Details
- Adresse
- Platz der Republik 1, Berlin, Deutschland
- Architektur
- Foster and Partners (Lord Norman Foster)
- Mitarbeit Architektur Foster and Partners
- David Nelson, Mark Braun, Christian Hallmann, Dieter Muller, Ingo Pott
- Bauherrschaft
- Republik Deutschland
- Tragwerksplanung
- Leonhardt, Andrä und Partner, Arup & Partners, schlaich bergermann partner (sbp)
- Funktion
- Büro und Verwaltung
- Planung
- 1992
- Fertigstellung
- 1999
Presseschau
Wie man Bedeutung vermeidet
Gedanken zum neuen Berliner Reichstag
Ein Symbol des wiedervereinigten Deutschland sollte es werden. Die Politiker hatten sich was vorgenommen und sich, das kann man nicht bestreiten, auch sehr um das Gebäude gekümmert. Was vorerst als Umbau «im geringst möglichen Umfang» anvisiert wurde, geriet zu einem 600- Millionen-Projekt, ohne dass sehr viel mehr als eine gewöhnliche Renovierung vorgenommen worden wäre. Das scheint jetzt - unabhängig vom Preis - auch der Architekt so zu sehen. Sie, die Architekten, seien gebeten worden, «einen Bus zu entwerfen, und plötzlich sollte es nur noch ein Kleinwagen sein - ein wichtiger Kleinwagen, aber eben kein Bus».
Gleichwohl durfte Norman Foster eine Kuppel bauen, die andere vorgeschlagen hatten. Die Politiker, genauer die architektonisch allein kompetenten Alt-Funktionalisten unter ihnen, forderten nur, dass sie von aussen wie innen und auch von unten sichtbar sei. Da zeigte sich die feste, durch nichts zu erschütternde Überzeugung, dass (fast- oder halbdurchsichtiges) Glas ganz unmittelbar auf politische Transparenz schliessen lasse. «Demokratie als Bauherr!» Das Konzept sollte sich einmal mehr bewähren, und der Architekt quittierte, sie hätten jetzt «so etwas wie einen Leuchtturm für den demokratischen Prozess gebaut», womit nun offensichtlich ganz präzis der Symbolgehalt des teuren Unternehmens beschrieben war.
«Dem deutschen Volk!» Jetzt dürfen die Bürgerinnen und Bürger, aber auch andere Besucher, per Aufzug in den Kuppelraum fahren und das Berliner Panorama geniessen. Man profitiert vom Ausblick (wie beim Centre Pompidou) und vom Raumerlebnis im Innern, das mit dem riesigen halbverspiegelten Konus Nouvels gläsernes Experiment in den Galeries Lafayette in den Schatten stellt, ein grandioser «Cloud Club» à la Chrysler Building mit der imposanten Mittelstütze eines mächtigen englischen Chapter House, oder eben doch nur die Umsetzung eines Bildes von Poelzig, das auf dem Umschlag eines bekannten Buches zur «Architektur des Expressionismus» abgebildet ist. Die Nachwelt mag darüber staunen, was alles dieser demokratischen Transparenz-Idee zu entlocken ist.
Diese luftige Vorstellung hat sich so sehr eingeprägt, dass man jetzt einfach nicht mehr erinnern will, dass hier am protzigen Reichstag - und natürlich nicht in der Kuppel, die als blosses Glas-Eisen-Dach funktional gedacht war - im November 1918 die Republik ausgerufen wurde. Jetzt zeigt sich der Reichstag frisch restauriert. Man hat ihn entkernt, archäologisch seziert und - so scheint es - freigelegt von aller störenden Geschichte. Nicht der Zustand von 1894, als der Reichstag sein Haus bezog, auch nicht derjenige von 1918, als die Republik ausgerufen wurde, ist wiederhergestellt. Auch gegenüber dem Umbau von Baumgarten (1960-73) galt kein Respekt. Ihm hatte man vorgeworfen «ein historisches Denkmal zu erhalten» und «Hoffnung auf Einheit zu dokumentieren», jedoch nicht ein funktionierendes Parlamentsgebäude konzipiert zu haben. Nun ist die Einheit da und Baumgartens Einbau weg. Was ist denn noch vom steinernen Monument Wallots geblieben? Fein säuberlich renoviert, zeigt sich der Zustand von 1945, ein Zustand der Zerstörung, den die Sowjetarmee hinterliess, nachdem sie hier gegen das vermeintliche Symbol der Hitler-Herrschaft gewütet hatte. Da sind sie nun zu sehen, die Graffiti - wie in der Domus Aurea und in Pompeji und von ähnlich gewichtigem Gehalt. Die zufällig zurückgelassenen Kritzeleien sind jetzt, denkmalpflegerisch präpariert, zum geschichtlichen Gehalt des alten neuen Reichstags promoviert worden. Hier hat sich die Idee der «Demokratie als Bauherr», so scheint es, in eine unmonumentale Demutsgeste verwandelt. Das mahnmalgeschüttelte Berlin will von solchen Gesten offensichtlich nicht lassen.
