Akteur

Egon Eiermann
* 1904 Neuendorf (heute: Potsdam-Babelsberg) 1970 Baden-Baden

Blauer Raum der Stille

Egon Eiermann als Meister der Sakralarchitektur

25. September 2004 - Jürgen Tietz
Als Point de vue des Kurfürstendamms verkörperte die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bis zur Wende 1989 symbolhaft die Geschichte der geteilten Stadt. Die von Egon Eiermann entworfene Kirche tritt in einen Dialog mit der Ruine des Turms der kriegszerstörten Gedächtniskirche von Franz Schwechten. Der Neubau der Gedächtniskirche war zwar nicht Eiermanns erster Sakralbau. Er ist jedoch bis heute derjenige, der die grösste öffentliche Resonanz hervorruft. Bereits kurz nach ihrer Einweihung im Dezember 1961 war die Kirche «jeden Tag so überfüllt, dass fünf Gottesdienste gehalten werden», schrieb Eiermann an einen Freund. Schnell erlangte sie den Status eines Westberliner Wahrzeichens. Auch für den Architekten kam ihr eine Schlüsselrolle zu: «Mein Lebenswerk ist diese Kirche.»

Mit der 1952-56 errichteten Matthäuskirche in Pforzheim verwirklichte Eiermann seinen ersten Sakralbau, der auch für seinen Berliner Entwurf beispielgebend werden sollte. Das Betonskelett der von einem einfachen Satteldach abgeschlossenen Pforzheimer Kirche wurde mit Beton-Glas- Steinen ausgefacht. Obwohl die von Eiermann verwendeten Architekturelemente dem zeitgenössischen Industriebau verpflichtet waren, entstand dennoch ein «leuchtender Schrein in der Landschaft» (Eiermann), dessen Innenraum eine ganz eigene poetische Note entfaltet.

Betonwaben

Dabei kommt der Wirkung des Lichts - genauso wie später in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche - eine besondere Bedeutung zu. Mit den Fassaden aus Betonwaben formulierte Eiermann in beiden Städten eine zeitgemässe Lösung für den Sakralbau, die später von zahlreichen Architekten aufgenommen wurde. Eiermann selbst nahm das Motiv 1964 bei seinem Entwurf für eine evangelische Kirche im ehemaligen Konzentrationslager Dachau erneut auf. Dabei konnte er sich auf frühere Vorbilder der modernen europäischen Kirchenbaukunst stützen wie Auguste Perrets Notre Dame in Le Raincy (1922/23) oder St. Antonius von Karl Moser in Basel (1926/27). Gleichwohl gewann Eiermanns Berliner Kirche während des langen Planungsprozesses eine ganz eigene Qualität. In seinem ersten Wettbewerbsbeitrag von 1956 war der Architekt noch davon ausgegangen, die Verkehrsinsel des Breitscheidplatzes von der Ruine des Altbaus zu befreien und eine vollständig neue Kirche zu schaffen. Dabei zeigte der von ihm vorgeschlagene kubische Baukörper mit Satteldach eine deutliche Anlehnung an die Pforzheimer Matthäuskirche. Auf einem Podest um drei Stufen aus dem Alltagsgeschehen herausgehoben, sollte die Kirche von einem Uhr- und einem Glockenturm sowie einer Kapelle begleitet werden. Ein Alternativentwurf Eiermanns sah demgegenüber eine freie Komposition aus runden Baukörpern vor, die auf sechseckigen Podesten angeordnet werden sollten.

Entwurfsphasen

Beide Entwürfe fanden ihre Entsprechung in zeitnahen Projekten Eiermanns, in denen er - erwähnt sei der Wettbewerb für die Hochschule für Sozialwissenschaften in Linz von 1958 - eine geometrische Komposition meist pavillonartiger Bauvolumen vorschlug. Diese sind auf einer grossflächigen Plattform angeordnet, wie dies bereits Mies van der Rohe bei verschiedenen Entwürfen bis hin zur Berliner Neuen Nationalgalerie gezeigt hatte. Aber auch die runden und zylindrischen Volumen haben in Eiermanns Werk einen Platz. Dies veranschaulicht sein Wettbewerbsbeitrag von 1958/59 für ein Stadttheater in Luxemburg. Desgleichen spielten auch bei seinen Entwürfen für Sakralbauten runde Baukörper eine Rolle. So bei den Projekten für ein Gemeindezentrum in Baden-Baden (1953) oder dem Wettbewerb für die Johanniskirche in Mühlheim/Ruhr (1960).

