war eine tolle Erfahrung. Heute sind es meine Kinder, die diese Tradition fortsetzen. Ich habe vier Söhne, drei von ihnen sind Architekten.

Standard: Gleicher Beruf zwischen den Generationen. Knallt es da nicht oft?

Böhm: Natürlich gibt es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten. Aber eine gewisse Konkurrenz wirkt durchaus belebend. Sie muss ja nicht immer in Streit ausarten. Eigentlich bin ich sehr froh, dass meine Söhne längst schon einen eigenständigen Stil entwickelt haben.

Standard: Wie hat sich die Architektur, seitdem Sie im Berufsleben stehen, verändert?

Böhm: Als ich begonnen habe zu arbeiten, wurde der Großteil auf der Baustelle noch handwerklich ausgeführt. Vor allem beim Beton war das großartig. Das ist eine schön formbare Masse, die ihren ganz eigenen Reiz hat. Viele Entscheidungen wurden spontan und direkt vor Ort getroffen, mit all den Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten, die damit verbunden waren. Man könnte fast sagen, dass damals jedes einzelne Element ein Unikat war. Das ist heute längst nicht mehr Fall. Das Meiste ist industrialisiert und vorgefertigt.

Standard: Da klingt eine gewisse Kritik durch.

Böhm: Man muss sich darauf einstellen, dann funktioniert es auch. Der große Vorteil am zunehmenden Fertigbau ist, dass man viele Materialien heute viel günstiger verarbeiten kann.

Standard: Als einzigem deutschen Architekten wurde Ihnen 1986 der Pritzker-Preis verliehen. Warum gerade Gottfried Böhm?

Böhm: Ich nehme an, dass die Juroren meine Arbeit geschätzt haben. Ich habe das Gremium mit meinen Bauwerken beeindruckt. Ich hätte niemals damit gerechnet! Die Überraschung war also sehr groß. Pritzker-Preis! Tolle Sache. Aber auch schwierig.

Standard: Inwiefern?

Böhm: Die Erwartungshaltung des Publikums und der Medien steigt enorm. Man muss sich schon ziemlich anstrengen. Gleichzeitig besteht die Gefahr überzuschnappen, überheblich zu werden und sich plötzlich einzubilden, der beste Architekt der Welt zu sein. Das ist natürlich unsinnig.

Standard: Und? Sind Sie übergeschnappt?

Böhm: Ich habe mich bemüht, das nicht zu tun. Gleichzeitig bin ich davon ausgegangen, dass ich von nun an leichter zu Aufträgen kommen würde. Dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt. Ich musste mich weiterhin mittels Wettbewerben über Wasser halten. Die erhofften Direktaufträge sind ausgeblieben. Ich nehme an, dass die Leute vor einem Pritzker-Preisträger viel zu viel Angst haben.

Standard: Und wie ist es heute?

Böhm: Es ist verdammt schwierig. Manchmal passiert es, dass ich mit meinen Söhnen einen Wettbewerb nach dem anderen zeichne und wir durch die Bank einen nach dem anderen verlieren. So ein Verlust ist nicht leicht wegzustecken. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist das bitter. Ich habe auf der Uni einmal einen Vortrag gehalten. Der hatte den Titel „Böhms gesammelte Durchfälle“. Es ist beeindruckend, wie viel man plötzlich zu sagen hat! Für die Studentinnen und Studenten war das lustig. Sie hören ja nicht oft, dass Architekten über ihre Misserfolge reden. Aber das gehört zu diesem Beruf nun mal dazu. Das kann man nicht ändern.

Standard: Woher schöpfen Sie Ihre Kraft, um nach einem Misserfolg wieder aufzustehen?

Böhm: Woher ich die Energie für meine Arbeit nehme? Aus dem Gespräch mit meinen Mitarbeitern, mit meiner Frau Elisabeth und mit meinen Söhnen. Aber ganz ehrlich: Ich mache heute nur noch kleinere Projekt selbstständig. Größere Bauaufgaben wie etwa die Kölner Ditib-Moschee wickle ich nur noch im Hintergrund ab.

Standard: Ihr ganz persönliches Markenzeichen ist die Rose. Sie kommt in Ihren Projekten in jeder erdenklichen Form vor. Warum ausgerechnet eine Rose?

Böhm: Ich finde Rosen sehr schön. Ich weiß, dass Sie diese Antwort nicht wirklich zufriedenstellen wird. Daher werden Sie mich jetzt fragen, warum ich Rosen schön finde. Und ich werde ihnen antworten: Ganz einfach, weil Rosen schön sind.

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