Bauwerk

Kinderhaus Braike
Roland Gnaiger, Gerhard Gruber - Bregenz (A) - 2001

Eine Stadt für die Kleinsten

Roland Gnaigers Kindergarten in Bregenz

5. April 2002 - Gert Walden
Kunterbunt angeordnet und immer wieder den Massstab wechselnd, bestimmen Hochhäuser, mehrgeschossige Wohnbauten und Einfamilienhäuser den Bregenzer Ortsteil Braike. Dort haben die Architekten Roland Gnaiger und Gerhard Gruber die nicht ganz einfache Aufgabe übernommen, einen Kindergarten zu entwerfen, der diesem Verwirrspiel aus urban-peripheren Parametern und örtlicher Bauordnung die Stirn bieten kann. Hier bot sich eine streng geometrische Grundstruktur als bewährtes architektonisches Instrument an, um einen selbständigen Ort der Konzentration und der Kommunikation zu schaffen. Der Baukörper wurde daher L-förmig angeordnet und bis an die Grundstücksgrenzen herangeschoben. Der Freiraum, der aus dieser Ordnung entsteht, ist grosszügig. Mit Holzzäunen, einer Pergola und den Gebäudeteilen selbst ist er von seiner Umgebung abgeschirmt.

Wenn dieser Kindergarten in der klassischen Typologie eines ebenerdigen Mini-Mundus gegenüber den „richtigen“ Bauten erstarren würde, könnte er leicht ein wenig abgeschlossen wirken. Doch dieses Problem haben Gnaiger und Gruber sehr elegant gelöst. Der geteilte Baukörper ist nämlich zweigeschossig angelegt, so dass eine zweite Ebene der Freiräume konstituiert werden konnte. Die fünf Gruppenräume der Kinder befinden sich im ersten Stock, verfügen jeweils über einen separaten Eingang, eine eigene Loggia und ein kleines Atrium. Verbunden werden diese kleinsten Spiel- und Arbeitseinheiten über einen zentralen Gang. Das Raumangebot ist also differenziert, auf die Bedürfnisse nach Geborgenheit und nach erweiterter Perspektive - hin zum Bodensee - zugeschnitten. Angenehmer kann es eigentlich in einem Kindergarten nicht sein. Dabei ist die Architektur zurückhaltend, in ihrem Materialmix aus Beton und Holz fast schon spröde, aber sie eröffnet Räume, die in ihrer Massstäblichkeit flexibel und weitgehend neutral gehalten sind. Sich auf Sprache und Typologie der klassischen Moderne berufend, haben Gnaiger und Gruber die Qualität der zweiten Ebene der Dachfläche voll ausgenützt. Atrium und Loggia zählen denn auch zum sinnvollen Repertoire der österreichischen Architekturtradition.

Die beiden Architekten bauten für Kinder ohne jegliche kindlichen Attitüden. Im Gegenteil zeigen sie den Kleinsten auf sehr unprätentiöse Weise, wie sich Raum verändern, vergrössern und verkleinern kann, wie sich Dreidimensionalität logisch entwickelt und einen immateriellen Reichtum entfalten kann, der auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar ist. In diesem Sinn ist auch die Halle im Erdgeschoss wie ein Boulevard organisiert - mit der grossen Achse über die gesamte Gebäudelänge und den kleinen Nischen zum Spielen oder Speisen. Das Gebäude unterscheidet sich von den üblichen Kindergärten in seinem Anspruch auf die innenräumliche und städtebauliche Dimension. Beinahe wie ein grosszügiges Hotel wirkend, ist es auch Schnittstelle für das gesamte Quartier. Seine Geometrie schafft mit dem längeren, vorgezogenen Bauteil einen kleinen Platz, während die Pergola des Freibereichs und der kürzere Gebäudetrakt die Grenzen zum Strassenraum bestimmen. Eine Stadt der Kinder ist damit in Bregenz entstanden, die ihre Auswirkungen unmittelbar auf die urbanen Dispositionen der Erwachsenen zeigt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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