Bauwerk

protestant church „Arche“
Christoph Thetter - Wien (A) - 1997
protestant church „Arche“, Foto: Margherita Spiluttini
protestant church „Arche“, Foto: Christian Kühn

Der schöne Name „Arche“

Die räumliche Umsetztung eines zeitgemäßen Verständnisses von Gemeinde: Nichts weniger ist Christoph Thetter mit dem evangelischen Pfarrzentrum am Leberberg in Wien Simmering gelungen.

2. Mai 1998 - Christian Kühn
Auf der grünen Wiese Stadtplanung betreiben zu dürfen hat nichts von seiner Faszination verloren. Am Anfang stehen alle Möglichkeiten offen: Gemüsefelder, ein paar Straßen, Gstetten und Glashäuser. Dann kommen die Zahlen: Bodenpreise, Bebauungsdichte, Verkehrsströme. Je größer das Areal, desto größer die Chance, mit diesen Parametern zu spielen, Kontraste zu schaffen, Ruhe und Bewegung gegeneinander zu setzen, weite Grünräume und dicht bebaute Zonen. Die Zahlen verwandeln sich in städtischen Raum, der im glücklichsten Fall, wie es Le Corbusier einmal ausgedrückt hat, „als Quelle der Poesie unseren Geist aktiviert“.

Auch die Wiener Stadterweiterungsgebiete der letzten zehn Jahre aktivieren den Geist, allerdings nicht als Quelle der Poesie, sondern als Quelle der Enttäuschung über vergebene Chancen. An der nötigen Dimension hätte es nicht gefehlt, auch nicht an diskussionsfreudigen Beiräten und wohlmeinenden Konzepten. Aber letztlich hat sich die Mentalität der Liegenschaftsverwerter durchgesetzt und die Stadtplanung marginalisiert. Wo Zusammenhänge zu schaffen gewesen wären, steht Stückwerk in der Landschaft herum; wo es um die Konzentration auf die Übergangs- und Zwischenbereiche gegangen wäre, dominieren banale urbane Figuren, zwischen denen sich ungelöste Restflächen auftun.

Ein Musterbeispiel für diesen Verlust städtebaulicher Kultur ist der Leberberg in Wien-Simmering. Hier hat man auf ein konservatives, den klassischen Stadtraum scheinbar wiederbelebendes Konzept gesetzt: ein annähernd halbkreisförmiger Park in der Mitte, darum herum eine Art Ringstraße mit bis zu siebengeschoßiger Bebauung. In natura bleibt die klassische Figur eine oberflächliche Geste: trotz großer Dichte entsteht kein klar konturierter Stadtraum, vor allem deshalb, weil die Beziehung zwischen Stadtgrundriß und Bautypologie nicht stimmt. Die Wohnhäuser selbst sind - mit wenigen ambitionierten Ausnahmen - modifizierte Zeilenbauten, die von der Banalität ihrer Grundrisse durch grelle Farben und ornamentale Details ablenken wollen.

In einem solchen Kontext einen Sakralbau zu errichten ist eine besonders heikle Aufgabe. Weder in der Baumasse noch in der Höhe kann eine Pfarrkirche hier mit der Umgebung konkurrieren: Entscheidend ist die richtige Situierung. Ursprünglich wäre am Leberberg die zentrale Lage am Park dafür vorgesehen gewesen. Dort steht jetzt die Volks- und Hauptschule: ein kühler, sehr eleganter Bau der Architekten Henke und Schreieck. Der Standort für die evangelische und die katholische Kirche wurde aus der Achse versetzt und nimmt nun annähernd die Fläche eines jener Baublocks ein, von denen die Ringstraße gesäumt ist. Vom Park getrennt ist das Areal durch eine Erschließungsstraße und die Trasse der Straßenbahn. Im Osten anschließend entsteht gerade ein großes Einkaufszentrum.

Funktionell ist dieses Ensemble durchaus legitim: Es liegt in der Mitte der Siedlung, die öffentlichen Bauten reihen sich entlang der inneren Erschließungsstraße auf. Räumlich ist die Lösung allerdings vollständig entgleist, ein ungeordnetes Nebeneinander von Formen, die aufeinander keinerlei Rücksicht nehmen. - Natürlich kann man das städtebauliche Konzept dafür nicht allein verantwortlich machen. Das Denken in größeren räumlichen Zusammenhängen wird von den Bauträgern kaum je als ein Wert erkannt.

Auch beim Wettbewerb für die katholische Kirche hatte das in dieser Hinsicht überzeugendere Projekt keine Chance. Der Entwurf des Ateliers in der Schönbrunner Straße sah vor, zwischen katholischer und evangelischer Kirche einen öffentlichen Platz aufzuspannen und den zusätzlichen Nutzungen für Kindergärten und Pfarrerwohnungen eigene, intimere Freibereiche zuzuordnen. Das bauliche Konzept für die Kirche nahm das Papst-Wort von der Kirche als „gläsernem Haus“ zum Anlaß, den Kirchenraum in eine Glashaut einzukleiden, hinter der es aber durchaus eine Folge von Abschirmungen gegeben hätte, ohne die ein Sakralraum nicht funktionieren kann.

