Bauwerk

Schwarzenbergplatz - Neugestaltung
Alfredo Arribas - Wien (A) - 2004

Ein Mann sieht rot

Die Neugestaltung des Schwarzenbergplatzes ist noch gar nicht fertig und schon ein Skandal. Jedenfalls, wenn man sie mit den Augen der „Presse“ betrachtet.

10. Dezember 2003 - Jan Tabor
Wenn zwei oder drei (zum Beispiel Zeitungen oder Pressefotografen) dasselbe darstellen, dann ist es nie dasselbe, ja nicht einmal das Gleiche. Kürzlich wurden in zwei Wiener Zeitungen illustrierte Berichte über die Neugestaltung des Schwarzenbergplatzes veröffentlicht. Anlass war bloß der Abschluss der Arbeiten an den Verkehrsanlagen und den Fahrbahnen, nicht die Fertigstellung der Platzgestaltung, die erst im Sommer 2004 erfolgen soll.

Der Fotograf der Wiener Zeitung, Smutny, hat den Platz vom Hochstrahlbrunnen aus Richtung Ringstraße abgebildet, wobei seine Aufmerksamkeit offensichtlich der gesamträumlichen Wirkung und der Oberfläche galt. In seinem Bericht „Grauer Schwarzenbergplatz“ (7.11.03) stellt Florian Smutny (vermutlich identisch mit dem Fotografen Smutny) genauso lapidar, wie sein Foto ist, fest, dass die Neugestaltung die Längsausrichtung des Platzes betonen soll und dass auf die Pflanzung von Bäumen verzichtet wurde, weil es dem historischen Charakter des Platzes entspricht. Ein tadelloser Bericht. Informativ und der Wirklichkeit, also der Wahrheit, nah. Der Platz wirkt wirklich grau. Das ist angenehm.

Der Schwarzenbergplatz ist noch nicht fertig - und wird bereits von der Presse, dem Kampfblatt des österreichischen Spießbürgertums, fertiggemacht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie Hans Haider die Presse-Fotografin Michaela Seidler instruiert hat, wie sie den Schwarzenbergplatz Presse-gerecht und in Farbe aufnehmen soll - so ganz von unten gegen den Himmel, in jener Kurve und auf jener Kreuzung, in/auf der sich die Lichtmaste, die Straßenbahn-Oberleitungsseile und sonstige Verkehrszeichen zu dem gewünschten Eindruck verdichten, der in dem Bildtext folgendermaßen zusammengefasst ist: „Wiens Schwarzenbergplatz gleicht einem Bahnhof“. Alle Ampeln - neun auf einmal - sind auf Rot geschaltet, im Hintergrund - im Zentrum der Bildkomposition, das Foto ist ein Meisterstück der Manipulation - steht das ungeliebte Russenmahnmal. Hans Haider sieht rot.

„Plumpe Lichtmasten, die meisten auch zur Verspannung von Straßenbahn-Oberleitungen eingesetzt, erzürnen seit Wochen auf dem neu gestalteten Wiener Schwarzenbergplatz die Passanten.“ Haider, der bewährte Kultur-Allrounder des bürgerlichen Blattes, hat am 18. November wieder einmal als Architekturkenner zugeschlagen. Unter der Schlagzeile „Design-Desaster am Schwarzenbergplatz: Architekt nennt Wien Bananenrepublik'“ verfasste er keinen Bericht, sondern eine Mischung aus Lokalreportage vom Tatort, Adabei-Kolummne und Architekturkritik mit einem kurzen Exkurs in die Geschichte des Städtebaus sowie einem Interview mit dem spanischen Architekten Alfredo Arrabas.

Thomas Chorherr, Doyen des originären Presse-Journalismus, schildert in seiner Kolumne „Merk's Wien“ unter dem Titel „Die Verschandelung der Stadt“ am 24. November seine Wahrnehmungen vom Schwarzenbergplatz. „Nein, hier soll nicht von dem Schmutz die Rede sein, in den wir allzu oft hineintreten. Auch nicht jener ist gemeint, den die gefiederten Ratten hinterlassen. Es gibt auch Schmutz, der nur optisch wahrnehmbar ist. Es gibt eine Verschandelung, die wir nur mit den Augen erfassen können - weder Hunden noch Tauben ist da Schuld zuzumessen.“ Chorherr lobt Hans Haider für all den Blödsinn, den er über den Schwarzenbergplatz geschrieben hat (er dürfte der einzige erzürnte Passant sein, den Haider kennt) und bezeichnet Holleins Flugdach vor der Albertina als „optisches Verbrechen“. Was er appetitlich begonnen hat, schließt er poetisch ab: „Es schmerzt alles dies ein Kind der Stadt'“, ruft er Anton Wildgans herbei. „Weil man glaubt, dass ein Stadtkind keine Heimat hat'. Falsch!“

In der Tat. Im Standard, der sich des Falles am 26. November unter einem Foto von Heribert Corn annimmt, dementiert Architekt Arribas „alle ihm in einer österreichischen Zeitung zugeordneten Zitate (...) Insbesondere den Satz, Wien sei eine Bananenrepublik'“. Corn lässt den Sieger in der Völkerschlacht bei Leipzig, Karl von Schwarzenberg, durch die Mastenreihen ruhig defilieren, das Russendenkmal wird in den Nebel des Hintergrundes verschoben, keine einzige auf Rot geschaltete Ampel stört die fast idyllische Gelassenheit des verdrahteten Himmels über den neu abgesteckten Platz in Corns Momentaufnahme.

Man soll nicht vergessen: Die Ringstraße ist kein Ring, sondern ein Polygon, dessen meisten Brüche dort entstanden sind, wo es galt, die wichtigen Radialstraßen mit dem Ring zu verbinden. Die Planer damals rechneten weder mit dem Straßenbahn- noch mit dem Autoverkehr. Das heißt: Diese Plätze sind zugleich die wichtigsten Kreuzungen. Sie als Plätze gelten zu lassen und dabei die Verkehrsbedingungen zu erfüllen, ist überaus schwierig. Das Draht-Firmament über derartigen Plätzen ist unvermeidbar, um nicht zu sagen: unverzichtbar - denn Straßenbahnoberleitungen gehören zum Stadtbild jeder normalen Großstadt.

Der Schwarzenbergplatz ist noch nicht fertig. Das, was bereits feststeht - die Aufteilung der Oberfläche in die einzelnen Verkehrsbereiche, Fahrbahnen, Straßenbahngleisanlagen und -stationen samt Oberleitungen sowie Gehsteige und Radwege und vor allem die Lichtmaste und die Scheinwerfer samt der Nachtbeleuchtung -, das alles lässt die Erwartung zu, dass der Umbau des Schwarzenbergplatzes zu einem seltenen Fall einer überaus gelungenen Platzgestaltung werden kann. Sowohl die Verkehrslösung - einschließlich der Verlängerung der Parkfläche vor dem Hochstrahlbrunnen - als auch die Reihung und Linienführung der Lichtmaste sind tadellose, der schwierigen Form des Platzes adäquate Lösungen.

Die dadurch entstehende Raumbildung befreit und betont die Mittelachse und die beiden Fassadenseiten. Der Platz wurde entrümpelt, vereinfacht, übersichtlich und damit für seine Benutzer begreiflich gemacht. Die Architektur des Platzes - die Form wurde vom Reiterdenkmal abgeleitet - kommt wieder zur Geltung.

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