Man stelle sich vor, man hätte einfach den alten Reichstag wieder hergerichtet, ohne Kuppelerlebnis, ohne museale Nebentöne, ohne die konservierten Einschusslöcher! Ganz einfach als Parlamentsgebäude, das sich im Wallot-Bau im internationalen Vergleich - auch ohne die teuren Rechtfertigungsmassnahmen - durchaus als solches zu erkennen gegeben hätte. «Dem deutschen Volk!» Was hat man nicht alles getan, um den Geruch des Monumentalen, um alles Pathos-Verdächtige abzustreifen. Eine Reihe von neuen Begriffen wie «Arbeitsparlament», «Werkstatt des Parlaments», «moderate Würde» sind erfunden worden. Nur das Naheliegendste durfte es wohl nicht sein: ein repräsentatives, historisches Gebäude, das bei allen Einschränkungen seine Eignung unter Beweis gestellt hat, funktionstüchtig und - ganz normal eben - repräsentativ.
Statt dessen hat man wieder einmal Öffentlichkeit mit Rummel vertauscht. Und da die Symbole und Bedeutungen im medialen Zeitalter ohnehin von ihren Inhalten abgelöst, frei verfügbar durch den Äther gleiten, kann man besser als je zuvor Graffiti als Geschichte und Glas als Demokratie verkaufen. Die Beliebigkeit ist längst verinnerlicht. Und Berlin, das dem zugegebenermassen schwierigen Test ausgesetzt ist, eine neue Hauptstadt zu begründen, stolpert von einer Peinlichkeit zur andern, von Gedenkstätte zu Mahnmal und umgekehrt. Die Angst vor der Geschichte geht um! Da war wohl Norman Forster die richtige Wahl. Von Lloyds und Hongkong kommend, sollte er unbefangen die «grand manner» in die mufflige Provinz bringen. Berlin braucht Stars! Auch wenn es bloss um einen «Kleinwagen» geht!
Das Haus der Republik
Norman Fosters Reichstagsgebäude in Berlin
Die Suche nach der korrekten Form gestaltete sich schwierig. Besonders in der Frage nach der richtigen Benennung des neuen Parlamentssitzes im alten Haus zu Berlin. Reichstag? Bundestag? Plenarsaal des Bundestages im Reichstagsgebäude? Der Ältestenrat des Bundestages diktierte aus Bonn schliesslich, ein wenig ängstlich noch, die interne Postanschrift «Plenarbereich Reichstagsgebäude». Während Strassenschilder zum «Sitz des Bundestages» weisen, steigen Besucher, fahren sie mit dem Bus zum Bundestag, an der Haltestelle «Reichstag» aus. – Irren ist menschlich, das wusste schon der Architekt Paul Wallot, als er im letzten Jahrhundert die Kuppel seines Reichstags von der westlichen Eingangshalle über den Plenarsaal verschob. Seither ist die Geschichte des Gebäudes gezeichnet von Ambivalenzen und Widersprüchen: als wilhelminischer Prunkbau vom Volk ungeliebt, von Wilhelm II. als «Gipfel der Geschmacklosigkeit» verspottet, von Hitler verschmäht, von den Nationalsozialisten den Flammen überlassen, bei Kriegsende bevorzugtes Ziel der Rotarmisten, wurde die zerschossene Ruine 1945 zum Symbol der totalen Niederlage Deutschlands.
