Bauwerk

Wiener Werkbundsiedlung
Josef Frank - Wien (A) - 1932

Revolution im gallischen Dorf

In zwei Wochen beginnt die Sanierung der Wiener Werkbundsiedlung. Architekten und Bewohner wünschen sich ein Museum. Doch die Stadt Wien schweigt.

30. Juli 2011 - Wojciech Czaja
Einen Schilling. So viel kostete damals der Eintritt in die Wiener Werkbundsiedlung. Mit der internationalen Bauausstellung, die von Juni bis August 1932 zu besichtigen war, wollte der Werkbund neue, moderne Wohn- und Siedlungsformen für Arbeiter anpreisen, denn nicht alle waren mit den „Volkspalästen“ des Roten Wien glücklich.

Einer, der mit der Wohnbaupolitik der Bundeshauptstadt besonders hart ins Gericht ging, war der projektverantwortliche Architekt und Mastermind Josef Frank: „Das neue Wien macht den Eindruck, als würde hier überhaupt nicht gedacht. Was hier geschieht, sieht aus, als hätte es der Zufall auf die Straße geworfen, und fröhliche Dummheit grinst aus jedem Fensterloch.“ Alternativen mussten her.

Doch die Werkbundsiedlung war nicht die erste ihrer Art. Das große Vorbild war die 1927 in Stuttgart unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe errichtete Weißenhofsiedlung. Städte wie Brünn, Basel, Zürich, Breslau und Prag waren schon längst nachgezogen, ehe auch Wien sich entschloss, einen derartigen Wohnpark, eine Art „Blaue Lagune“ der Dreißigerjahre, aus der Taufe zu heben.

100.000 Besucher kamen damals, um in den grünen Parzellen Ober St. Veits jene „Siedlungshäuser mit Wohnungen kleinster Art“ zu bestaunen, die Frank mit den insgesamt 31 geladenen Architekten aus dem In- und Ausland entwickelt hatte. Unter ihnen etwa Adolf Loos, Oswald Haerdtl, Clemens Holzmeister und Margarete Schütte-Lihotzky sowie die etwas weiter angereisten Kollegen Gerrit Thomas Rietveld und André Lurçat (Foto oben).

Allein, der Erfolg blieb aus. Von den insgesamt 70 Musterhäusern wurden nur 14 verkauft. Die „Wirtschaftlichkeit auf engstem Raum“ stellte sich als leere Worthülse heraus. Dem Mittelstand waren die Wohnungen zu teuer, der Oberschicht waren sie zu klein. Die Gemeinde Wien kaufte daraufhin die restlichen 56 Häuser. Seither gehört die Werkbundsiedlung zum sozialen Wohnbau Wiens.

Und dann nichts. Jahrzehntelang bröckelten die Häuser, die schon bei Fertigstellung durch ihre schlechte Ausführungsqualität aufgefallen waren, vor sich hin. Der Putz blätterte ab, Feuchtigkeit drang in die Fundamente, durch Fenster, Türen und Dächer regnete es hinein. Daran konnte auch die behutsame Sanierung 1983 durch Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger nichts ändern. Die Probleme sind nach knapp 30 Jahren die gleichen wie zuvor.

„Man braucht nichts schönzureden“, meint die Wiener Architektin Silja Tillner, die selbst in der Werkbundsiedlung in einem Reihenhaus von Gerrit T. Rietveld lebt (Fotos unten). Die technische Ausführung bei den Bauten der Moderne sei oft sehr schlecht. Aber das ändere nichts an der prinzipiellen Erhaltungswürdigkeit der Werkbundsiedlung.

„Das Projekt war visionär. Es ist eines der wenigen Beispiele für experimentellen und innovativen Wohnbau in Wien und beweist, dass man auch im kleinen Maßstab mitten im Grünen leben kann. Und diese Wünsche sind auch heute noch aktuell. Wir wohnen gerne hier. Wir sind wie ein gallisches Dorf.“

Baukosten zehn Millionen Euro

Jahrelang setzte sich Tillner gemeinsam mit der Denkmalschutzvereinigung docomomo Austria, dem Architekturzentrum Wien und einer ganzen Reihe an Architekten für die längst überfällige Sanierung des einzigartigen Baudenkmals ein. Nun, nachdem die Werkbundsiedlung vom World Monuments Fund in New York 2010 auf die Watchlist der weltweit am meisten gefährdeten Baudenkmäler in Europa gesetzt worden ist, erkennt Wien endlich den Wert des Ensembles und beginnt, die ersten Häuser zu sanieren.