Eiermanns beide Entwürfe für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fanden zwar die Zustimmung der Wettbewerbsjury und der Kirchenleitung, jedoch nicht die der Öffentlichkeit, die für die Bewahrung der Turmruine eintrat. Doch auch in der Überarbeitung seines Projektes sah Eiermann 1957 noch nicht die Erhaltung der Ruine vor. Dass sich Eiermann so lange der Einbeziehung des alten Turms widersetzt hat, erstaunt angesichts der Tatsache, dass er sich bereits 1953 im Fall der Hamburger St.-Nicolai-Kirche mit der Ergänzung einer kriegszerstörten Kirche auseinandergesetzt hatte.

Doch erst der Zwiespalt zwischen Bewahrung der Ruine und ergänzendem Neubau führte zur endgültigen Lösung. Beim ausgeführten Bau fasste Eiermann die Turmruine durch die Neubauten ein. Den pantheonartigen Rundbau, den er als Alternativvorschlag unterbreitet hatte, verwandelte er dabei in ein Achteck - und griff damit ebenfalls auf eine seit dem Mittelalter verwendete Würdeformel für Sakralbauten zurück. Dem Oktogon antworten auf der anderen Seite der Turmruine eine flache Kapelle und der auf sechseckigem Grundriss errichtete Glockenturm. Besonders im Gegenüber der beiden Türme wurde ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart in Gang gesetzt, der bis heute andauert.

Nach wie vor gehört die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu den bedeutenden architektonischen Sehenswürdigkeiten Berlins. Ein Erfolg, der nur wenigen Bauten der sechziger Jahre beschieden ist. Gründe dafür sind die prominente Lage des Bauwerks und der Mahnmalcharakter der Ruine, auch wenn deren goldschimmernde Mosaiken inzwischen allzu aufgeputzt wirken. Doch die Bedeutung des Ensembles liegt vor allem in Eiermanns Bauten selbst, besonders in dem achteckigen Kirchenraum: Über einem hohen Sockelbereich, der durch einen breiten Stahlträger abgeschlossen wird, erhebt sich die doppelwandige Betonwabenkonstruktion. Strahler zwischen den beiden Wänden sorgen dafür, dass die von dem Glasmaler Gabriel Loire aus Chartres geschaffenen Fenster bei Tag wie bei Nacht ihre besondere Leuchtkraft entfalten können. Die mystische Wirkung des halbdunklen blauen Lichts wird durch einige rote und grüne Einsprengsel noch gesteigert. Zudem sorgt die doppelte Wandkonstruktion dafür, dass im Inneren der Kirche Ruhe herrscht und das geschäftige Treiben der City-West nicht eindringen kann.

Raumwirkung

Mit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hat Eiermann ein Gesamtkunstwerk geschaffen, in dem vom Taufbecken über den Altar bis zum Stuhl jedes Detail auf einen Entwurf von ihm zurückgeht. Die einheitliche Wirkung der Kirche wird nur von der schwebenden Christusfigur des Münchner Bildhauers Karl Hemmeter durchbrochen - die Eiermann nicht mochte. An ihrer Stelle hatte er ein schlichtes Metallkreuz vorgesehen, das jedoch nur kurze Zeit über dem Altar hängen blieb. - Obwohl die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einen festen Ankerpunkt in der Berliner Sakral- und Architekturlandschaft bildet, droht ihr dennoch Ungemach: Von den Bauten der fünfziger und sechziger Jahre, die den Breitscheidplatz harmonisch einfassen, soll nun das denkmalgeschützte Schimmelpfeng-Haus weichen. Stattdessen - so die Planung - sind zwei Hochhäuser an der nahen Kantstrasse geplant. Sie würden nicht nur zu einer Verschattung der Kirche führen - und sie so eines wichtigen Teils ihres einzigartigen Charakters berauben. Eiermanns Hauptwerk drohte auch zwischen den geplanten Hochhäusern zu verzwergen, ein Schicksal, das sein Bonner Abgeordnetenhochhaus zu Füssen des Telekom-Towers bereits ereilt hat.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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