Angemessene Architektur
Eine an der Ostseite in den Platz eingelassene Spur aus Steinplatten erinnert heute daran, dass hier einst die deutsch-deutsche Grenze verlief. Die feierliche Wiedervereinigung im Jahr 1990 fand vor dem Hauptportal an der Westseite statt. Seit gestern betreten hier wieder Abgeordnete und Besucher das sandgestrahlte Gebäude. Sechs korinthische Säulen stemmen mit dem Giebel den Satz «Dem deutschen Volke», auch wenn Wallots geschleifter Koloss es seit seiner Einweihung im Jahr 1894 bisher nie zum Ort ruhmvoller Parlamentsgeschichte brachte. Die dem Reichstag eigene Symbolkraft ist weniger mit seiner Funktion zu erklären als mit der deutschen Historie, welche die schwerfällige Sandsteinburg aushielt. Dass sie nun doch noch den gesamtdeutschen Parlamentssitz darstellt, hat vielleicht gerade darin seinen Sinn.
Die Diskussionen, die den 600 Millionen Mark teuren Reichstagsumbau prägten, sind symptomatisch für die Fragen, mit denen sich die Politik seit dem Umzugsbeschluss des Bundestages angesichts des historisch belasteten Berlins konfrontiert sah. Die Frage nach der Architektur ist zur Frage nach dem Selbstverständnis der zukünftigen «Berliner Republik» und ihrer Gesinnung geworden. Wo man in Bonn in unbelasteten Bauten regierte, fand man sich in Berlin erst einmal mitten in Geschichtsruinen wieder. In den Diskussionen, wie sich die Macht im neuen politischen Zentrum gestalten sollte, in der Frage um Symbole und ihre angemessene Bedeutung, federte man gleichzeitig den Kulturschock ab. Die Visionen der Architektur freilich blieben dabei auf der Strecke. Die formale Übersetzung später Vergangenheitsbewältigung hiess Kompromiss, und so wurden dem Gebäude die Flügel kräftig gestutzt, noch bevor es sie richtig ausgestreckt hatte.
Man erinnert sich: Norman Fosters Pläne ja, sein teures Glasdach lieber nicht, dafür von Calatrava wenigstens die Kuppel, aber bitte etwas dezenter. So versinkt nun Fosters gläserne Würdeform, die er selber eigentlich nie wollte, etwas verschämt zwischen den stattlichen Ecktürmen. Man muss schon auf Distanz gehen oder die Siegessäule am Grossen Stern besteigen, um die begehbare Schüssel mit 40 Metern Durchmesser in voller Grösse betrachten und überhaupt etwas von den sie erschliessenden, spiralförmigen Stegen erkennen zu können.
Für die luzide Klarheit, die Günter Behnischs Bonner Parlamentsgebäude auszeichnet, fehlte in Berlin ganz offensichtlich der Platz. Den mit 1200 Quadratmetern grössten Plenarsaal des Abendlandes musste Foster an der Eingangshalle einsparen, die – 33 Meter hoch – keine räumliche Tiefe entfaltet. Die Kunst am Bau sucht denn hier vergeblich nach der richtigen Dimension: Gerhard Richters monumentale Farbflächen hinter Glas («Schwarz Rot Gold», 1998) sind nicht einmal aus der Distanz der gegenüberliegenden Wand zu überschauen. Eintretende würden förmlich in den Plenarsaal platzen, wäre da nicht noch eine vorgehängte Glaswand, die den öffentlich zugänglichen Bereich vom inneren trennt. Den Abgeordneten kann man gleichwohl schon vom Entrée aus über die Schulter schauen.
Der Sitzungssaal selbst ist Herzstück und Schwachpunkt zugleich. Die kreisrunde Sitzordnung wurde elliptisch gestaucht, die Zuschauer- und Pressetribünen im Saal hängen wie Terrassen weit in den Raum und über die Köpfe der darunter Sitzenden, die sich hier bei Schlechtwetter fühlen dürften wie unter einem Garagenvordach. Die von den Parlamentariern gewünschte violettstichige Farbe der Stühle untermalt in ihrer bemühten Frische die düstere Atmosphäre eher noch. Die ganze Schwere des Wallotschen Gemäuers lastet auf dem Saal. Der von der Kuppel abgehängte, spiegelverkleidete Konus, der Licht hinunterleitet, hellt nur bedingt auf. Einzig die zwölf schlanken Säulen tragen mit Leichtigkeit die in der Mitte offene Decke wie ein Rad.
