Bauwerk

Mischek Tower
DMAA - Wien (A)

Fassade mit Layout

Bauen ist nicht immer ein Spaziergang im Garten Eden, manchmal eher eine Höllentour voller Kompromisse: der neue Mischek-Tower von Delugan Meissl auf dem Wienerberg.

12. März 2005 - Wojciech Czaja
Immer wenn ich am Wienerberg vorbeifahre, muss ich an diesen Film mit dem feschen Hugh Grant denken. „Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam“ handelt von einem kleinen Dorf in Wales, das eines Tages Bekanntschaft mit einem Kartografen aus London macht. Angereist aus der Ferne kam er, um den Dorfbewohnern mitzuteilen, dass dem Hausberg der Bergtitel aberkannt werden müsse. Einst der „first mountain inside of Wales“, nun durch natürlich bedingte Schrumpfung zu einem Hügel degradiert, beschließt das schrullige Dorf unisono, die fehlenden Meter ganz einfach aufzuschütten.

Sie suchen den Zusammenhang zwischen Wales und Wienerberg? Es erweckt den Anschein, als wäre Letzterer durch zu regen Lehmabbau der nahe gelegenen gleichnamigen Ziegelfabrik im Laufe der Jahrzehnte ebenfalls zu einem Hügel geschrumpft. Nun reicht es nicht, dass Massimiliano Fuksas ein weithin sichtbares - und nebenbei beeindruckendes - Landmark an der Einfahrt nach Wien hinstellt. Nein, da muss der einstige Wienerberg - im Namen der Stadt - gleich mit einer Menge an Hochhäusern zu dem zurückgezwungen werden, was er früher mal war. Wenn nicht topografisch, dann eben architektonisch.

Anders erklärt sich die städtebauliche Dichte an diesem infrastrukturell katastrophal erschlossenen Unort nicht. Im flächengewidmeten Zickzack geben sich österreichische Architekturbüros ein Stelldichein, ganz nebenbei kann man beobachten, wie Coop Himmelb(l)au den Dekonstruktivismus im konkreten Fall so lange variiert hat, bis das gebaute Ergebnis plötzlich postmoderne Zitate verschluckt zu haben scheint. Aber das macht nichts, Wienerberg City klingt gut, und die wienweit verstreuten grünen Hinweisschilder tun ihr Bestes, um das neue Grätzel auf der leichten Wiener Anhöhe lautstark zu proklamieren.

Ja, der Fuksas hat die Latte da oben hoch gelegt, die formale Unterordnung ist des Architekten Sache aber nicht. Und so erfindet ein jeder Hochhaus-Bauer neue Farben und Materialien, trägt zu einem Kampf mit ungleichen Gegnern eher bei als zu einer urbanen Symbiose.

Doch siehe da, eine stille Ausnahme auf kryptisch benannter Parzelle: C. Delugan Meissl ist im Begriff, das schwarze Mischek-Wohnhochhaus fertig zu stellen. Die Fassade ist bereits vollbracht, der Innenausbau von der Schlüsselübergabe nicht mehr weit entfernt. Ein 99 Meter hoher Monolith auf einer knappen Grundfläche von nur 16 mal 40 Metern. Nach Norden und Osten gibt sich der archaische Bau hermetisch introvertiert, der grüne Südwesten von Wien jedoch wird mit aufgelösten Fassaden und einer zwischengeschalteten Loggien-Schicht gewürdigt. „Wohnen mit Ausblick“ so der fernsüchtige Slogan, ohnehin eine Seltenheit in Wien. Bis zum 24. Stock reine Mietangelegenheit, die letzten zwölf Stockwerke bis zum 36. Abschlussgeschoß gibt es dann zu kaufen.

