Bauwerk

GSW-Hauptsitz - Neu- und Erweiterungsbau
Sauerbruch Hutton - Berlin (D) - 1999
GSW-Hauptsitz - Neu- und Erweiterungsbau, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
GSW-Hauptsitz - Neu- und Erweiterungsbau, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
GSW-Hauptsitz - Neu- und Erweiterungsbau, Foto: Reinhard Görner / ARTUR IMAGES

Eine Stadtcollage in Kreuzberg

Erweiterung des GSW-Hauptsitzes von Sauerbruch und Hutton

Während die beiden Berliner Bauskulpturen von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum und Zvi Heckers Galinski-Schule sogleich internationale Anerkennung fanden, hielt die Kritik gegenüber dem potemkinschen Baugeschehen in Berlin-Mitte mit Tadel nicht zurück. Jetzt aber ist in Kreuzberg mit dem Neu- und Erweiterungsbau des GSW-Hauptsitzes von Sauerbruch und Hutton ein Bürohaus von internationaler Ausstrahlung entstanden.

3. September 1999 - Roman Hollenstein
Nach dem Mauerfall verwandelte sich das Zentrum Berlins fast über Nacht in eine gigantische Baustelle. Jetzt, da ein Grossteil der neuen Häuser steht, macht sich Ernüchterung breit. Denn die von der Sehnsucht nach einer heilen Welt geprägte Stadtreparatur führte nur allzuoft zu schmalbrüstigen Kompromissen. Doch unweit der potemkinschen Blockrandbanalitäten - selbst Aldo Rossi brachte es an der Schützenstrasse nur zu einer verzweifelten Fassadenmaskerade - ist in der südlichen Friedrichstadt eine zukunftsweisende Architekturcollage entstanden. Es handelt sich dabei um den Um- und Erweiterungsbau der gegenwärtig gut 450 Mitarbeiter zählenden Hauptverwaltung der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin (GSW) an der Kochstrasse. Geplant hat diese aus einem alten und einem neuen Hochhaus sowie zwei Flachbauten bestehende, rund 30 000 m² Büro- und Ladenfläche bietende Anlage keiner der an die Spree geladenen Architektenstars, sondern ein 1955 in Konstanz geborener Süddeutscher und seine zwei Jahre jüngere englische Partnerin: Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton.


Tradition des Hochhausbaus

Das an der renommierten Architectural Association in London ausgebildete und seit elf Jahren in Berlin und Grossbritannien tätige Team machte jüngst mit dem Photonik-Zentrum in Berlin- Adlershof Schlagzeilen. Diese innovative Glasarchitektur verrät ihren Glauben an die Stadt genauso wie das GSW-Hauptquartier oder das Haus am Checkpoint Charlie, das Sauerbruch Ende der achtziger Jahre zusammen mit Elia Zenghelis im Rahmen der IBA als Mitarbeiter von Rem Koolhaas' Rotterdamer Ideenschmiede OMA realisierte. Machte Sauerbruch sich damals mit den Eigenheiten des holländischen Architekturdiskurses vertraut, so setzte sich Louisa Hutton im Büro von Peter und Alison Smithson kritisch mit der englischen Nachkriegsmoderne auseinander. Vom beruflichen Werdegang her sind darum den beiden Architekten die Thesen von Le Corbusier ebenso geläufig wie die Theorien des urbanen Chaos und die Ideen der architektonischen Verdichtung oder des kontextuellen Umgangs mit den heterogenen Erscheinungsformen der Grossstadt. Es überrascht deshalb kaum, dass Sauerbruch und Hutton die städtebaulichen Bilder, die sie am Ort der künftigen GSW-Hauptverwaltung vorfanden, als «Konglomerat unterschiedlicher Elemente» akzeptierten, «zum Ordnungsprinzip erhöhten» und mit der Methode der Architekturcollage zu verdichten suchten. In ihrer Analyse berücksichtigten sie die hier sich überlagernden Stadtbilder des Barock, der Gründerzeit und der Nachkriegsjahre ebenso wie die gegenwärtige urbanistische Situation, die aus einer lockeren Bebauung mit verschiedenen Bautypen vom Hochhaus bis zum Hofrandfragment besteht.