Kompromisskuppel, beschwingte Geste
Foster setzt auf den Kontrast zwischen den Relikten von Wallots theatralischer Palastarchitektur und seinem eigenen neusachlichen Chic. Der Brite, der am 6. Juni in Berlin den Pritzker- Preis entgegennehmen darf, schuf hinter der historischen Fassade einen kompletten Neubau in distinguiertem Grau und Beige. 45 000 Kubikmeter Innenleben wurden abgeräumt. Der akademische Formenkanon der sechziger Jahre, dessen spröden Charme Paul Baumgarten dem Gebäude beim Wiederaufbau implantierte, ist derart gründlich entfernt worden, als hätte man die Nachkriegszeit mit austreiben wollen. In den Gängen lässt sich anhand von Bildtafeln immerhin theoretisch nachvollziehen, was man beim Gang durchs Gebäude vermutete: dass es in den 100 Jahren zwischen Wallot und Foster auch noch eine andere architektonische Zeit gab. Mit der Entfernung der von Baumgarten eingezogenen Zwischengeschosse hat Foster in den Gängen und Hallen an Höhe gewonnen. Trotz der Bemühung um Offenheit und Licht – beispielsweise durch Verglasungen in den Ecktürmen, in denen sich die Tagungsräume der Fraktionsspitzen befinden – sperrt sich Wallots behäbiger Bau gegen den Lichteinfall.
Man hat das vernarbte Mauerwerk in den Fluren freigelegt, Fehlstellen und Geschosslöcher belassen. Derart nah führen Fosters stählerne Hängetreppen unter Wallots ornamentalen Gewölben im synthetischen Reichsstil vorbei, dass man sie greifen kann. Dennoch bleibt alles kühl- schwebend und unbeteiligt. Altes und Neues ist so säuberlich eingeteilt, dass Fosters Prinzip der Annäherung ohne Berührung in Bezugslosigkeit kippt. Inmitten von Stahl, Glas und geglättetem Stein erscheint das Überlieferte nicht als schon immer Dagewesenes, sondern ausgestellt, erstarrt in Musealisierung. Selbst der rauhe Kohlestrich kyrillischer Graffiti, mit der sowjetische Soldaten sich 1945 an den Wänden verewigten, mutet an wie Dekoration.
Die einzige beschwingte Geste des Gebäudes ist paradoxerweise die Kuppel geworden, die Fosters ursprüngliches Projekt gar nicht vorsah. Über die bienenkorbartige Stahlkonstruktion legen sich schuppenartig Glasscheiben. Der aus dem Plenarsaal aufsteigende Trichter bildet oben die Aussichtsplattform, unter der sich den Besuchern in einzigartigem Panorama die Stadt ausbreitet. Auf dem Weg dahin kann man bei einem Zwischenhalt durch eine Glasdecke ins Parlament hinunterschauen. Foster war die Ikonographie der Macht von Anfang an suspekt. In leichtem Handstreich hat er sie in ein Volksspektakel verwandelt. Nachts, wenn die Kuppel weit über die Stadt leuchtet, sagen die Berliner, unbeirrt von all der Sprachverwirrung und mit der ihnen eigenen Herzlichkeit: «unser Eierbecher». Wohl wissend, dass die Verpackung allein noch nicht das Ei des Kolumbus ausmacht.
Shopping Mall, Parlament?
Eine äußerst heikle, weil symbolträchtige Bauaufgabe: Der Berliner Reichstag war für das Parlament des wiedervereinigten Deutschland zu adaptieren. Norman Fosters transparente Lösung ist eine Aussage zur Idee der Demokratie.
Unter all den Bauaufgaben im wiedervereinigten Deutschland ist der Umbau des Berliner Reichstags wohl die symbolträchtigste. Die Entscheidung, keinen Neubau zu errichten, sondern aus dem leichten Glashaus in Bonn in das wilhelminische Gemäuer im Zentrum Berlins, einen Bau von Paul Wallot aus dem Jahr 1894, zu übersiedeln, ist dem deutschen Bundestag nicht leicht gefallen. Bis 1932 hatte hier das demokratisch legitimierte Parlament getagt. Der Brand des Reichstags im Jahr darauf war für Hitler Anlaß, die Weimarer Republik endgültig auszulöschen und durch Notverordnungen die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland außer Kraft zu setzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude beschädigt und von der Roten Armee gestürmt. Eine Sanierung in den sechziger Jahren beschränkte sich es wieder nutzbar zu machen.
