Bauwerk

Jüdisches Museum
Studio Daniel Libeskind - Berlin (D) - 1999
Jüdisches Museum, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES
Jüdisches Museum, Foto: Klaus Frahm / ARTUR IMAGES

Nicht nur Opfer der Geschichte

Das Jüdische Museum Berlin - ein deutsches Geschichtsmuseum.

5. September 2001
Als das Jüdische Museum Berlin noch leer stand, strömten Hunderttausende in den bizarren Zick-Zack-Bau des US-Architekten Daniel Libeskind. Wenn an diesem Sonntag (9.9.) das Haus mit seiner Dauerausstellung eröffnet wird, erhält die deutsche Hauptstadt einen neuen Publikumsmagneten. Museumsdirektor W. Michael Blumenthal gibt sich mit Einzelheiten zu der Schau mit ihren mehr als 3.900 Exponaten bis zuletzt reserviert. „Sie würden nur über Kabel stolpern“, begründet er das Verbot für eine Vorbesichtigung.

Erst nach einem Konzert mit Daniel Barenboim und dem Chicago Symphony Orchestra will der frühere US-Finanzminister 850 Gäste aus aller Welt erstmals durch den eingerichteten Libeskind-Bau führen. Zu dem Festakt werden unter anderem Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der frühere US-Außenminister Henry Kissinger erwartet. Für die Zeit danach richten sich die Museumsleute auf einen Ansturm ein: Bis zu 6.000 Besucher täglich sollen an 363 Tagen im Jahr die Ausstellung über 2000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte besichtigen können.

Wettlauf gegen die Zeit

Nicht der Holocaust steht im Mittelpunkt des Museums, auch wenn die Ermordung der Juden einen zentralen Platz einnimmt. „Das Jüdische Museum ist ein deutsches Geschichtsmuseum“, sagt Blumenthal. „Man kann die deutsche Geschichte nicht ohne den Holocaust erzählen.“ Schon das als zerborstener David-Stern für 120 Millionen Mark (61,4 Mill. Euro/844 Mill. Schilling) errichtete Museumsgebäude in Berlin-Kreuzberg ist ein deutlicher Hinweis auf den Massenmord. „Doch unsere Aufgabe als Staatsmuseum ist es auch, die Besucher daran zu erinnern, dass die deutschen Juden normale, schaffende Bürger waren.“

Bis zuletzt hatten der Museumsgestalter Ken Gorbey und Dutzende Wissenschafter und Techniker an der 3.000 Quadratmeter großen Ausstellung gefeilt. „Es war ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagt der 59-jährige Neuseeländer, der sich als Gestalter des Te-Papa-Nationalmuseums seiner Heimat einen weltweiten Ruf erworben hat.

Kein „jüdisches Disneyland“

Gorbey hat die Berliner Schau als „erzählendes Museum“ konzipiert und dabei auch nicht auf Multimedia verzichtet. Das hat ihm den Verdacht eingetragen, er plane ein „jüdisches Disneyland“. Doch Gorbey weist die Kritik zurück: „Das alte Museum behauptet stets, alles besser zu wissen als der Besucher.“ Mit modernen Mittel sollen vor allem Menschen angelockt werden, die sonst nicht ins Museum gehen - die Jugendlichen und auch ihre Großeltern.

„Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Frage: Was bedeutet es, heute ein Jude zu sein?“, sagt Blumenthal. Auf 13 Stationen wird mit Objekten aus dem Alltag, Dokumenten und Kunstwerken das Leben der Juden in Deutschland nacherzählt - von den Anfängen unter den Römern, dem Leben im Mittelater bis hin zur gescheiterten Integration im 19. Jahrhundert, der Aufbruchstimmung in der Weimarer Republik und der Verfolgung unter den Nazis. Zum Abschluss wird das Leben der Juden im heutigen Deutschland dargestellt.

Vielfalt des Alltags

Als erstes Originalobjekt stoßen die Besucher beim Rundgang auf eine im 10. Jahrhundert entstandene Abschrift eines Dekretes aus dem 4. Jahrhundert. In diesem sehr frühen Dokument über jüdisches Leben in Deutschland hatte der römische Kaiser Konstantin die Juden von Köln aufgefordert, sich trotz religiöser Pflichten an der Gemeindearbeit zu beteiligen.

Neben Kultgegenständen wie beispielsweise Beschneidungsbesteck für junge Knaben aus mehreren Epochen sind auch Alltagsobjekte zu sehen - von den Brillengläsern des Philosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) bis zu Preisschildern aus dem Kaufhaus Wertheim. Als Beispiel für das moderne jüdische Leben sind Kühlschrank-Sticker für die Trennung von koscherem Essen oder Barbie-Puppen in jüdischer Hochzeitstracht ausgestellt. „Wir wollen das Leben der Juden in seiner Vielfalt zeigen und nicht nur als Opfer der Geschichte“, sagt Blumenthal.

In der Obhut des Bundes

Der 1926 in Oranienburg bei Berlin geborene Museumsdirektor kehrte 1997 als Retter in der Not in seine frühere Heimat zurück. Damals drohte das Projekt an der Frage zu scheitern, ob das Museum autonom oder Teil des Berliner Stadtmuseums sein sollte. Blumenthal setzte sich erfolgreich für die Autonomie ein und führte es schließlich in die Obhut des Bundes über, der jährlich 25 Millionen Mark zahlt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Senatsverwaltung für Bauen und Verkehr

Tragwerksplanung

Landschaftsarchitektur

Fotografie