Bauen im Kontext

Die regelmässigen Blöcke der nach rationalen Gesichtspunkten angelegten barocken Friedrichstadt wurden im 19. Jahrhundert zu geschlossenen Hofrandanlagen verdichtet. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs stellte das 1961, kurz vor dem Mauerbau vollendete Hochhaus des Graphischen Gewerbezentrums von Paul Schwebes und Hans Schloszberger - einem führenden Berliner Architektenteam der Wirtschaftswunderzeit - einen ersten optimistischen Akzent in der fast leergefegten Stadtlandschaft dar. Der isolierte Solitär signalisierte die bewusste Abwendung von der Enge und Geschlossenheit der einstigen Stadt. Gleichzeitig kam er einem weithin sichtbaren Versuch zur Wiederbelebung des alten Medienviertels rund um das legendäre Mosse-Haus von Erich Mendelsohn gleich. Als formale Weiterentwicklung des 1926 von Eugen Schmohl in Tempelhof realisierten Ullstein-Turms erinnerte er aber nicht nur an die Tradition des Berliner Druckwesens, sondern bezog sich auch auf die Architekturgeschichte Berlins.

In den achtziger Jahren übernahm die GSW das Hochhaus des Graphischen Gewerbezentrums mit der Absicht, hier ihren neuen Hauptsitz zu errichten. Der mit dem Bauprojekt beauftragte Helge Pitz schlug 1986 vor, das Turmhaus zu restaurieren und im Sinne der damals im Rahmen der IBA diskutierten «Kritischen Rekonstruktion» mit einer klassischen Blockrandbebauung zu fassen. Doch dem Entwurf erwuchsen Widerstände. Sie führten dazu, dass die GSW 1990 einen Wettbewerb ausschrieb, aus dem Sauerbruch und Hutton vor Benedict Tonon als Sieger hervorgingen. Kernstück ihres Konzepts war das Punkthochhaus von Schwebes und Schloszberger. Dieses war - obwohl in der Tradition der ersten von Schmohl in den zwanziger Jahren über quadratischem Grundriss realisierten Hochhäuser - schnell zu einer typologischen Ausnahmeerscheinung in der südlichen Friedrichstadt geworden: Alle danach in dieser Gegend entstandenen Wolkenkratzer gehören nämlich zum Typus des Scheibenhochhauses.


Typologische und historische Bezüge

Das erste Scheibenhochhaus war das von Axel Springer an der Grenze zu Ostberlin unmittelbar nach dem Mauerbau in Auftrag gegebene und 1966 vollendete Springer-Haus. Fünf Jahre später entstand dann am Landwehrkanal nach Plänen von Prosper Lemoine die 29geschossige Aluscheibe des Postgiroamtes. Auf die Provokation dieser Monumente des westlichen Wirtschaftswunders antwortete die DDR in den Jahren 1972-82 mit dem Bau von vier 25geschossigen Doppelhochhausscheiben. Die nach den Plänen von Joachim Näther und Peter Schweizer an der zum modernsten Boulevard Ostberlins umfunktionierten Leipziger Strasse erstellten Bauten sollten im Sinn eines kämpferischen «Dialogs über die Mauer» nicht zuletzt das 22stöckige, bronzene Springer- Hochhaus in die Knie zwingen.

Unabhängig von ihrem Standort in Ost oder West gleichen sich all diese Hochhäuser insofern, als sie jeweils aus einem Flachbau und einer dazu komponierten Scheibe bestehen. Indem nun Sauerbruch und Hutton das bestehende Punkthaus um eine Scheibe und zwei Flachbauten erweiterten, verknüpften sie es typologisch mit den benachbarten Hochhäusern. Gleichzeitig verankerten sie den Altbau in einem übergeordneten städtebaulichen System, aber auch im Œuvre von Schwebes und Schloszberger, von denen auch das Telefunken-Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz und das Zentrum Zoo stammen. In diesen Bauten darf man den Schlüssel zur Konzeption des GSW- Blocks sehen. Ist doch eines der grossen Themen der GSW-Anlage die Neuinterpretation und Weiterentwicklung des Zukunftspotentials der Fünfziger-Jahre-Moderne.

