Akteur

Wolf D. Prix
Coop Himmelb(l)au - Wien (A)

„Alles ist so ernst geworden“

Am 13. Dezember feiert Wolf Prix seinen 80. Geburtstag. Dem ΔTANDARDerzählt er, wofür er heute brennt, warum er es für blödsinnig hält, die Bauwirtschaft als CO2 -Sünderin hinzustellen, und wie es ist, für Autokraten zu bauen.

10. Dezember 2022 - Wojciech Czaja, Maik Novotny
STANDARD: In Ihren jungen Jahren haben Sie gesagt: „Architektur muss brennen.“ Muss sie das, wenn man 80 ist, immer noch?

Prix: Freilich! Die meisten glauben, dass wir wirklich Feuer legen wollen, aber das wollen wir natürlich nicht. Im übertragenen Sinne muss Architektur aber auf jeden Fall Emotionen erzeugen.

STANDARD: Was wurde aus den „jungen Wilden“, wie Sie sich damals genannt haben? Wird man zu einem alten Wilden? Oder doch zu einem jungen Gemäßigten?

Prix: Heute bin ich gelassener. Ich ärgere mich nicht mehr über unsere Fehler und die Fehler der anderen, sondern ich ärgere mich gar nicht mehr, ich lache gerne. Allerdings wurde früher mehr gelacht, die Architekten waren lustiger und frecher, die Medien waren provokant, die Gesellschaft war offener. In den letzten Jahren ist alles ernst geworden, man versteht keinen Spaß mehr. Vielleicht liegt das auch an den Architektenverträgen, die immer dicker und umfangreicher werden.

STANDARD: Die Rolling Stones galten früher als Rebellen, heute füllen sie Stadien für die ganze Familie. Auch Sie waren ein frecher Rebell, heute bauen Sie für Zentralbanken und Regierungen. Sehen Sie hier Parallelen?

Prix: Kann sein, dass es hier tatsächlich Parallelen gibt. Auch die Karriere eines bauenden Architekten wandelt sich mit der Zeit. Stellen Sie sich vor, ich würde heute das Gleiche planen wie 1968, als wir mit unseren Gedankenräumen eine neue Lebensweise wecken wollten. Das ist heute unvorstellbar! Beim Bauen und Realisieren und mit dem Älterwerden geht man mit der Kraft ökonomischer um. Um diese Erfahrung kommt man nicht herum.

STANDARD: Gemeinsam mit Ihren Zeitgenossen – mit Zünd-Up, Missing Link und Haus-Rucker-Co – haben Sie in den 1960er-Jahren an der Verbesserung der Welt gearbeitet. Was wurde aus den damaligen Visionen?

Prix: Ich sage gerne, dass wir verloren haben. Die Idee der optimistischen Gedankengebäude war nicht durchsetzbar. Der Unterschied ist nur, dass wir damals das zukünftige Leben völlig neu definiert haben! Heute ist die Lebensqualität einer Stadt nichts anderes als ein neues Biedermeier: Rückzug in die Ego-Privatheit, Rückzug aus dem öffentlichen Raum, Rückzug in die Gemütlichkeit, auf dem grünen Balkon im Liegestuhl sitzend, mit einer Flasche Bier in der Hand, die romantische Scheinrealität einer grünen Stadt. Wo sind die zukünftigen innovativen Lebenskonzepte?

STANDARD: Heute reden wir über Ressourcenschonung. Die Bauwirtschaft steht als CO2 -Sünderin am Pranger.

Prix: Oje, schon wieder diese blödsinnige Feststellung.

STANDARD: Wissen Sie, wo der Stahl für Ihre Museen und Konferenzzentren herkommt?

Prix: Nein, das weiß ich nicht. Muss ich auch nicht. Aber ich mag diese Diskussionen nicht. Denn wenn wir von Materialverschwendung sprechen, dann müssen wir schon die Architekturindustrie mit der Waffenindustrie vergleichen. Wir bauen Waffen aus Unmengen von Stahl, die nur einen einzigen Zweck haben: Zerstörung. Und wir bauen Kampfflugzeuge, wovon eines so viel kostet wie das Musée des Confluences in Lyon, und nach spätestens fünf Jahren wird es abgeschossen. Das müssen wir vergleichen! Vergleichen wir doch den CO2 -Ausstoß des Kriegs in der Ukraine mit dem CO2 -Ausstoß von unseren Kulturbauten auf der Krim. Darüber müssten wir sprechen!