Ob es nun an der Idee der Transparenz an sich lag oder an der schlichten kubischen Form der Kirche: Das Projekt wurde von Kardinal Groer entgegen dem Vorschlag der Jury abgelehnt. Zur Ausführung kam der Entwurf des Dombaumeisters von St. Stephan, Wolfgang Zehetners, bei dem sich drei Baugruppen ängstlich um einen ovalen Platz zusammendrängen und der Außenwelt den Rücken kehren. Walter Michl und Walter Zschokke, die das Projekt für die Ausführung zu überarbeiten hatten, haben viele Details verbessert, an dem in jeder Hinsicht kleinlichen, angesichts des Kontexts geradezu absurden Grundkonzept konnten sie aber nicht rütteln.

Das evangelische Gemeindezentrum mit dem schönen Namen „Arche“ zeigt nebenan jedenfalls einen weit schlüssigeren Ansatz, mit den widrigen städtebaulichen Umständen fertig zu werden. Geplant wurde es von Christoph Thetter, der als Mitglied des Ateliers in der Schönbrunner Straße schon am Projekt für die katholische Kirche beteiligt war. Er hat alle Teile des Pfarrzentrums - die Kirche, den Kindergarten und die Pfarrerwohnung - in eine langgestreckte Großform mit Innenhöfen und überdeckten Laubengängen zusammengefaßt. Das Kirchenschiff erhebt sich als lärchenholzverkleideter Kubus von zwölf mal zwölf mal zwölf Metern aus einem hell verputzten Sockel von Nebengebäuden. Bis zur Höhe von 2,5 Metern ist der Kirchenraum rundum verglast, der Luftraum darüber wird von einem umlaufenden Oberlicht erhellt.

Proportionen und Details sind stimmig, die Atmosphäre ist leicht und freundlich - im Umfeld der plumpen Wohnbebauung rundum tatsächlich eine Oase. Man kann sich gut vorstellen, daß ein solches Hofkonzept in einem größeren Maßstab imstande gewesen wäre, auch in der Simmeringer Heide einen sakralen, ganz besonderen Ort entstehen zu lassen.

Zur Definition eines solchen Orts ist das Gemeindezentrum, wie es jetzt in seinem Umfeld steht, aber doch um eine Nummer zu klein. Auf den Photos, die geschickt die Umgebung ausblenden, wird das nicht so deutlich spürbar. Im Überblick wirken aber selbst die gut proportionierten Baumassen der evangelischen Kirche kaum weniger verloren als jene der katholischen. Die geringe Dimension wirkt sich auch auf die Qualität der Höfe aus, die hier in ihrer achsialen Anordnung mit Wasserbecken und im Raster gesetzten Bäumen schematisch und nicht wirklich brauchbar wirken.

Daß ein Hofkonzept auf so engem Raum anderen Spielregeln gehorchen muß, hat Roland Rainer in einer Kirche vorgeführt, die zu den besten Beispielen eines zeitgenössischen Sakralbaus in Wien gehört, der evangelischen Kirche in der Braunhubergasse aus dem Jahr 1962. Es ist kein Zufall, daß sich Themen dieser Kirche am Leberberg wiederfinden: Es handelt sich um dieselbe Gemeinde, und einige Mitglieder des Baukomitees für den Leberberg waren schon damals beteiligt.

Vergleicht man die beiden Kirchen, fällt vor allem auf, daß Rainer die Wege in der Anlage wesentlich präziser gefaßt hat. Während es am Leberberg mehrere gleichwertige Eingänge gibt, hat Rainer den Haupteingang deutlich markiert und inszeniert von dort aus in einer spiralförmigen Bewegung die Annäherung in den Kirchenraum. Statt die Räume an einer Hauptachse aufzureihen, ordnet er sie rund um den Innenhof an und gibt der Anlage damit eine Dynamik, die den kleinen Maßstab vergessen macht.

Daß die spezifische Spielart der Moderne, wie sie Rainer repräsentiert, eine elementare Kraft hat, die heute noch beeindruckt, hat viele Gründe. Sie war sicher weniger schematisch und weniger ins elegante technische Detail verliebt, und sie hat ganz allgemein mehr riskiert. Die neue Kirche am Leberberg ist technisch perfekter, ihre Formensprache ist durch viele Destillationsvorgänge seit den sechziger Jahren gereinigt, aber sie hat damit auch an Atmosphäre verloren. Bei Rainer merkt man dagegen, daß er sich einer Tradition verbunden fühlt, die er in vielen Studien zum Thema Hofhaus und Garten in verschiedensten Kulturkreisen untersucht hat.

Dieser Vergleich soll die Qualität der Kirche am Leberberg nicht schmälern. Sie gehört zum wenigen, das dort architektonisch eine Rolle spielt. Als räumliche Übersetzung einer zeitgemäßen Vorstellung von Gemeinde ist sie in ihrer Transparenz und der konsequenten Ausbildung des Kirchenschiffs als Zentralraum durchaus innovativ. Gegen ihr Umfeld und gegen das Unvermögen der Stadtplanung, sie an den richtigen Ort zu stellen, kann sie freilich nichts ausrichten.

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