Diesen historischen Ort für das Parlament der jungen „Berliner Republik“ zu adaptieren führte zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte unter den Gesichtspunkten von Kontinuität und Differenz. Sir Norman Foster, von dem die Planung für den Umbau stammt, hat sich vordergründig an eine Metaphorik gehalten, die jeder Politiker versteht: Weil Transparenz einer Demokratie gut ansteht, sollen auch ihre Gebäude transparent und vom Licht der Aufklärung durchflutet sein. So hingeschrieben, ist das natürlich reinster Kitsch. Als gebaute Hoffnung hat es vielleicht eine gewisse Berechtigung. Aber schon Günther Behnischs gläserne Kiste in Bonn hatte mehr zu bieten. Ihre Qualität lag vor allem in der Zerbrechlichkeit, die sie ausstrahlte und die der Vorläufigkeit des geteilten Deutschland entsprach. Daß die Gläser in Wahrheit granatensicher waren, änderte nichts an der Botschaft.
Hätte sich Foster in Berlin darauf beschränkt, die schweren Massen des Altbaus einfach durchsichtiger und lichter zu machen, wäre kaum mehr herausgekommen als eine Konzernzentrale für die wiedervereinigte Deutschland AG. Seine große Leistung besteht darin, mit der vertikalen Sequenz von Plenarsaal und Kuppel einen der ungewöhnlichsten und irritierendsten Räume geschaffen zu haben, die je gebaut wurden. Wer hier nach der Einweihung am 19. April eine Politik des reinen Pragmatismus betreibt, muß es zumindest mit schlechtem Gewissen tun.
Foster gelang es, seinen Bauherrn von der anfangs gewünschten Rekonstruktion der alten Kuppel abzubringen und von einer Lösung zu überzeugen, bei der Plenarsaal und Kuppel zu einer über 40 Meter hohen vertikalen Sequenz zusammenfaßt sind. Diese Lösung ist auf den ersten Blick simpel: Der Plenarsaal wird mit einem Glasdach gedeckt, darüber sitzt die Kuppel als leichter, verglaster Stahlkorb. An dessen Innenseite entlang führen zwei öffentlich zugängliche Rampen zu einer Aussichtsplattform, die frei in den Kuppelraum gehängt ist – eine Anordnung von einigem symbolischen Witz: Wenn das Volk über die Rampe zur Aussichtsplattform aufsteigt, ist es für die Parlamentarier stets präsent und kann ihnen umgekehrt durch die Glasdecke bei der Arbeit zusehen.
Seine besondere Qualität bekommt der Kuppelraum erst durch zwei Einbauten, die ihre ästhetische Bestimmung hinter äußerst vernünftig-funktionellen Bezeichnungen verbergen: einen Lichtkonus und einen Sonnenschutz. Der Lichtkonus, ein spitz zulaufender Rotationskörper, bildet das räumliche Gegengewicht zur Schalenform der Kuppel. Seine Außenseite ist mit Hunderten von Spiegeln verkleidet, die einerseits die Besucher auf den Rampen in ebenso vielen Facetten reflektieren und andererseits Licht in den Plenarsaal leiten. Der Lichtkonus durchdringt die Glasdecke über dem Plenarsaal und schwebt so wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier. In seinem Inneren befindet sich eine Lüftungsanlage für den Plenarsaal, die über Öffnungen in der Kegelspitze die warme Luft von dort absaugt. Der Sonnenschutz, ein blattförmiges, organisch anmutendes Gebilde, ist ebenfalls frei von der Plattform abgehängt. Angetrieben von kleinen Elektromotoren, bewegt er sich in einer langsamen, dem Sonnenstand folgenden Bewegung die Innenseite der Kuppel entlang.
Diese Einbauten machen die Kuppel zu einer beinahe surrealistischen Inszenierung: ein dichtes Geflecht aus konkaven und konvexen Kurven, ein Spiegelraum mit eingebautem Chronometer, zugleich ein Augapfel, in den der Keil des Lichtkonus bedrohlich hineinragt.
Hanno Rauterberg hat in der „Zeit“ kritisiert, daß dieser Raum zu sehr den spektakulären Innenräumen der Shopping Malls gleiche, daß er wie sie um die Aufmerksamkeit der Schaulustigen buhle und damit die Demokratie zu einem Dienstleistungsbetrieb degradiere. Nicht Bedeutung, sondern Erlebnis präge die neue Kuppel. Vom geheimnisvollen Zukunftsversprechen, das sich hinter Christos und Jeanne-Claudes Verhüllung des Reichstags verborgen habe, seien nur Show und Spektakel übriggeblieben. Aber diese Kritik wird dem Kuppelraum nicht gerecht: Während die Inszenierung der Shopping Mall nichts anderes leisten soll, als den Besucher zu blenden, ist er hier ein Beobachter, der in ein gigantisches Meßinstrument einsteigt – und sich dann plötzlich selbst in einer der spiegelnden Facetten wahrnimmt. Mit den beschränkten Mitteln, die der Architektur zur Verfügung stehen, um eine abstrakte Idee auszudrücken, macht Foster hier eine überzeugende Aussage zur Idee der Demokratie.