Als Projektfan der ersten (oder zweiten) Stunde ist man freilich ein wenig erstaunt über die teils deftigen Abstriche, mit denen der Wohnbau in den letzten Jahren fertig werden musste - konzeptionell geschwächt, im Bautechnischen den üblichen Standards wieder angepasst, visuell aber nach wie vor im strengen deluganschen Korsett. Wie Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan in der letztsamstäglichen „Diagonal“-Sendung auf Ö1 bereits klargestellt haben, dass beim ersten Mischek-Tower auf der Donauplatte schließlich nur die Fassadengestaltung auf Delugan Meissl zurückzuführen ist, so darf beim Mischek-Tower am Wienerberg Ähnliches vermutet werden. Architektursprache an der Fassade, truely made by the architects, Grundrissplanung und Ausbaustandard tragen hier seit der Detailplanung und Kostenkontrolle eine andere Handschrift. Doch der soziale Wohnbau setzt - verständlicherweise - eben andere Prioritäten. Und so soll es nicht darum gehen, über die Bauträgerschaft zu klagen, als vielmehr, die vorhandene Architektur ins Visier zu nehmen.

240 Wohnungen - die Menge wird von der einheitlichen Fassadengestaltung beruhigend kaschiert. „Gerade im sozialen Wohnbau, wo sich jede Wohnung an der Fassade abzeichnet“, so die Architekten, „muss man sich einer zusammenfassenden Struktur bedienen, um dieses heterogene Bild vieler Wohneinheiten in einer einzelnen Einheit zu beruhigen.“ Die Loggien-Fassaden sind an der äußersten Schicht vollständig verglast, nur vereinzelte Aussparungen fangen Bilder aus der Landschaft und rahmen sie ein. Im Siebdruckverfahren - ein Steckenpferd von Delugan Meissl - sind die Glastafeln in eine Matrix aus vertikalen weißen Streifen eingehüllt. In den unteren Geschoßen dichter, oben, wo die Konkurrenz der neugierigen Einblicke schon deutlich abgenommen hat, hat der Raster mehr Durchlässigkeit zugelassen.

Außergewöhnlicher schließlich die breite Fassade Richtung Stadt. Die homogene Haut aus schwarz durchgefärbtem Eternit ist durch vereinzelte französische Fenster perforiert. Damit nicht der Eindruck von Glaslisenen entsteht, die die Fassade vertikal aufschlitzen, wurden die Maueröffnungen, dem Zufallsprinzip folgend, versetzt angeordnet. Solange sich die grafische Maßnahme nicht negativ auf den Innenraum auswirkt, sondern im besten Falle positiv (im schlechtesten indifferent), ist ein Layout-Denken legitim: „Grafik spielt selbstverständlich eine essentielle Rolle“, so Projektleiter Christopher Schweiger, „es wäre total falsch, nicht grafisch zu arbeiten, solange diese Arbeitsweise nicht ausschließlich ist.“ Nun fragt man sich, welche Funktion die weiß auskragenden Schilde haben, die so vereinzelt - noch lapidarer als die Fenster - über die große Fassadenfläche verstreut sind. Sonnenschutz etwa, rein grafische Spielerei oder gar brüstungslose Balkone für den Freitod aus der Höhe? In einem früheren Projektstadium haben die Schilde noch den Brandüberschlag verhindert. Baupolizeilich vorgeschrieben, architektonisch mit poetischer Leichtigkeit eingelöst. Mittlerweile hat Mischek den Brandschutz anderweitig - billiger - in den Griff bekommen, die heutigen Stahlelemente sind ein leises Zitat dessen, wie schön selbst behördliche und technische Parameter eine Fassade einst determinieren konnten.

Ist da etwa Sentimentalität zum obersten Prinzip erkoren worden? Eine architektonische Irrfahrt vielleicht? Entgegen vielen Wienerberger Nachbarprojekten, denen man getrost Manierismus nachsagen darf, war die Entscheidung zugunsten eines am Ende unnötigen Luxus in diesem Fall der letzte Rettungsanker, um eine ursprünglich gewagte Poesie des Projekts in die Realisierung hinüberzuretten. Bauen ist eben nicht immer ein Spaziergang im Garten Eden, sondern manchmal eine Höllentour voller Kompromisse zwischen Bauherrn und Architekten. Hart, aber herzlich: Der Mensch ist im Grunde seiner Natur mitunter ein oberflächliches Wesen, und für den Betrachter bleibt es letztlich gleich, ob logisch oder nicht, ob authentisch oder künstlich. Das kleine Dorf in Wales hat seinen Berg wieder, und bald einmal wird niemand mehr darüber sprechen, wann und wo und wie viele Meter. Und wer ist eigentlich Hugh Grant?

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