STANDARD: Ihre größten und wichtigsten Projekte haben Sie stets im Ausland realisiert, zuletzt vor allem in China. Aktuell bauen Sie in Russland und auf der Halbinsel Krim. 1998 haben Sie in einer Rede in Wien gesagt: „Autoritäre Systeme vertragen keinen Ungehorsam.“ Wie verträgt sich das?

Prix: Es kommt nicht darauf an, für wen oder wo wir bauen, sondern was wir bauen. Was Russland betrifft, so habe ich alles Relevante schon im Spiegel -Interview gesagt. Außerdem sind wir jetzt von der EU sowieso sanktioniert. Wir dürfen nicht mehr für Russland arbeiten – ein demokratisches Arbeitsverbot. Alle Aufträge, die wir in Arbeit haben, Hochhäuser, Theater, Schulen und Kulturzentren, können wir wegwerfen. Toll!

STANDARD: Auf der Krim nach 2014 zu bauen dient der Legitimierung einer völkerrechtswidrigen Annexion. Sehen Sie das anders?

Prix: Wir hatten auf der Krim nie ein Arbeitsverbot, denn Kulturbauten waren von den Sanktionen ausgenommen. Aber ja, nun müssen wir auch dieses Projekt stoppen. Ein Freund von mir hatte auf der Krim eine Fabrik für Maschinenteile und wurde ebenfalls sanktioniert. Wer, glauben Sie, hat diese Lieferungen übernommen? Ein Amerikaner! Also hören Sie mir auf mit den moralischen und angeblich politischen Darstellungen ...

STANDARD: Die meisten und größten Ihrer Aufträge kommen von autokratischen Regimen. Was macht das mit Ihnen?

Prix: Gar nix. Gegenargument: Ich habe Sympathie für eine Gesellschaft, demokratisch oder autokratisch, die sich erlaubt, auf einen Schlag in sieben Städten Kulturzentren zu bauen. Bei uns heißt es nur: Brauchen wir nicht! Es wird gerne vergessen, dass auch ein François Mitterrand autokratisch entschieden und zahlreiche Großprojekte beauftragt hat. Und ganz ehrlich: Es macht keinen Unterschied, ob man für Autokraten oder für Turbokapitalisten baut. Für Autokraten ist es sogar etwas angenehmer, weil sie nicht jeden Cent berechnet haben wollen, um zu wissen, wie viel sie mit einem Projekt verdienen.

STANDARD: Welche Auswirkungen haben die Russland-Sanktionen auf Ihr Büro?

Prix: Wir arbeiten nun für einen anderen Autokraten und sitzen mit all jenen, die gesagt haben, dass sie für Russland nicht mehr arbeiten wollen, Schulter an Schulter in Saudi-Arabien. Dort planen wir alle an der 170 Kilometer langen Linearstadt Neom. Das ist eine der radikalsten Stadtplanungsideen, eine Mischung aus Le Corbusier und Superstudio.

STANDARD: Im Rückblick auf mehr als 50 Jahre Schaffen: Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Prix: Auf drei Dinge: auf den Dachbodenausbau in der Wiener Falkestraße, auf das Musée des Confluences in Lyon und auf das Mocape-Museum in Shenzhen, weil ich bei diesem Projekt Piranesi am nächsten gekommen bin.

STANDARD: Am 13. Dezember werden Sie 80. Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Prix: Weiß ich nicht. Das ist ein Tag wie jeder andere. Das ganze Drumherum ist mir völlig egal. Aber ich weiß, dass ich nicht noch weitere 80 Jahre vor mir habe. Und dass ich gewisse Dinge nicht mehr erleben werde, von denen ich als junger Architekt dachte, ich würde sie noch erleben. Zum Beispiel die Projekte in Russland. Oder dass ich noch lerne, Keith Richards Riff in Gimme Shelter spielen zu können.

STANDARD: Gibt es einen Wunsch für die Zukunft?

Prix: Ich habe immer noch den Wunsch, dass wir die großen Probleme der Welt mit Wissen und Optimismus lösen können – und dabei nicht vergessen zu lachen.

STANDARD: Wofür brennt Wolf Prix heute?

Prix: Für die Möglichkeit, Architektur zu bauen, die beweist, dass wir mit manchen Aussagen recht gehabt haben könnten. Und trotzdem: Jeder hat recht, aber nichts ist richtig.

Wolf Dieter Prix, geboren am 13. Dezember 1942 in Wien, gründete 1968 mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer das Büro Coop Himmelb(l)au, das er seit 2001 allein leitet. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern des Dekonstruktivismus.

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