Die Implantation einer neuen Aussage in einen historisch brisanten Altbestand: damit ist in Berlin ein Schritt zur kulturellen Identitätsfindung mit den Mitteln der Architektur gelungen, der in Wien sowohl beim Ronacher als auch bei den Redoutensälen (um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen) verweigert wurde. Immerhin gibt es in Berlin einen österreichischen Beitrag: Die Ausführung der Kuppel stammt vom Wiener Stahlbauunternehmen Waagner-Biró, das in Berlin auch die technisch noch weit komplexere Überdachung des Sony-Centers baut. Daß Waagner-Biró beim Reichstag zum Zug gekommen ist, liegt vor allem an der Fähigkeit, dem bedingungslosen Qualitätsanspruch des Büros Foster folgen zu können. Die surrealistische Wirkung des Kuppelraums lebt von der Qualität im Detail, von der Art, wie alle Elemente voneinander abgesetzt sind und zu schweben scheinen. Rampen, Lichtkonus und Plattform sind mit dünnen Verbindungselementen von den Stahlrippen der Kuppel abgehängt, und auch das große Blatt des Sonnenschutzes ist nur mit seinem oberen Ende an der Plattform befestigt und dreht sich ansonsten frei im Raum.
Dieses Freispielen der Elemente stellte höchste Anforderungen an Konstruktion und Ausführung. Komplizierte, für jede horizontale Position eines Kuppelsegments unterschiedliche Guß- und Strangpreßteile stellen die Verbindungen her. Als höchst komplex erwies sich auch die Ausführung der beiden Spiralrampen, in deren schlan-ken Querschnitten sowohl die Entwässerung als auch die Leitungen für die Klimatechnik geführt werden mußten.
Wer sich die Photos vom Bauablauf ansieht, ist fasziniert davon, wie zwischen Computern, Schweißrobotern und hydraulischen Bühnen immer noch die Archaik des Bauens spürbar wird. Die Kuppel, die Brunelleschi im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts für den Dom errichtete, hat konstruktiv mit jener des Reichstags nur wenig gemein (obwohl sie ihr ziemlich exakt in den Dimensionen entspricht); als zugleich künstlerische wie konstruktive und organisatorische Leistung aber sehr viel. Daß auch das Werk eines „Stararchitekten“ zu einem großen Teil darin besteht, einen Qualitätsanspruch an eine große Zahl von möglichst kongenialen Partnern zu vermitteln, hat schon Brunelleschi erkannt. Seine legendäre Auseinandersetzung mit den zünftig organisierten Baumeistern und Steinmetzen hatte das Ziel, diese auf „Innovationskurs“ zu bringen.
Im heutigen globalisierten Wettbewerb wird diese Qualität immer entscheidender. Der gute Ruf, den Waagner-Biró sich mit den Berliner Projekten erworben hat, lohnt sich: Derzeit arbeitet dieselbe Projektgruppe unter der Leitung von Johann Sischka, die schon den Reichstag betreut hat, an einem neuen Projekt nach dem Entwurf von Foster Associates, der Überdachung des Innenhofs im British Museum in London. Der Entwurf sieht ein gekrümmtes Stahltragwerk vor, das eine Fläche von 6000 Quadratmetern bedeckt. Unter den rund 5000 Knoten gibt es über 1800 unterschiedliche Typen, die nur mit computerunterstützten Produktionsverfahren erzeugt werden können. An Innovation wird es auch dort nicht fehlen.
Schwingungen der Geschichte im Reichstag
Neue Transparenz im Berliner Parlamentsgebäude
Der Architekt Norman Foster weiss, welche Gefühle der Berliner Reichstag nach seinem Umbau wecken soll: Offenheit, Optimismus und Vertrauen. Die Qualität des Gebäudes soll das Neue innerhalb des Alten erfahrbar machen und die Schwingungen der Geschichte spürbar werden lassen. Vermag Fosters Neugestaltung des Parlamentsgebäudes in der neuen Hauptstadt diesem Anspruch gerecht zu werden?