Dieser kreative Umgang mit der Nachkriegsarchitektur, dem architektonischen Kontext und der gebauten Stadt wurde wegen des hochhausfeindlichen Berliner Klimas zunächst kaum verstanden. Doch die GSW erwies sich als vorbildliche Bauherrin, die ihr Projekt gegen alle Widerstände aus Kreuzberg und aus dem Berliner Senat durchboxte. Entstanden ist eine formal virtuose und dennoch sorgfältig ausbalancierte Komposition von alten und neuen Baukörpern, von horizontalen und vertikalen Volumen. Dem massigen Turm von Schwebes und Schloszberger antworten die beiden dreigeschossigen, mit dunkel glasierten Steingutplatten verkleideten Sockelbauten. Obwohl einer davon als leicht geschwungener, zum Eingang hin rhythmisch beschleunigter Flachbau die Kochstrasse fasst, handelt es sich hier nicht um eine sklavische Rekonstruktion des einstigen Blocks. Einzig die aufgesetzte «Pillbox» aus giftig grün bemaltem Wellblech spielt - gefährlich über den Gebäuderand verschoben - mit leichter Ironie auf die umstrittene Berliner Traufhöhe an. Der gleichermassen sinnliche wie theoretisch fundierte Umgang mit Materialien, Farben und Texturen zieht sich von hier als Leitmotiv durch die ganze Anlage hindurch. - Das neurenovierte Punkthochhaus, das einstmals etwas verloren in einer neorealistisch anmutenden Ödnis stand, wird zwar kontrastreich von der transparenten Scheibe und den erdenschweren Sockeln gefasst, bleibt aber von Süden und Osten her weiterhin als freistehender Solitär erkennbar. Das leicht und elegant, ja fast etwas frivol anmutende Scheibenhochhaus bedrängt den Turm nicht. Vielmehr rückt es dessen formale und konstruktive Qualitäten sowie seine fast minimalistische Strenge in ein neues Licht und lässt diesem Architekturdenkmal endlich Gerechtigkeit widerfahren. Die gemeinsame Erschliessung der beiden Hochhäuser im Verbindungsbereich führte zwar zu einer vom architektonisch-ästhetischen Standpunkt aus riskanten Verschmelzung, erlaubte es aber im Gegenzug, die alte Fluchttreppe, die zuvor den Grundriss des Turms verunklärte, zu entfernen und diesen seinem Idealzustand näherzubringen.


Schwebende Scheibe

Spektakulär gibt sich vor allem die seitlich auskragende Scheibe, die auf den beiden Flachbauten wie aufgesetzt scheint. Der Eindruck des Schwebens wird durch den bananenförmigen Grundriss, der dieser Glaskonstruktion die Starrheit älterer Hochhausscheiben nimmt, noch verstärkt. Allerdings ist das scheinbare Wunder der Schwerelosigkeit nur möglich dank der Tragkonstruktion von Ove Arup, die das Riesengewicht des gläsernen Kolosses auf wenigen Stützen und Mauern im Innern der Sockelbauten in die Tiefe führt. Nicht weniger interessant ist das auf einer «Low-Tech-Konzeption bezüglich Heizung, Lüftung und Belichtung» beruhende energetische Programm. Es wird für die Betrachter vor allem in der doppelschichtigen Konvektionsfassade des Glashochhauses sichtbar: In dieser steigt die durch die Sonneneinstrahlung erhitzte Luft auf, saugt - vereinfacht formuliert - eine Brise von der sonnenabgewandten Seite her durch das Gebäude und kühlt und belüftet so die Büros ganz natürlich. Als Zeichen dieser sanften Klimatisierung und als direkter Sonnenschutz der Arbeitsplätze fungieren die an der Westfront zu Dreiergruppen in den Farben Gelb bis Bordeaux angeordneten Lamellen aus Lochmetall, die individuell verstellt werden können. Obwohl die Farbflächen rein intuitiv verteilt wurden, entsteht ein stetig wechselndes Fassadenbild von fast konkreter Wirkung, dem jede preussische Strenge abgeht.