Vier leerstehende Wohnungen, darunter zwei Rietveld-Reihenhäuser, sollen in der ersten Bauphase auf Vordermann gebracht werden. Der Umbau umfasst Trockenlegungsarbeiten, Instandsetzung der Fassade, Erneuerung von Fenstern und Türen, Einbau einer kontrollierten Wohnraumlüftung sowie den Einbau neuer Sanitär-, Heizungs- und Elektroinstallationen. Die Kosten für die Gesamtsanierung der Stadt-Wien-Häuser soll rund zehn Millionen Euro betragen.

Nachdem die Baukosten aus den Mietzinsrücklagen nicht gedeckt werden können, wird die Sanierung zum Großteil aus dem Zentralbudget von Wiener Wohnen finanziert. Zwei Millionen Euro Fördermittel sind für das Projekt vorgesehen. Ende 2010 wurde zu diesem Zweck eigens die Wiener Substanzerhaltungs GmbH. & Co KG (Wiseg) gegründet. Sie wird sich in den nächsten Jahren um die Verwaltung und Sanierung der Werkbundsiedlung kümmern. Am 16. August ist Baubeginn. Zum 80-jährigen Jubiläum im Sommer 2012 sollen die ersten vier Häuser fertig sein.

„Es ist erfreulich, dass die Stadt Wien jetzt einen ersten Schritt setzt und damit anfängt, die Werkbundsiedlung peu à peu zu sanieren“, erklärt Norbert Mayr, Präsident von docomomo Austria, im Gespräch mit dem STANDARD. „Doch bevor die Baustelle startet, möchten wir im Gespräch mit Wohnbaustadtrat Michael Ludwig die Möglichkeiten eines Museums ausloten. In zwei der insgesamt noch 64 erhaltenen Häuser wollen wir ein Werkbund-Museum errichten. Die jetzige Mini-Ausstellung im ehemaligen Trafohäuschen wird der Anlage einfach nicht gerecht.“

Wie schon in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart soll ein Haus eine informative Ausstellung zum Projekt beherbergen, während das andere Haus originalgetreu und mitsamt Möblierung die Besucher in die Atmosphäre des damaligen Wohnens einlullen soll. „Es geht hier nicht um Musealisierung, sondern darum, das Baudenkmal öffentlich zugänglich zu machen und die Bevölkerung adäquat zu informieren“, sagt Mayr. „Der Zeitpunkt ist perfekt. Die Gebäude gehören der Stadt Wien, und einige davon stehen derzeit leer.“

„Museum? Kein Kommentar.“

Vor vier Wochen schickte docomomo eine Petition an Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. 340 Unterschriften gibt es bisher. Doch ansonsten ist es still um das ersehnte Museum. Im Wien Museum, wo man für September 2012 anlässlich des 80-jährigen Jubiläums bereits an einer Ausstellung über die Wiener Werkbundsiedlung arbeitet, will man von diesem Vorschlag noch nichts gehört haben. „Wir werden die Werkbundsiedlung in die Ausstellung natürlich mit einbeziehen“, sagt der zuständige Architekturkurator Andreas Nierhaus. „Aber von einem eigenen Museum in der Werkbundsiedlung weiß ich nichts.“

Der Bauträger Wiseg wiederum sowie das Wiener Architekturbüro P.Good, das im Zuge eines Wettbewerbs den Zuschlag für die Sanierung erhalten hat, ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. „Wir dürfen zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen. Bitte wenden Sie sich an das Büro des Wohnbaustadtrats.“ Doch auch dort ist nichts in Erfahrung zu bringen. Lediglich Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrum Wien, erklärt auf Anfrage des STANDARD: „Selbstverständlich soll zumindest eines der renovierten Häuser öffentlich zugänglich bleiben und als Informationszentrum zur Werkbundsiedlung und zur Wiener Moderne betrieben werden.“

Ob das der Fall sein wird, bleibt fraglich. In einem Brief an docomomo deutet Michael Ludwig bereits seine Entscheidung an: „Der (...) Businessplan sieht die Vermietung aller Häuser vor. Vor allem die immensen Kosten der Sanierung lassen ein Leerstehen eines Objektes, somit den Ausfall möglicher Mietzinse, nicht zu.“ Mitte August wird eine Pressekonferenz einberufen. Dann wird man erfahren, ob die Architektur der Moderne in Wien museumswürdig ist oder nicht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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