Bauwerk

Ray 1
DMAA - Wien (A) - 2003

Urbane Wohnlandschaft

Ein Wiener Dachaufbau von Delugan & Meissl

Der Umgang mit historischer Bausubstanz führt in Wien immer wieder zu heftigen Diskussionen. Der Um- oder Ausbau alter Fassaden und geschichtsträchtiger Gemäuer verlangt nach Meinung vieler besondere Sorgfalt. Die Stadtväter unterstützten diese Ansicht mit der Schaffung strenger Baurichtlinien. Geht es nach dem Gesetzgeber, so sollte zeitgenössische Architektur möglichst unauffällig hinter den bestehenden Gebäuden zurücktreten. Dagegen verstösst nun ein Dachausbau von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan. Die beiden Architekten, die seit nunmehr zehn Jahren den kommunalen Wohnbau der Donaumetropole revolutionieren, entwarfen eine Struktur aus Aluminium und Glas, welche sie als «Umsetzung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Bewohnern und Umfeld» beschreiben. Die mehrschichtige Hülle, die den Aussenraum in die Wohnung zu saugen scheint, setzt auf Tiefenwirkung und Lichteinfall. Schräg verlaufende Brüstungen und eine schwebende Gaube thematisieren die Wechselwirkung von Intimität und Öffentlichkeit und erzielen gleichzeitig einen dynamischen Effekt.

Doch der ebenso spektakuläre wie gewagte Aufbau aus Metall und Glas hat - typisch wienerisch - auch eine durchaus humoristische Komponente. Im Inneren der Wohnung treiben unzählige silberglänzende Knöpfe, mit denen von den Lüftungsklappen über die Jalousien und den Videoscreen bis hin zur Klimaanlage alles betätigt werden kann, das nicht immer ganz ernsthafte Spiel von Ruhe und Bewegung auf die Spitze. Diese Technologieverliebtheit erinnert wie die gewählte Formensprache an Filmszenen, in denen James Bond seine Widersacher mit raffinierten Geräten in Schach zu halten pflegt.

Das Design jedes Details dieser Architektur ordnet sich dem Gesamtkonzept unter. Veränderbarkeit und Flexibilität sind auf ein Mindestmass reduziert. Um jeden potenziellen Störfaktor auszuschliessen, sind selbst die meisten Möbel fest im Raum verankert. Die Aussenhaut fungiert also gleichsam als Rahmen der zu Immobilien gewordenen Einrichtungsgegenstände. Selbst das Bett schwebt unverrückbar im Schlafzimmer. Delugan spricht vom städtebaulich orientierten Bett, denn die Richtung des Möbelstücks folgt nicht den Wänden des Raumes, sondern den urbanen Achsen der Umgebung. Die unmittelbar an das Bett anschliessende Badewanne, die den Übergang von Schlaf- zu Waschraum manifestiert, verdeutlicht diese Entwurfsidee.

Sämtliche Elemente der Wohnung scheinen bis ins letzte Detail durchdacht und gestaltet zu sein. Kein unnötiges Dekorationsobjekt, kein Kunstwerk stört die perfekte Aufmachung dieses auf den ersten Blick unpersönlichen Refugiums. Kein Buchrücken, kein privater Gegenstand erlaubt dem Besucher schnelle Rückschlüsse auf den sozialen Status, den Beruf oder die Lebensweise der drei Bewohner. So wird der Raum an sich zum einzigen Repräsentationsobjekt, das Apartment zum scheinbar einzigen Besitztum, während die Gegenstände des täglichen Lebens hinter ungezählten Türen verschwinden. Mit seiner «idealistischen» Forderung, architektonische Konzeptionen auch im privaten Wohnalltag konsequent weiterzuleben, schuf sich das Duo eine gebaute Visitenkarte, in der die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Dennoch dient dieses aussergewöhnliche Penthouse nicht allein der Selbstdarstellung zweier Architekten, sondern auch dem Fortgang einer kulturellen Debatte. Delugan & Meissl verweisen mit ihrem Entwurf auf die Notwendigkeit, den Raum immer wieder neu zu erforschen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Elke Delugan-Meissl
Roman Delugan

Tragwerksplanung

Fotografie