Ein 50 Meter hoher, schwebend wirkender Baldachin sollte das Reichstagsgebäude überspannen, es gleichsam aufheben, getragen von schlanken Säulen, die den Raum um das erste deutsche Parlament gelassen erweitert und den wuchtigen Klotz aus wilhelminischen Zeiten respektlos relativiert hätten. Mit diesem Entwurf war der Brite Norman Foster 1993 als Sieger aus dem Architekturwettbewerb zur Umgestaltung des Berliner Reichstags hervorgegangen. Jetzt, wo die Fertigstellung des Umbaus greifbar nahe und die unterdessen radikal modifizierte Arbeit des Architekten sichtbar ist, lohnt der neuerliche Blick auf dieses Entwurfsmodell, denn daraus lassen sich Massstäbe für die Leistung Fosters gewinnen.
Historische Schichten
Bauen als ein Entwerfen und Zusammenfügen von Räumen wird zweifellos geprägt von den verschiedenen Arten politischer Herrschaft, weshalb sich in der Architektur auch die jeweilige Herrschaftsform spiegelt. Beispielsweise können die drohende Riesigkeit eines Bauwerks, die Leere eines gewaltigen Aufmarschgeländes den Menschen aus dem Gleichgewicht bringen und sollen es nach dem Wunsch totalitärer Machthaber auch. Wie aber kann sich eine demokratische Regierungsform angemessen architektonisch manifestieren, wie visualisiert sich der «Bauherr Demokratie»?
Das Reichstagsgebäude hat eine wechselvolle Geschichte – hier schmähte Kaiser Wilhelm II. das Parlament als «Reichsaffenhaus», votierte der Sozialdemokrat Karl Liebknecht 1914 als einziges Mitglied des hohen Hauses gegen die Kriegskredite und rief Philipp Scheidemann die erste deutsche Republik aus; aber auch Hitlers Verhöhnung des Parlamentarismus und die Instrumentalisierung des Reichstagsbrandes sind mit dem Gebäude verbunden. Im Zweiten Weltkrieg wurde es weitgehend zerstört und von den Soldaten der Roten Armee fälschlicherweise als Symbol der besiegten Barbarei angesehen. 1954 kam es zur Sprengung der Kuppel und während der sechziger Jahre zur modernisierenden Umgestaltung durch den Architekten Paul Baumgarten. Diese vielen historischen und architektonischen Schichten des Reichstages lasten auf dem Gebäude und machen eine puristische, ausschliesslich der Bauästhetik verpflichtete Betrachtung unmöglich.
Der Berliner Verfassungsrechtler Ulrich K. Preuss beschreibt die historische Ambivalenz der machtvollen Wirkung des Reichstagsbaus. Für ihn hat dieser riesige Steinhaufen etwas Imposantes, ungemein Imponierendes in dem Sinne, dass er sich anderen gleichsam aufdrängt. Von der reinen Masse her scheint der Reichstag also keine angemessene Spiegelung der Bedeutung des Parlaments zu sein. In der Vergangenheit schon gar nicht, denn während des deutschen Kaiserreichs stand das mächtige Gebäude in einem krassen Missverhältnis zu der ohnmächtigen Volksvertretung, die darin tagte. Demzufolge bezeuge der opulente Reichstagsbau in der historischen Perspektive keinesfalls Anerkennung des Parlaments, sondern vielmehr dessen Verhöhnung, meint Preuss.
Illusion der Offenheit
Norman Foster nennt als Kriterien für einen gelungenen Parlamentsbau vor allem Transparenz, Offenheit und Licht – eine deutliche Abkehr von der prunkenden Düsternis des Wallot-Baus. Bei seinem Umbau hat er fast alles geschliffen, was seine beiden Vorgänger an Eingriffen vorgenommen hatten. Schliesslich soll die Öffentlichkeit unmittelbar Anteil nehmen können am parlamentarischen Geschehen und sollen Dachlandschaft sowie die begehbare Kuppel dem Publikum jederzeit offenstehen. Die Besucher werden den Parlamentariern also quasi aufs Dach steigen und in den Bundestag hinunterschauen können. Für Foster ist dies ein «Symbol einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft»: Der Souverän erhebe sich über den Bundestag und schaue seinen Volksvertretern kontrollierend bei der Arbeit zu. Dieser zunächst bestechende Gedanke mutet allerdings wie eine romantisch-anachronistische Vorstellung von parlamentarischer Demokratie an, wenn man bedenkt, dass sich die Abgeordneten durch einen erdrückenden Fraktionszwang zunehmend selbst entmachten. Zudem werden wichtige Entscheidungen nicht im Bundestag, sondern andernorts gefällt; Sachfragen kommen in der Regel erst dann ins Parlament, wenn schon alles entschieden ist.