Verantwortung für die Umwelt

An schwülen, sonnenlosen Tagen unterstützt ein flügelartiger Dachaufsatz die Thermik der Konvektionsfassade. Der auskragende Spoiler an der Südwestecke des Gebäudes hingegen dient zum Auffangen der Fallwinde, die an jedem Hochhaus auftreten. Dieses Baudetail, das man an anderen Wolkenkratzern vergeblich sucht, trägt viel zur Annehmlichkeit auf der Charlottenstrasse bei. Aber auch sonst wurde dem Aussenraum viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jeder der drei das Grundstück begrenzenden Strassenräume wurde individuell behandelt: Bald weitet sich an der Kantstrasse der Gehsteig, dann wieder tun sich an der Markgrafen- und an der Charlottenstrasse parkartige Freiflächen auf, und Durchgänge locken die Besucher wie selbstverständlich ins Innere. Hat man - vorbei an den Geschäften im Erdgeschoss - von der Koch- oder von der Charlottenstrasse aus die seitlich verglaste Eingangshalle betreten, befindet man sich unter einer expressiv aufgestülpten Dachlandschaft, die aussieht, also ob sich hier zwei tektonische Platten überlagerten. Durch die so entstandenen Oberlichter ergeben sich Ausblicke auf die sich darüber auftürmenden Baukörper.

Irritiert der lange Sockelbau im Innern durch seine fast metaphysischen Gangfluchten, so verführt der grosse Sitzungssaal im Sockelbau an der Charlottenstrasse mit seinem Fünfziger-Jahre- Charme. Verglichen mit der Grosszügigkeit dieses Saals wirken die Räume in der «Pillbox» geradezu verstellt. Denn statt den um einen zentralen Erschliessungskern auf eiförmigem Grundriss geplanten Grossraumbüros entstanden ausgerechnet in dieser «Folly» Kleinbüros. Die einzelnen Etagen des Glashochhauses hingegen wurden für Grossraum- oder für entlang einem Mittelgang aufgereihte Einzelbüros konzipiert, so dass in jedem Fall die Transparenz erhalten bleibt und das Prinzip einer möglichst natürlichen Belüftung und Belichtung nicht beeinträchtigt wird.


Dezentrales Projekt der Expo 2000

Zuoberst auf dem Glashaus findet sich statt der ursprünglich vorgesehenen corbusianischen Dachlandschaft die Haustechnik und das aerodynamische Segel. Dabei wäre dies ein idealer Ort gewesen für einen öffentlichen Raum - eine Sky- Bar etwa. Denn die Sicht von hier oben ist grandios: Man erlebt das Gebäude im Kontext der anderen Hochhäuser und sieht vom Potsdamer Platz über den Reichstag bis hin zum Fernsehturm am Alexanderplatz die Highlights der urbanen Landschaft. Vor allem aber kann man die Blitzform von Libeskinds Jüdischem Museum erkennen. Neben diesem gefeierten Meisterwerk darf sich das GSW-Hochhaus sehen lassen, hat doch diese zukunftsgerichtete und - wie in Kreuzberg kaum anders zu erwarten - ökologisch angehauchte Anlage bereits höchste Weihen erhalten: Als dezentrales Projekt der Expo 2000 in Hannover wird sie die architektonischen, urbanistischen und ökologischen Möglichkeiten der heutigen Metropole und Aspekte einer zeitgemässen, weder nostalgischen noch historisierenden Stadtreparatur veranschaulichen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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