Bauwerk

Lerner Student Center
Bernard Tschumi - New York (USA) - 2000

Der Weg ist das Ziel

Bernard Tschumis Lerner Student Center in New York

Auf dem historischen Campus der Columbia University in Manhattan errichtete Bernard Tschumi das Lerner Student Center. Der als spektakuläre Rampenkonstruktion zwischen den beiden Trakten inszenierte Neubau kann nach den Worten des Westschweizer Dekonstruktivisten als «dynamic hub» verstanden werden.

18. März 2000 - Hubertus Adam
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Charles Follen McKim - seit 1873 mit zwei Partnern im vielbeschäftigten New Yorker Architekturbüro McKim, Mead and White vereint - den Masterplan für die Columbia University. Statt sich der für College-Bauten häufig verwendeten neogotischen Formensprache zu befleissigen, realisierte McKim seine Bauten in einem neoklassizistisch inspirierten Beaux-arts-Stil; als entferntes Vorbild mag man an Jeffersons University of Virginia denken. Das Zentrum des sich in die benachbarten Quartiere ausdehnenden Universitätsgeländes im Stadtviertel Morningside Heights bildet der zwischen Broadway und Amsterdam Avenue in den Stadtraster von Manhattan eingefügte Campus, in dessen Mitte sich die dem Pantheon nachempfundene Low Memorial Library erhebt. Weite Rasenflächen bestimmen das locker gefügte Ensemble, während die Kanten zu den umgebenden Strassen von repräsentativen Bauten gesäumt werden, die - obwohl mächtige Solitäre - doch eher den Eindruck einer Blockrandbebauung entstehen lassen. In diesem Kontext zu bauen, lässt den Architekten vergleichsweise wenig Spielräume; Robert A. M. Stern, der gegenwärtig wenige Blocks weiter südlich eine Zweigstelle der New York Public Library realisiert, gefällt sich mit seinem der Architektur McKims nacheifernden, 14geschossigen Gebäude, das durch ein Palladio-Motiv noch nobilitiert wird.

Vom Westschweizer Architekten Bernard Tschumi, der sich seit Ende der siebziger Jahre als ein Vordenker des Dekonstruktivismus etablierte, im folgenden Jahrzehnt mit seiner Gestaltung des Pariser Parc de la Villette Aufsehen erregte und derzeit die renommierte Architekturabteilung der Columbia University leitet, war derlei anbiederndes Vorgehen nicht zu erwarten, als er 1994 mit der Realisierung des Lerner Student Center im Südwesten des Campus betraut wurde. Doch die strengen Bauvorschriften zwangen auch Tschumi, den Flügel zum Broadway mit Granit, Ziegel und Kupferdach in einer McKim folgenden Formensprache auszuführen. Dem Masterplan blieb er noch bei einer zweiten Entscheidung verpflichtet: Gemäss der ursprünglichen Idee McKims (die indes nur mit dem Avery Building eingelöst wurde) errichtete Tschumi einen zweiten, niedrigeren und dem Campus zugewandten Riegel parallel zur Strassenfront. Zwischen diesen beiden Trakten installierte er nicht nur ein Auditorium und ein Black-box-Theater, sondern eine spektakuläre abgehängte Rampenkonstruktion, die sich nach Norden hin in einer 30 Meter breiten Glasfront öffnet. Hinter der Stahl-Glas-Konstruktion der vorderen Rampenanlage wird die in Beton ausgeführte, gegenläufige zweite Rampe erkennbar.

Zunächst wirkt diese Konstellation, als sei ein Trakt infolge einer Bodensenkung abgesackt; doch tatsächlich artikuliert Tschumi hier lediglich den vorhandenen Niveauunterschied zwischen Broadway und Campus. Die hinter den rahmenlosen Glasscheiben exponierten Wegverbindungen veranschaulichen die Vorstellung seiner «student city in the city of Columbia in the city of New York». Indem sie die verschiedenen Nutzungsbereiche des Studentenzentrums miteinander in Beziehung setzen - Buchhandlung und Mensa, Computerräume und Art Lounges, Besprechungsräume und Kopierzentrum -, dienen sie nach den Worten des Architekten als «dynamic hub». Eingelassen in die Glashalle sind 6000 Briefkästen für die eingeschriebenen Studenten.

Wer schnell zwischen den Ebenen wechseln möchte, dem stehen im Lerner Student Center auch Treppen zur Verfügung. Doch schon bei seinem Medienzentrum im nordfranzösischen Tourcoing (NZZ 25. 4. 98) hatte Tschumi verdeutlicht, dass mitunter auch der Weg das Ziel darstellt: Treppen, Galerien und Rampen durchziehen ein traumverlorenes Zwischenreich oberhalb der alten Hallen und unterhalb des alles bergenden Daches. Bei seinem Bau für die Columbia zeigt sich der Architekt pragmatischer und weniger verspielt. Besonders abends jedoch werden die Rampen zur vertikalen Bühne, auf welcher die Studenten ihr aleatorisches Schauspiel veranstalten. Die Auseinandersetzung Tschumis mit dem Medium Film, dessen Schnitt- und Montagetechnik, spiegelt sich auch hier.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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