Ulrich K. Preuss relativiert denn auch Fosters Anspruch der Offenheit. Er räumt zwar ein, dass es äussert schwierig sei, eine Zeichensprache für demokratische Repräsentation zu finden. Er hält aber die Argumentation, dass die Arbeit des Parlaments transparent werde, wenn dieses unter einer transparenten Kuppel tage, für kurzschlüssig: «Wenn man durch ein Glasrestaurant auf das Parlament schaut, kann das sehr viel stärker zur Trivialisierung beitragen als zur Transparenz, weckt es doch die Illusion, man könne politische Macht in einem physischen Sinne durchsichtig machen.» Selbstverständlich gehe es in der Demokratie darum, politische Herrschaft aufzuhellen, das sei jedoch nur durch Kommunikation möglich.
Politisches Zentrum im «Bezirk der stillen Armut»
Der Berliner Reichstag trägt die Handschrift dreier Architekten, die das Gebäude mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und zu unterschiedlichen Zeiten gestaltet haben. Wallots Gebäude war bis in seine Innenarchitektur hinein in seiner Ästhetik das Zeugnis einer vordemokratischen Epoche. Der Wilhelminismus kehrte die politische Symbolik so aufdringlich hervor, weil er kaum demokratisch legitimiert war. Insofern war es schon für Paul Baumgarten in den sechziger Jahren schwierig, die Formensprache des Gebäudes der bundesrepublikanischen Demokratie anzupassen. Der Reichstag war damals der regierungspolitischen Funktion entkleidet und hatte als symbolträchtiger Ort einer Ausstellung zur Geschichte der Bundesrepublik zu dienen. «Nüchterne Würde» hiess das Credo in Abgrenzung zu allem Bombast; es war zugleich eine Absage an die bedrohlich-überwältigende Inszenierungswut des Nationalsozialismus.
Nach vierzig Jahren im Schatten der Mauer wird der Reichstag künftig ein politisches Zentrum bilden und zugleich inmitten eines sozialen Brennpunkts stehen. Die gegenwärtigen Problemgebiete der deutschen Hauptstadt heissen Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Tiergarten. Sie umschliessen die Stadtmitte wie ein Gürtel aus Armut und Verwahrlosung. Die Lebenserwartung der hier wohnenden Menschen liegt Jahre unter dem Berliner Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote in Tiergarten beträgt 19,3 Prozent. Lokalpolitiker bezeichnen deshalb das zukünftige Regierungsviertel als «Bezirk der stillen Armut».
Licht und Schatten
Der von Foster formulierte Anspruch der Transparenz mag die ernüchternde Realität des bundesdeutschen Parlamentarismus und der Berliner Hauptstadtwirklichkeit verfehlen. Seine Ernsthaftigkeit zeigt sich allerdings im rücksichtslosen Entkernen des Reichstagsgebäudes, in der offenen Grosszügigkeit des Plenarsaals mit den schlanken Betonsäulen, vor allem aber in der lichten Gestaltung der mittels einer Rampe bequem begehbaren Kuppel. Alle Bürger werden jederzeit Zutritt zur Kuppel haben. Während Baumgartens Kuppel eine meisterhafte ingenieurtechnische Leistung ohne praktische Funktion war, wirkt Fosters gläserne Kuppelspirale auf vielfältige Weise. Mittels ihrer Spiegelschuppen lenkt sie Tageslicht in den Plenarsaal, und damit die Parlamentarier durch die Sonneneinstrahlung nicht geblendet werden, kommt ein bewegliches Verschattungselement zum Einsatz, das dem Lauf der Sonne folgt. Die Spiegelsäule im Kuppelinnern sorgt zudem für die natürlich Belüftung des Plenarsaales, indem sie den thermischen Auftrieb nutzt.
Mag sich dereinst auf der fussballfeldgrossen Dachfläche mit ihrem Restaurant auch nur Ereigniskultur abspielen und mögen die Bewohner und Besucher Berlins nur auf diesen ungewöhnlichen Aussichtspunkt strömen, um über die Ausblicke zu staunen – mit der filigranen Kuppel schuf Foster jedenfalls nicht nur ein Licht- und Belüftungszentrum für den Reichstag, sondern auch einen ungewöhnlichen optischen Anziehungspunkt des parlamentarischen Zentrums Deutschlands.