Bauwerk

Haus am See
Eichinger oder Knechtl - Niederösterreich - 2004
Haus am See, Foto: Eduard Hueber
Haus am See, Foto: Eduard Hueber

Das Haus der Jäger und Sammler

Eichinger oder Knechtl verstrickten Kunst, Architektur, Design zu einem sehr privaten und in jedem Detail außergewöhnlichen Wohnhaus für die Künstler Anna Heindl und Manfred Wakolbinger: Ein Wohngebilde zwischen Zeiten und Welten.

3. Januar 2004 - Ute Woltron
Die Sesshaftwerdung ist ein Evolutionsschritt, der für manche nur schmerzhaft zu vollziehen ist - oder andersherum: einer, der in modernen Nomadenzeiten für viele wieder an Schmerzhaftigkeit zu gewinnen scheint. Doch wie auch immer: Anna Heindl und Manfred Wakolbinger sind sowieso nicht von dieser Zeit und dieser Welt, sie bewegen sich in einer eigenen Zone dazwischen, und dort haben sie sich nun - gut versteckt und für Nicht-Eingeweihte unerreichbar - niedergelassen.

Die beiden umgibt eine Aura des Jäger-und-Sammlerhaften, irgend etwas, das eher blattgrün und erdbraun ist als neonfarben. Beide sind Künstler, beide nicht von der ewig ringenden, lautstark selbstzerfleischenden Art, sondern von einer eleganteren, ruhigen, vielschichtigen. Heindls Schmuckobjekte sind wie edelstein- und metallgewordene Lebewesen, Wakolbingers Skulpturen wirken auch eher lebendig als tonnenschwer, und seine Unterwasserfotos zeigen das, was Millionen von Tauchern übersehen, wenn sie zivilisationsblind durch die Korallenmeere hasten: Das Leben zwischen den Ritzen, das Kleine, Bizarre, Absurde abseits der bedauernswerten, vom touristischen Sensationsinteresse umschwommenen Wal- und Hammerhaie.

Was kann das also für ein Haus sein, das sich diese beiden bauen? Wie wohnen die Jäger und Sammler, die eigentlich in Galerien, Ateliers, Museen und in der Ferne daheim sind? Sie wohnen gut versteckt auf einem nach langer Pirsch entdeckten Grundstück an einem See irgendwo bei Wien. Bäume, Felder, geduckte Häuslein hinter Gebüsch, viel Himmel, Wolken, Wasser. „Dieses Grundstück“, sagt Wakolbinger, „hat vier Jahrzehnte auf uns gewartet.“

Während Architekt Gregor Eichinger damals Grund, Boden, Sonneneinfall, Hauptwindrichtung prüfte, tauchten Heindl und Walkolbinger zur Erkundung der Unterseelandschaft ab und trafen die nachbarschaftlichen Karpfen und Hechte. Dann einigte man sich vorort auf die Anforderungen an das zu planende Haus: Ein offener Wohnbereich, ein Schlaf-, ein Badezimmer, ein separates Gästehäuschen. Alles andere blieb Zwischenwelt, den Kunstfertigkeiten der Architekten Eichinger oder Knechtl überlassen - und den Künstlern: Den anonymen, deren Produkte man aus Afrika, Asien mitgebracht hatte, den befreundeten, die das Gebäude würden bespielen dürfen, und nicht zuletzt sich selbst.

Knapp zwei Jahre später steht es, mit Terrassen und gut durchdachten Außenzonen für jede Tages- und Jahreszeit ausgestattet, und mit einem Zubau für Gäste (Ausführungsplanung: Johannes Kaufmann) ergänzt, fixfertig auf dem Seegrundstück: Ein aufmerksames Haus, doch das bemerkt man erst innen. Die Fenster schneiden Bildausschnitte in die Landschaft, und Spähscharten. Geschlossenheit zum Weg, Offenheit zum See. Konstruktiv betrachtet ist es eine stützenfreie Stahlbetonröhre, die der Länge nach auf drei Betonscheiben liegt und auf allen Seiten ein wenig auskragt. Außen ist sie samtig glatt mit Alucobond (biegbare Aluplatten mit Kunststoffkern) verkleidet und witterungsfest gemacht, innen liegt die raue Betonoberfläche unbehandelt nackt.

Innen, das ist erst einmal der große hohe Raum, der das gesamte Obergeschoß bildet und durch Fenster, Kamin, zwei Niveausprünge jeweils an den Enden sowie einen eingeschobenen Lift- und WC-Block gegliedert wird. Ein enormer Wohn-Arbeits-Koch-Raum. Der Beton schafft eine warme, heimelige Atmosphäre. Ein paar Kübel Farbe an den Wänden hätte hier alles zerstört. Doch die Farbe darf in diesem Haus an anderer Stelle und in anderer Form subtiler zu ihrem Recht gelangen.

Zum Beispiel als großformatiges Wandbild, von Franz Graf eigens für die raumhohe Schiebewand zur Küche hin gemacht. Oder als von Eva Schlegel für die gläserne Eingangsfront erdachte doppelte und raffinierte Intervention. Oder als wandverkleidende Stoffbahnen im unteren Bereich, wo das Badezimmer und das Schlafzimmer - eigentlich ein einziger, durch ein gläsernes Regal geteilter Raum - seeseitig hinter Glas liegen: Wunderbare Muster, erdige Farben, Stoffe aus Indonesien und Afrika. Peter Kogler entwarf den Vorhangstoff, der, wenn zugezogen, vor dem vollverglasten Bad-Schlafbereich zu einer glatten, rosaweißgrauen Schlierenwand wird.

Eichinger oder Knechtl boten zu all dem die perfekte Hülle und konnten zudem in diesem Haus ihr Verständnis von Raum- und Möbelkunst voll ausspielen: Die Aufzugskabine wurde zum Vorraum, durch den man das WC oben betritt. Die Türen im Badezimmer unten werden zu Kastenelementen, die Glasregale zu Fenstern, je nach Position der Türflügel. Eine Bibliothek verschwindet auf Rollen im Podest, das den erhöhten Arbeitsplatz im Hauptraum bildet. Türen werden in Holzpaneelen unsichtbar. Ein gläsernes Stiegengeländer ist zugleich Vitrine für schwere Kupferskulpturen von Manfred Wakolbinger. Der offene Kamin wird doppelt verglast zum spektakulären Schaufenster auf dem See. Alles hat einen zweiten Sinn, einen neuen Dreh, doch nie aufgesetzt und immer mit Funktion erfüllt.

Die verwendeten Materialien: Bei 200 Grad dunkelgebackenes Buchenholz, Glas, Beton, Stoffe, gebürsteter Stahl, Aluminium, Rauleder. Eine Kombination von ganz Rohem mit auf höchster Ebene Veredeltem. Dieses Haus am See konnte nur durch perfekte Symbiose zwischen Bauherren und Architekten entstehen: Es ist das extrem private Refugium zweier Künstler, nach außen geschlossen, nach innen so weit wie die ganze Welt, an keiner Stelle nervös. Irgendwie zwischen den Zeiten.

[Ausstellung: Manfred Wakolbinger. Bottomtime
MAK Stubenring 5, 1010 Wien, bis 22.2.04]

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